Goldener Löwe, Ehren-César, Ehrenleopard, Palme d'honneur: Agnès Varda ist in ihrer über 60-jährigen Karriere mit Ehrungen und Auszeichnungen überhäuft worden. Zu Kopf gestiegen ist ihr jedoch keine der Trophäen, auch nicht der Ehren-Oscar vor wenigen Monaten. Sie sei eine kleine Königin am Rande des Kinos, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Die Ehren-Oscars bekämen Leute, die keine Hollywood-Stars und Blockbuster-Filmemacher seien. Dass man sie jedoch wahrgenommen habe, habe sie sehr berührt.
Es ist schwer, die französische Filmemacherin und Installationskünstlerin, die am Mittwoch (30.5.) 90 Jahre alt wird, nicht zur Kenntnis zu nehmen, vor allem in letzter Zeit. Seit ihrem Film "Augenblicke: Gesichter einer Reise", den sie mit dem Streetart-Künstler JR gedreht hat, ist ihr Name in aller Munde. In Frankreichs Medien ist sogar von einer "Vardamania" die Rede.
Die Doku, die 2017 in Cannes Premiere feierte, erhielt weltweit zahlreiche Preise und wurde 2018 auch für einen Oscar als bester Dokumentarfilm nominiert. Nun kommt der Film einen Tag nach ihrem Geburtstag, am 31. Mai, in die deutschen Kinos.
Für den Film ist Varda zusammen mit JR in einem Fotomobil durch das ländliche Frankreich gereist. Dabei sind sie Fabrikarbeitern und Bauern begegnet, deren Porträts sie auf Fassaden und Schiffscontainern anbrachten. Wie sie sich den großen Erfolg des Films erklärt? Der Film funktioniere, weil die Leute daran mitwirken, wie Varda erklärte. "Sie erzählen uns ihre Geschichten und werden dadurch zu Akteuren."
Die Regie-Ikone mit der ewig gleichen, helmartigen Pagenfrisur hat sich schon immer für einfache und am Rande der Gesellschaft lebende Menschen interessiert. Sie lerne sehr viel von ihnen, sagte sie. Und betonte: "Ich habe noch nie Reiche und Wohlhabende gefilmt."
So erzählt "Vogelfrei" (Originaltitel: "Sans toit ni loi") die Geschichte einer Frau, die als Landstreicherin durch Südfrankreich zieht und den Kältetod stirbt. Für den Film wurde Varda 1985 als erste Frau in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. "Sammler und die Sammlerin" (Originaltitel: "Les glaneurs et la glaneuse") handelt von Menschen, die noch heute aus Not nach der Ernte oder dem Wochenmarkt Kartoffeln und Äpfel auflesen.
Varda gilt als Pionierin des Autorenkinos und als "Großmutter der Nouvelle Vague", jener Bewegung, die in den 60er Jahren gegen das herkömmliche Erzählkino Sturm lief. Bis heute gehört sie mit ihren Werken, die zwischen Wirklichkeit, Fiktion und Poesie schwanken, zu den eigenwilligen Cineasten unserer Zeit.
Die Tochter eines Griechen und einer Französin kann auf eine beachtliche Karriere zurückblicken: Sie hat mehr als 30 Filme gedreht, die halbe Welt fotografiert und ist mittlerweile auch als Installationskünstlerin international bekannt. Zu ihren jüngsten Werken gehören ihre "Cabanes": Hütten, die teilweise aus Kopien ihrer alten 35-mm-Filme bestehen. Das Konzept dahinter bedarf nur eines Satzes: "So verwerte ich meine Erinnerungen wieder, eine Art Recycling meines Lebens."
Varda wurde in Brüssel geboren, flüchtete jedoch während des Zweiten Weltkriegs mit ihren Eltern in die südfranzösische Hafenstadt Sète. In Paris studierte sie zunächst Literatur, Philosophie und Kunstgeschichte, bevor sie sich für die Fotografie interessierte. Erst später entdeckte sie als Autodidaktin die Welt der Bewegtbilder.
Ihr Filmdebüt feierte sie 1955 mit dem halbdokumentarischen und stark stilisierten Kurzfilm "La Pointe Courte" über ein junges Paar, das in einer Ehekrise steckt. Ihren Durchbruch schaffte sie jedoch erst 1962 mit "Cleo - Mittwoch zwischen 5 und 7" - einem Spielfilm über objektive und subjektive Zeit. Zeit, die für sie immer kostbarer werde, wie sie sagte. Denn sie wolle noch viel unternehmen.
Was ihr Geheimnis sei, dass sie noch immer so fit ist? Ihre Antwort: "Ich trinke jeden Tag zwei Tassen heißes Wasser. Und das schon seit mehr als 50 Jahren."