Es ist nicht ganz unaufwendig, heutzutage ein Königpaar zu sein. Ab und zu ein Bankett geben und huldvoll von Balkons winken, sorgt eher nicht mehr für anhaltende Begeisterungsstürme. Ständig will das Volk unterhalten werden, ständig müssen ästhetische Konventionen gesprengt und Stereotypen pulverisiert werden, um wenigstens für ein paar Tage im Gespräch zu bleiben, bis sich die Massen nach dem nächsten heißen Ding die Hälse verrenken.
Im Moment beherrscht niemand die Kunst des kalkulierten Hypes so souverän wie das Königspaar des Hip-Hop/Pop: Beyoncé und ihr Gatte Jay-Z (in genau dieser Reihenfolge). Gestern Abend baten die beiden zur Audienz ins Berliner Olympiastadion zur erwartbar bombastischen Live-Show. Es gab Flugshows und Herrscherposen, Brot und Spiele, aber keine Zugabe – ein bisschen Verweigerung lässt das Publikum noch ergebener und dürstender zurück.
Dass sich der Pop in seiner Ästhetik von der Kunstgeschichte inspirieren lässt, ist weder eine besonders neue, noch besonders originelle Erkenntnis. Madonna benutzte in ihren Videos mehrfach die Gemälde ihrer Lieblingsmalerin Tamara de Lempicka, die Indie Band Hold Your Horses montierte sich selbst in Klassiker der Kunstgeschichte, und Lady Gaga liebäugelte mit Jeff-Koons-Kitsch und Performance-Kunst. Doch zur Zeit schreibt sich niemand so konsequent und medienwirksam in die westliche Kunst-Ikonografie ein wie Beyoncé und Jay-Z. Zuerst inszenierte sich die zwillingsschwangere Beyoncé auf Instagram als schwarze Maria und sprach dem so oft entwerteten und fremdbestimmten schwarzen Frauenkörper die Heiligkeit der christlichen Gottesmutter zu.
Dann mietete das vermögende Powerpaar für zwei Nächte das Pariser Louvre, um dort ihr augenblicklich legendär gewordenes Video zur gemeinsamen Single "Apeshit" zu drehen. Das meistbesuchte Museum der Welt trifft einen der meistgeklickten Videos der Digitalgeschichte. Große Kunst trifft große Kunst.
Mit dem Louvre in Paris hat sich das Paar einen Ort ausgesucht, der auf vielseitige Weise für Status und Herrschaft steht. Was könnte ein deutlicherer Anspruch auf den Pop-Thron sein, als eine Hausparty in einem ehemaligen Königsschloss mit Herrscherbildern und allen Inkarnationen von Reichtum und Schönheit um sich herum?
Die Kunst im Louvre ist untrennbar mit der Demonstration von Macht verbunden – eine Tradition, die sich Beyonce und Jay-Z zu Nutze machen. Die beiden zeigen sich in pastellfarbenen Powersuits als gleichberechtigtes Joint Venture auf Augenhöhe mit der Mona Lisa. Beyoncé wiegt sich mit ihren Tänzerinnen vor der Krönung von Napoleons Frau Josephine. Wo sich Normalsterbliche um einen kurzen Blick auf die vielleicht berühmtesten Gemälde der Welt beinahe prügeln müssen, nutzen sie Beyoncé und Jay-Z unbescheiden als Kulisse und illustre Gästeschar auf ihrem symbolischen Krönungsevent.
Doch die Erzählung um Macht verkompliziert sich, denn das Louvre ist vor allem ein Ort von weißer, männlicher Vorherrschaft. Wer will, kann in den ausgewählten Werken die Perversion des europäischen Führungsanspruches finden. Weiße Männer malen die Maßstäbe weiblicher Schönheit, die ebenfalls ausschließlich weiß ist, Hofmaler glorifizieren Eroberungszüge und Kolonialismus, die allermeisten schwarzen Figuren auf den Werken im Louvre sind als Sklaven markiert. Der schwarze Körper ist in der westlichen Kunstgeschichte erschreckend oft entweder abwesend oder entmenschlichtes Ding. Während die berühmtesten Popstars unserer Zeit schwarz sind, dominiert in der Kunstwelt noch immer überwiegend der weiße Blick. Indem sich das afro-amerikanische Power-Couple Beyoncé und Jay-Z als Herrscher über die heiligen Hallen des Louvre inszeniert, macht es einerseits dieses Ungleichgewicht deutlich und schafft gleichzeitig Gegenbilder zu den Insignien weißer Macht.
