Romuald Karmakar in Berlin

Byzanz singt seine Lieder

Mönche singen, Himmler spricht im Herrenklo, Rekruten rennen sich die Köpfe ein: Werke des Filmemachers Romuald Karmakar in der Galerie Ebensperger

Mit dem Kopf in die Wand. Schnurstracks, immer wieder rennen die Soldaten mit der Stirn gegen den Spind oder die Stubentür. 1987 wurde Romuald Karmakar, 1965 in Wiesbaden als Sohn einer Französin und eines Iraners geboren, in die französische Armee eingezogen. Sein achtminütiger, 1988 auf der Berlinale uraufgeführter Film "Coup de Boule" (Kopfstoß) zeigt seine Mitrekruten bei einem merkwürdigen Initiationsritual. Die Kameraden nennen Namen, Alter und Dienstgrad, um dann ihre Kopfstoßkünste zu demonstrieren. Es kracht – oder auch nicht, weil Karmakar den O-Ton mitunter rausgeschnitten hat. Schlimmstenfalls wirkt das Ritual etwas dumpf. Aber insgesamt fehlt es dem Spiel an regelrechter Zerstörungswut, über die man sich aufregen könnte. Karmakar, als Bataillonsfotograf eingesetzt, hatte die Super-8-Kamera eingeschmuggelt. Die Vorgesetzten waren konsterniert und schickten Karmakar für zwei Wochen "in den Bau".

Hat die Disziplinarmaßnahme etwas genützt? Offenbar wenig, Karmakar dreht heute noch Filme, zurzeit ist seine abendfüllende Doku "Zoo Berlin" in Produktion. Dazu blieb sein Widerstandsgeist ungebrochen – gegen eine bestimmte Erwartungshaltung. Als Zuschauer ist man ja bequem: Man möchte keine bizarren Rituale unter Soldaten betrachten oder eine Dreistunden-Rede Heinrich Himmlers hören. Und wollen wir im Detail erfahren, was der Serienmörder Fritz Haarmann 1924 einem Psychiater erzählte? Wenn sich ein Abgrund auf der Leinwand auftut – deckt man den nicht besser mit Deutungen und Kommentaren zu?

Romuald Karmakar bleibt stur. In seinen Spielfilmen wie "Der Totmacher", "Manila", "Die Nacht singt ihre Lieder" legt er die Figuren gerade nicht ans Gängelband des Autorenwillens. Und auch bei den dokumentarischen Werken bleiben Aussagen und Aktionen weitgehend ungefiltert stehen. So erklärt die Betreiberin eines für sexuelle Libertinage bekannten Clubs im fünfminütigen Video "Kirsten Krüger / KitKatClub Berlin" ihr Techno-Etablissement zum "gesellschaftspolitischen Experiment" und der Regisseur hört zu.

Unheimlich wirkt der Ort, an dem die bisher umfassendste Soloschau mit Karmakars – grob benannt – "Dokumentationen" von "Coup de Boule" bis "Byzantion" (2017) auf zwei Etagen stattfindet: Ein ehemaliges Krematorium in Berlin-Wedding, seit 2013 eine Dependance des österreichischen Kunsthändlers Patrick Ebensperger, der seine Galerie 2005 in Graz gründete.

In den vergangenen Jahren haben sich Kino und Kunstbetrieb immer weiter angenähert. Allerdings hat erst die Venedig-Biennale von 2013 Karmakar explizit in den Kunstkontext gestellt. Im Deutschen Pavillon wurden drei Filme präsentiert, darunter die unter dem Titel "8. Mai" kompilierten Szenen einer großen NPD-Demonstration zum Endes des Zweiten Weltkriegs, das sich im Mai 2005 zum 60. Mal jährte. Die Kamera wackelt, tastet Spruchbanner und Flaggen ab, der braune Redeschwall von den Podien ist einerseits nicht zu fassen, andererseits sind ähnliche Phrasen inzwischen im Bundestag zu hören. Was dem 49-minütigen "8. Mai" bestürzende Aktualität verleiht.

Zum Pendant in der Ausstellung wird der ebenso auf einem kleinen Monitor präsentierte Film, in dem Manfred Zapatka die Himmler-Rede bei der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4. Oktober 1943 spricht, ohne ein einziges rassistisches Jota auszulassen. "Das Himmler-Projekt" ist im Herrenklo der Galerie platziert.

Die große, mit Spitzbögen über Fenstern und Türen versehenen Kapelle des Krematoriums gehört zur Medientechnologie-Firma Luxoom Lab, die gemeinsam mit Ebensperger die Ausstellung verantwortet. In der Kapelle wird noch einmal das Video "Byzantion" projiziert, eines der stärksten Werke auf der Documenta in Kassel im vergangenen Jahr. Wie dort im Westpavillon der Orangerie werden zwei kurze Filme hintereinander gezeigt, in denen Mönche den in fast allen orthodoxen Kirchen verbreiteten Marien-Hymnus "Agni Parthene" intonieren. Die kirchenslawische Fassung wurde im Kloster auf der russischen Insel Valaam aufgezeichnet, in der griechischen Version hören und sehen wir Mönche in einer Kirche in Athen – in dessen Nähe Karmakar als Jugendlicher fünf Jahre lang lebte. Zunächst lauscht man gebannt den Gesängen, ihren unüberhörbaren Ähnlichkeiten wie ihren Unterschieden. Die Kamera fängt die prächtigen Kirchen-Interieurs hinter den Sängern ein: Ikonenmalerei hier wie dort, weißer Marmor in Russland, Nussbaumholz in Athen.

Weiter kann man darüber nachdenken, dass "Byzantion" auch von europäischer Geschichte und einer Spaltung in Ost und West erzählt. Zur Filminstallation gehört eine Textarbeit, die als Histo-Nachrichtenticker (als LED-Laufband in Kassel, auf einem Monitor in Berlin) skizziert, was ihr Titel verspricht: "Die Entstehung des Westens – Von den Anfängen in der Antike bis zum Fall von Konstantinopel". Byzantion, von griechischen Siedlern gegründet, wurde in der Spätantike zu Constantinopolis und hieß dann Istanbul. Die türkische, heute zwischen Ost und West zerrissene Metropole, auch dieses Drama schwingt in der fesselnden Karmakar-Arbeit mit. Aber Karmakar zwingt uns nicht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Bloß beim Zuhören tut sich schon eine Welt auf.