Philippe Parreno in Berlin

Die Biomaschine

Der französische Künstler Philippe Parreno hat in Berlin ein großartiges Kunsterlebnis produziert, das täglich anders sein wird - und einen mehrfachen Besuch wert

Ein Aquarium ist in den Martin Gropius Bau eingezogen. Wasser gibt es nicht, dafür aber fliegende Fische. Manche der bunten, heliumgefüllten Geschöpfe sind so leicht, dass sie schnurstracks zur Decke fliegen und sich dort zusammenrotten. Andere sind so schlapp, dass sie auf dem Boden liegen bleiben. Am interessantesten sind – wie auch sonst im Leben – die dazwischen, die Schwankenden, die Unentschlossenen. Sie tanzen dem Besucher vor der Nase herum, folgen einem geheimnisvollen Wind, werden von der Aufsicht, die sich noch sichtlich an die von orangenem Licht durchflutete Aquariumsumgebung gewöhnen muss, sanft angekickt, bis sie wieder aufsteigen oder sich der Schwerkraft ergeben.

Die Zufalls-Choreografie der tanzenden Fische ist nicht nur eines der zauberhaftesten Refugien in Philippe Parrenos großer Ausstellung im Gropius Bau, sie steht auch exemplarisch für die gesamte Ausstellung, die einer raffinierten Mischung aus künstlerischem Plan und Zufall folgt. Es beginnt im prächtigen Lichthof: In einem großen dunklen Wasserbecken breiten sich immer wieder konzentrische Wellenkreise aus, ausgelöst von den Schwingungen versteckter Vibratoren, auf die Klänge übertragen werden. Daneben zucken auf zwei Leinwänden Bilder von Glühwürmchen auf: Es geht um Werden und Vergehen. Eine langsam kreisende Sitzlandschaft lädt zur Kontemplation ein – bis ein Klang die Neugier entfacht: In einem entfernten Ausstellungsraum hat ein Flügel von selbst angefangen zu spielen. Kurz danach beginnt in einem anderen ein Video.

Man sagt von vielen Künstlern, dass ihre Ausstellungen Gesamtkunstwerke sein. Aber bei kaum einem stimmt es dann wirklich so wie bei Philippe Parreno. Durch seine großen Schau im Pariser Palais de Tokyo 2013 spazierte man wie durch einen verfilmten Roman in verschiedenen Kapiteln. In Berlin inszeniert er nun das gesamte Erdgeschoss des Gropius Baus wie ein gutartiges Geisterhaus. Rolläden heben und senken sich unvermittelt, Lamellen öffnen sich, ein Luftzug berührt die Haut. Klänge huschen durch die Räume, Übertragungen aus dem Außenraum, die drinnen auf Lautsprechern ausgespielt werden. Dahinter steckt: ein mit Hefe betriebener Bioreaktor.

Wie prächtig ist diese verrückte Maschine inszeniert: Der Glaskolben mit der Hefe in der Mitte blubbert geschäftig, durch zahlreiche Schläuche wird die Hefe gefüttert, wächst und vergeht und ändert dabei beständig ihre chemischen Eigenschaften. Ein Computerprogramm übersetzt die Daten der Hefe mit Hilfe geheimnisvoller Algorithmen in die Aktivitäten im Haus. Dieser Bioreaktor ist es, der die Impulse für die Klänge und Vorgänge in der Ausstellung gibt: ein genialer Zufallsgenerator, der die Kunst in einer sehr zeitgenössischen Wende an die Natur zurückbindet.

Es ist absolut eindrucksvoll, wie Philippe Parreno hier John Cage und Biochemie fusioniert und dabei ein Kunsterlebnis produziert, das täglich anders sein wird und immer die Mühe wert.