In "Apeshit" sind ausschließlich nicht-weiße Protagonisten im gespenstisch leeren Louvre zu sehen. Mit ihrer Präsenz und ihren Posen beanspruchen sie die Würde und Erhabenheit, die ihnen lange verwehrt wurde. Der Ort, der vornehmlich für ein weißes Publikum gedacht war, wird von einer neuen schwarzen Elite übernommen. Auf dem Überraschungs-Album "Everything is Love" singt Beyoncé, dass sie selbst nicht glauben kann, dass sie und ihr Mann es so weit geschafft haben. An anderer Stelle konstatiert sie, dass auch ihre Enkel bereits reich sind und dass das eine Menge "brown children" auf der "Forbes"-Liste bedeutet. Hier wird eine neue Herrscherlinie etabliert, eine neue, moderne Dynastie.
Doch jenseits dieser Ermächtigungssymbolik bedient "Apeshit" auch eine uralte Erzählung der Kulturgeschichte: die Kunst als Statussymbol. Neben dem ganzen Bling-Schmuck im Video, den aufgezählten Lamborghinis und Jets, sind die Kunstwerke nur ein weiteres Indiz dafür, dass die Macht von Beyoncé und Jay-Z vor allem auf Reichtum basiert. Sie sind der Beweis, dass sich mit Geld alles kaufen lässt, eben auch ein Einzeldate mit der Mona Lisa. Während "Apeshit" sich einerseits für Diversität im Museum stark macht, unterstützt es andererseits die traditionelle Annahme, dass Kunst ein Luxus für die Reichen und Mächtigen ist. Ob diese Botschaft ein Publikum jenseits des weißen Bürgertums ins Museum lockt, darf zumindest bezweifelt werden.
In der französischen Presse ist nach dem Erscheinen des Videos eine Diskussion darüber entbrannt, wer bei "Apeshit" eigentlich wen instrumentalisiert. Ist dem Louvre ein PR-Coup gelungen, indem es sich mit den heißesten Musikern der Welt zusammengetan hat? Oder hat es wieder einmal seine Kunstseele verkauft, wie es dem Museum auch wegen seines lukrativen Louvre-Franchises in Abu Dhabi vorgeworfen wird?
Fakt ist, dass sich die Museen auf der Jagd nach neuen Besuchergruppen zunehmend für die Player der Kulturindustrie öffnen, die außerhalb des klassischen Kunstbetriebs agieren. Das Museum braucht den Pop mehr als umgekehrt. Das Louvre war bereits Drehort für die Hollywood-Produktionen "The Da Vinci Code" und "Wonder Woman", die diebischen Damen von "Oceans 8" haben es auf die Met-Gala im New Yorker Metroplitan Museum abgesehen und im Black-Power-Blockbuster "Black Panther" spielt das leidlich verfremdete British Museum eine zentrale Rolle.
Auch in Deutschland gibt es Beispiele für die räumliche Verschmelzung von Kunst und Popkultur. Kraftwerk spielten 2015 in der leergeräumten Neuen Nationalgalerie, der Gropius-Bau ließ eine große David-Bowie-Ausstellung in seine Hallen einziehen. Deichkind tanzt in der Hamburger Kunsthalle vor einer Fischaugenlinse im Video zu "So'ne Musik". Aus den Pinakotheken in München heißt es, dass man die Beyoncé-Louvre-Kooperation für einen gelungenen Image-Transfer hält: "Unter den Millionen Zuschauern des Videos ist sicherlich auch ein gewisser Prozentsatz von potenziellen Museumsbesuchern dabei, der sich die Gemälde von Géricault bis Leonardo und die grandiose Architektur des Museum mal wieder im Original anschauen möchte", sagt Tine Nehler, Leiterin der Kommunikationsabteilung der Bayerischen Staatlichen Gemäldesammlungen auf Anfrage. "Die Alte Pinakothek hat sich bisher für Drehanfragen solcher Art nie verschlossen gezeigt."
In Deutschland gibt es keine vorstellbare Museums-Pop-Paarung, die eine ähnliche Sprengkraft besitzen könnte wie die französisch-amerikanische "Apeshit"-Konstellation in Paris. Da jedoch jeder Hype in der heutigen Klickjagd-Kultur seine Trittbrettfahrer findet, wird es sicher in Zukunft noch andere Kunst-Videos geben. Ob Helene Fischer bald durch die Gemäldegalerie tanzt?