Der Glaube lebt, die Taube schwebt? Ach was, stattdessen flattert eine Fledermaus durch das Finale des "Parsifal". Das Tier hat sich offenbar ins Bayreuther Festspielhaus verirrt, passt aber gut in Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung. In seiner Regie von Richard Wagners Abschiedswerk leistet die Gralsgesellschaft von Anfang an Flüchtlingshilfe. Am Ende tanzt eine Multikulti-Gesellschaft durch prasselnden Bühnenregen, Riesenpflanzen wachsen wild durcheinander. Und diverse Gläubige werfen ihre Kultgegenstände in einen Sarg. Weg mit Menora, Kruzifix oder Gebetskette. Mitleid verbindet alle Religionen. So verbrüdert sich der "Parsifal"-Chor am Ende auf der offenen Hinterbühne.
Wie das wohl bei Jonathan Meese ausgegangen wäre, der die Produktion – in Laufenbergs Regie nun im dritten Jahr – ursprünglich inszenieren sollte? Meeses Vertrag wurde Ende 2014 von der Festspielleitung gekündigt, weil man die als "totale Kunst" geplante Bühneninstallation als technisch nicht machbar und zu teuer ablehnte. Mit Christoph Schlingensief konnte immerhin ein bildender Künstler (aber auch schon versierter Theatermann) zwischen 2004 und 2007 in Bayreuth wirken. In Schlingensiefs "Parsifal" spielte Joseph Beuys’ Hasensymbol eine zentrale Rolle. Eine kleine "Hasifal"-Referenz leistet sich Laufenberg, wenn er die dienende Kundry im dritten Akt einen Kühlschrank putzen und einen müffelnden Kaninchen-Kadaver aus dem Gefrierfach hervorzerren lässt.
Die aktuelle Bayreuther Inszenierung ist mit ihren Aktualisierungen anfechtbar, aber gut gearbeitet – ganz im Gegensatz zum Münchener "Parsifal", bei dessen letzter Opernfestspiel-Vorstellung am Dienstag Angela Merkel gesichtet wurde. Georg Baselitz stattete die Neuinszenierung der Bayerischen Staatsoper aus – indem er denkfaul seine Malerei-Sujets recycelte. Aber auch Bayreuth hat in diesem Jahr seinen Kunst-Star: Neo Rauch zeichnet gemeinsam mit Rosa Loy für Bühnenbild und Kostüme von "Lohengrin" verantwortlich, der Premiere der diesjährigen Richard-Wagner-Festspiele.
Die Personenführung muss in den kommenden Jahren dringend ausgebaut werden. Die Protagonisten müssen als plumpe Sachwalter von Ideen herhalten, abgesehen von Waltraud Meier, die als finstere Ortrud Aufmerksamkeit kommandiert. Der im "Lohengrin" so zentrale Chor verharrt in statischen Posen. Vielleicht lässt sich die schwache Choreographie damit erklären, dass Regisseur Yuval Sharon spät eingesprungen ist. Das Konzept und die Symbole waren wohl weitgehend von Neo Rauch festgelegt. Lohengrin erscheint als Arbeiter im blaugrauen Overall, eine Figur, wie man sie von Rauchs Gemälden kennt. Ansonsten sieht man vom Barock und der Renaissance inspirierte Kostüme und viele Insektenflügel (Schauplatz: das sumpfige Ufer der Schelde). Lohengrin, der fremde Ritter, reißt seinem Widersacher Telramund im Duell einen Mottenflügel aus. Es ist eine surreales, betont stimmungsvolle Welt, die Rauch und Loy auf die Festspielbühne zaubern. Zentrale Architektur ist eine kaputte Transformatorenstation, der neue Energie zugeführt wird.
Loy und Rauch sorgen für ein erstaunliches Comeback der Theatermalerei und ihrer Möglichkeiten von Illusionismus bis Verfremdung. Vieles ist hier gemalt oder bemalt, bis hin zum Bühnenboden. Der blaue Rundhorizont, der sich als hoher Himmel im Hintergrund wölbt, simuliert Tiefe. Aus dunkelblauen Wolken brechen Sonnenstrahlen. Ob das Hoffnungszeichen trügt, bleibt lange in der Schwebe. Schließlich endet "Lohengrin" bei Wagner tieftraurig: Ritter Lohengrin (tenoral ideal: Piotr Beczala) schwebt – inkognito – ins marode Brabant herein und verspricht König und Volk das Blaue vom Himmel: Unbesiegbarkeit gegenüber "des Ostens Horden", Grenzsicherheit, was sich der Brabanter so wünscht. Dumm nur, dass Elsa (stimmstark: Anja Harteros), die den Helden heiraten darf, unbedingt seinen Namen wissen will. Als sie in der Hochzeitsnacht die verbotene Frage stellt, ist alles aus. Lohengrin gibt sich als Gottgesandter zu erkennen und zieht von dannen: "Weh" und "Ach".
Der im Kern unfehlbare Märchenheld, dessen Mission an einer zweifelnden Frauenfigur scheitert – dieses Motiv reizt zu Widerspruch. Bei Rauch/Loy sind die Frauen stark: Die mephistophelische Ortrud hat völlig Recht, wenn sie Elsa ins Grübeln bringt. Lohengrin trägt zunehmend despotische Züge. Höhepunkt der Aufführung ist die auch musikalisch (Dirigent: Christian Thielemann) glänzend gelungene Hochzeitsnacht im aufgeklappten Kraftwerk. Nach zwei durchgehend blaugefärbten Akten leuchtet das Brautgemach orangerot. Lohengrin fesselt Elsa an eine hell leuchtende Marterpfahl-Skulptur, irgendwas zwischen Strommast und Gigawatt-Sextoy. Kein Wunder, dass Elsa das Frageverbot bricht – um ihren Vergewaltiger zu stoppen. Nach Lohengrins Abschied gibt's ein Massensterben. Nur Elsa ist keine Eintagsfliege und entkommt in eine wahrscheinlich bessere Welt, geführt von einem seltsam-giftgrünen Waldmännchen. (Ja, die Farbdramaturgie könnte etwas subtiler sein.)
Begriffen? Wahrscheinlich nicht, aber Wagners Opern sind meistens rätselhaft. Nie darfst du sie (zu sehr) befragen. Die Vorgängerinszenierung stammte von Hans Neuenfels, ebenfalls kryptisch-surreal, allerdings von stabilem Inszenierungs-Rückgrat gestärkt. Die Regie fehlt beim neuen "Lohengrin" schon sehr, aber was Rauch und Loy mit Raum, Farbe und Licht gelingt, überzeugt streckenweise sehr. Thielemann schlägt flüssige Tempi, lässt die "Lohengrin"-Partitur schillern, die eigentlich nicht für den gedeckelten Orchestergraben geschrieben ist. Auch eine Kunst.