Payam Sharifi von der Künstlergruppe Slavs and Tatars steht im Bus nach Dresden mit einem Mikrofon in der Hand wie ein Reisebegleiter. In Texas als Sohn iranischer Immigranten geboren, lebt er mittlerweile in Berlin, nachdem er in Paris studiert hat und in Moskau für eine große Wodkamarke die Werbestrategie entwickelt hat. Dort hat er wahrscheinlich auch gelernt, wie man in kurzer Zeit komplizierte Inhalte pitcht. Er spricht präzise: Den Weg von der Anekdote über den Kontext zur These legt er schnell zurück. Bloß versucht er nicht, die Markenidentität von Wodka zu konturieren, sondern Theorien, und zwar von der sperrigen Sorte.
Als der Bus die sächsische Stadt erreicht, deutet Sharifi auf ein Gebäude: "Das sieht ein bisschen aus wie eine Moschee, ist aber in Wirklichkeit eine Tabakfabrik." Der Architekt Martin Hammitzsch fantasierte diesen orientalistischen Bau am Anfang des 20. Jahrhunderts herbei, weil hier kein als Fabrik erkennbares Gebäude errichtet werden durfte. Das trifft eigentlich genau das Thema der Ausstellung "Made in Dschermany" in der Kunsthalle im Lipsiusbau, in der Porzellansammlung und im Mathematisch-Physikalischen Salon: Es geht um den Orient, vom Okzident aus gesehen, den Okzident vom Orient aus gesehen, den Orient vom Orient aus gesehen und auf jeden Fall um die endlosen Verschlingungen im Austausch der Kulturen.
Bei den Installationen, Tonarbeiten, Skulpturen, Videos und Wandteppichen steht ein Laut im Mittelpunkt, den das Deutsche eigenwillig wiedergibt: der Anlaut in Wörtern wie Dschungelfieber, Dschihad oder Dschingis Khan. "Sie werden alle mit d-s-c-h wiedergegeben", erklärt Sharifi, "und sie sind so etwas wie die Greatest Hits des Orientalismus." Gerade so, als müsste die Sprache bestimmte Wörter und Laute als Fremdkörper kennzeichnen.
Die Arbeit der Künstlergruppe ist auch eine historische. Im 20. Jahrhundert wechselten die Alphabete mit den Herrschern, besonders im Vielvölkerstaat Russland. Stalin zum Beispiel gab den Kasachen, Kirgisen, Usbeken unterschiedliche Schriften, kyrillisch und lateinisch, um einen pantürkischen Aufstand zu verhindern: Teile und herrsche!
Eine andere Geschichte erzählt in der Ausstellung ein Spiegel, auf den die Titelseite der Zeitung "El Dschihad" gedruckt ist, erschienen während des ersten Weltkriegs. Mit Dschihad ist hier wahrscheinlich das theologische Konzept des inneren Kampfes mitgemeint. Das war ein im Kaiserreich herausgegebenes Propagandablatt speziell für Kriegsgefangene aus islamischen Ländern, in den Landessprachen. Eine strategische Entscheidung, denn die Deutschen wollten Allianzen mit ihnen — gegen die Kolonialmächte England und Frankreich. Sprache war und ist ein Machtinstrument, lernt man aus der Arbeit von Slavs and Tatars, und die Spuren davon sind heute noch zu sehen.
Beinahe jede Ausstellung des Künstlerkollektivs wird begleitet von einer Publikation, die nur bedingt mit den Arbeiten zu tun hat. Denn das sollen keine Kataloge sein, erklärt Sharifi. Stattdessen sind es wahnsinnig gelehrte Bücher. Der Sound ist zugleich bedeutungsschwanger und fast aufdringlich verspielt, so wie bei den späten Poststrukturalisten, die hastig aus dem Französischen übersetzt in den 80ern im Merve Verlag erschienen sind. "Was können wir beitragen, was ist nicht schon längst da? Ich glaube nicht, dass man in künstlerischer Praxis Forschung präsentieren kann. Das finde ich faul. Künstler haben die Rolle, aus der Forschung auszubrechen", sagt Sharifi.
Beim Ausbruch aus dem reinen Gelehrtentum, so kann man vermuten, hilft die Grafikerin Kasia Korczak, Gründungsmitglied des Kollektivs. Die gebürtige Polin kümmert sich um den Look der Arbeiten. Die Buchstaben stehen von den Buchseiten auf, und daraus werden große Gebilde an der Wand. Die Emaille-Oberflächen, auf denen die Schriftzeichen abgebildet sind, sehen abweisend, glatt und sehr zeitgenössisch aus. Sie erinnern an postdigitale Skulpturen, die seit ein paar Jahren überall in Galerien und Museen stehen.
Gleich im Foyer des Lipsiusbaus ist der Teppich "Alphabet Abdal" um den Plexiglaszylinder gewickelt, der den Blick ins Untergeschoss des renovierten Barockgebäudes freigibt. Der Teppich war schon im Kunstverein Münster zu sehen, überhaupt sieht die Ausstellung ein wenig aus wie eine Retrospektive. "Das ist aus verschiedenen Arbeitszyklen", erklärt Sharifi. "Die dauern immer ungefähr drei Jahre." Eingewoben in den Teppich sind arabische Buchstaben, die übersetzt die Worte "Jesus, Sohn Marias, er ist Liebe" bedeuten. Sharifi erklärt, dass neben der lateinischen und der kyrillischen Schrift auch die arabische zum Christentum gehört. Irgendjemand witzelt, was wohl die Pegida-Anhänger aus Dresden denken, wenn sie gleich als erstes von arabischer Schrift begrüßt werden.
Slavs and Tatars haben sich nach ihrer Selbstbeschreibung nicht weniger vorgenommen, als Eurasien zu erkunden, also das Gebiet zwischen der Berliner und der Chinesischen Mauer. Liegt Dresden also schon mitten im Orient? Vielleicht. Es geht in der Schau um Sprache, und die Grenzen und Kontaktzonen von Kulturen. Dazu gehört Dresden, zwar in Preußen, aber nicht weit von Polen, ganz sicher. Eine traditionell weltoffene Stadt. "Made in Dschermany", der Titel deutet es schon an, dass Identitäten längst nicht so stabil sind, wie es aktuell nationale Reinheitsfantasien nahelegen wollen. Da wird geschrieben und überschrieben, Wörter werden importiert und exportiert, Laute finden Schriftzeichen und verlieren sie wieder, und bei all dem wird gelegentlich auch eine politische Haltung mitgeschleppt.