Die Zukunft ist ein Training unter Tage: Unter der Hauptbühne der Berliner Festspiele leitet die Performancegruppe The Agency ein Workout für die Zeit nach dem Menschen. "Medusa Bionic Rise" veranstaltet einen Kult um den Körper und behauptet in vielen Interaktionen und Zwischenspielen stets die Notwendigkeit seiner Überwindung: etwa im Verbund mit Künstlicher Intelligenz und Verfahren der Kryonisierung, also der Speicherung von nassen Gehirnen (Wetware) oder trockenen Knochen (Hardware). Wir sind mittendrin auf Laufstegen, Podesten, in und vor Schaufenstern und an der Bar.
Die Körper keuchen und schwitzen, es ist ein mission call, das Publikum soll rekrutiert werden für den Medusa-Bionic-Rise-Kult, kurz BMR und immer auf Englisch genannt. So erzählen diese Humanoiden bei der Generalprobe von den Mühen der Selbstoptimierung, des Abnehmens, der plastischen Chirurgie, all dem Zeug, mit dem man sich einst herumschlagen musste, bevor wir Teil einer hybriden Lebensform wurden. Es gab mal den War on Terror, sagt die niederländische Performerin Stacyian Jackson über ihre Mutter, und jetzt gibt es den War on Obesity, den Krieg gegen das Übergewicht.
Die Medusa, die im Titel steht und deren abgeschlagener Kopf die Griechen einst versteinerte, ist der Blick aus der Zukunft, der die meisten von uns zumindest lähmt. The Agency halten diesem Blick stand, hier gibt es keine Angst vor der Verdatung, Erweiterung und digitaler Vermählung der Welt. Im Gegenteil, die Umarmung der Zukunft ist geradezu offensiv soft, glückdurchströmt und in jedem Moment so neoliberal verstrahlt wie theoretisch smart.
Denn während das herkömmliche Schauspieltheater seine Kritik an der Gegenwart meistens auf der sicheren Seite ausstellt, nämlich auf der Bühne, überlassen immersive Performances diesen Gedankenschritt den aktivierten Zuschauern. Und etwas Lust an der Interaktion sollte man schon mitbringen, Rampensäuigkeit braucht es dazu aber keine. Die Performer gehen auf einzelne zu und bitten sie in Nebenräume und Gänge, wo die Zukunft mit der Zeit Konturen kriegt. Mal literarisierend, mal absurd, oft greifen diese Geschichten aber auf reale Diskurse zurück. Irreal sind die Gesten und ihre hergestellten Gefühle: Alles so zart hier, so kühl erotisch, so verschwitzt und optimistisch. Das Grauen und das Glück sind stets ein Paar bei dieser Gruppe aus vier Frauen – Magdalena Emmerig, Belle Santos, Rahel Spöhrer und Yana Thönnes – und zugewandten Performern.
Was The Agency in künstlerisch offenen Theatern und auf Festivals leisten, erinnert stark an die Ästhetik des New Yorker Kollektivs DIS, das vor zwei Jahren die Berlin Biennale kuratierte. Im Kern ist es ein erst einmal wertfreier Blick, der vom Posthumanismus auf die Gegenwart schaut. Schon bei der Berlin Biennale sahen manche linke Kritiker einzig die Affirmation der Verhältnisse. Doch so einfach ist das auch bei The Agency nicht, deren darstellende Kunst mehr Dialektik wagt als fast alles, was der Schauspielbetrieb als seine Elite bezeichnet, etwa beim diesjährigen Theatertreffen in Berlin.
Das wichtige Festival Tanz im August hat entspannt erkannt, dass man diese Gruppe, die wenig bis nichts mit Tanz zu tun hat, durchaus an einem Eröffnungsreigen teilnehmen lassen kann. Auch wenn es nicht nur schön ist, wenn während zwei Stunden immer wieder die gleichen Harmonien vom Synthie tropfen: Es sind die Akkorde von John Lennons "Imagine".