Kennt irgendjemand noch Peppermint Patty, die notorische Schulversagerin aus Charles M. Schulz' "Peanuts"-Comics? In einem dieser wunderbaren Dreibild-Strips hat die struppige Peppermint bei einer Klassenarbeit einen totalen Lauf: Sie weiß alles, macht Kreuze, füllt aus. Bis, Zack!, sie sich einen "Gehirnmuskel" zerrt und nicht mehr kann.
So ähnlich habe ich mich kürzlich in der Ausstellung von Luke Willis Thompson in der Kunsthalle Basel gefühlt. Erst brav mitgedacht. Und dann: Autsch. Kann mich bitte jemand aus der Referenzhölle wieder abholen?
Aber von vorn erzählt. Luke Willis Thompson ist ein dreißigjähriger Künstler aus Neuseeland, dem gerade so ziemlich alles gelingt. Er hat an der Frankfurter Städelschule studiert, im New Museum in New York und auf den Biennalen von São Paulo und Montréal und der Asia Pacific Triennial ausgestellt, er ist für den britischen Turnerpreis nominiert. Sein früheres Werk in Neuseeland beschäftigte sich häufig mit seiner eigenen Herkunft. So lud er für "inthisholeonthisislandwhereiam" (2012, 2014) das Publikum in ein kleines Haus in einem Kaff in Neuseeland ein – ohne explizit darauf hinzuweisen, dass dieses "Loch" das Heim seiner Familie war.
Seine Arbeiten, die in den letzten Jahren in USA oder Großbritannien entstanden sind, beschäftigen sich oft mit Vertretern der schwarzen Minderheit in diesen Gesellschaften. Auf der Berlin Biennale ist gerade sein Werk "Autoportrait" zu sehen, das die Afroamerikanerin Diamond Reynolds zeigt, die traurige Berühmtheit erlangte, als sie mit dem Smartphone filmte, wie Polizisten ihren Freund Philando Castile bei einer Fahrzeugkontrolle erschossen. Der anlog gefilmte und projizierte Film, der in einer ruhigen Einstellung einfach das Gesicht der Frau zeigt, soll durch seine Materialität und seine Machart dem Todesvideo ein anderes, würdevolleres und selbstbestimmteres Bild entgegensetzen – was ihm durchaus gelingt.
Mittlerweile musste sich Thompson bereits der toxischen Frage stellen, ob er als Neuseeländer mit weißen und philippinischen Wurzeln sich überhaupt mit schwarzem Trauma beschäftigen dürfe oder ob das anmaßend sei. Sein neuer Film "_Human", zu sehen in der Kunsthalle Basel, leidet aber unter einem anderen Problem. Er zeigt ein wunderschön ausgeleuchtetes Objekt in Nahaufnahme. Nach einiger Zeit erkennt man ein winziges Haus, aus Haut gemacht, mit Stecknadeln zusammengehalten. Es handelt sich um eine Skulptur mit dem Titel "My mother, My Father; My Sister; My Brother", die der afrobritische Künstler Donald Rodney 1997 auf dem Krankenbett gemacht hatte. Er starb einige Monate später an Sichelzellenanämie, einer Erbkrankheit, die vor allem Menschen afrikanischen Ursprungs befällt.
All das liest man mit Interesse in dem Text, der die Ausstellung begleitet, und freut sich, auf diese respektvolle Weise auf Donald Rodney und sein Werk aufmerksam gemacht zu werden. Dass das alles noch mit anderen Häusern zu tun haben soll, dem abgebrannten Grenfell Tower in London zum Beispiel, oder Häusern, wo Schwarze erschossen wurden – o.k.
Doch geht der Begleittext weiter: Der Rhythmus, in dem der Film geschnitten sei, rekurriere – in welcher Form genau, wird nicht ganz klar – auf Erbinformationen in den Zellen der Geschwister des Künstlers, die die Erbkrankheit Chorea Huntington in sich trügen – eine unheilbare Krankheit, die meist zwischen 30 und 40 Jahren erstmals auftritt und in der Mehrzahl der Fälle innerhalb von 15 Jahren zum Tod führt.
Genau hier setzt dann der Gehirnkrampf ein. Alles schrecklich, aber was genau ist jetzt die Verbindung, und warum muss der Künstler sie unbedingt ziehen? Warum zerrt er hier eigene autobiografische Informationen herbei und vermischt sie mit der Biografie eines anderen Künstlers, aber so verschlüsselt, dass man nichts davon im Werk wirklich sieht? Was genau sagt er uns jetzt über die Krankheit in seiner Familie und die des anderen? Und warum rattert dazu der analoge Filmprojektor so nostalgisch und anheimelnd und sieht das Bild so wunderschön aus?
Jeder gewohnheitsmäßige Konsument zeitgenössischer Kunst kennt das Problem: Ständig wird die Information gegeben, etwas "beziehe sich auf" irgendetwas anderes. Aber wie wird diese Verbindung zu einem Argument, was ist genau mit ihr gewonnen? Nicht immer, wenn irgendetwas irgendwie ähnlich ist, ergibt sich daraus schon ein Erkenntnisgewinn. Und wer die meisten und dramatischsten Bezüge herbeizitiert, schafft damit nicht automatisch das beste Kunstwerk. Es wäre schön, wenn alle Beteiligten das große Referenzkarussel gelegentlich mal anhalten könnten – sonst muss man sich nicht wundern, wenn die Leute aussteigen.