In der Kunst ist selbstverständlich geworden, dass nichts mehr selbstverständlich ist. So oder so ähnlich beschrieb es der Philosoph Theodor W. Adorno Ende der 60er, und daran liegt es vielleicht, dass bestimmte Dinge immer wieder neu diskutiert werden müssen. Zum Beispiel: das Verhältnis von Kunst und Politik.
Um darüber zu sprechen, finden sich immer Anlässe, aber im Moment sind einige besonders drängend. Die kollektive Depression, in die (nicht nur) amerikanische Künstler nach der Trump-Wahl gefallen sind, die Diskussionen über Identitätspolitik in Kunst und Kultur und die ewige Frage, warum Kunst — zum Beispiel die letzte Documenta — so teuer sein muss, besonders, wenn sie vom Staat unterstützt wird. Diese Themen liegen weit auseinander, und entsprechend divers ist am vergangenen Samstag das Line-Up im NBK.
Den Anfang macht der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit, und er spricht über das, was in der letzten Zeit immer wieder zum Austragungsort politischer Konflikte wird: der Körper. Dabei berichtet er aus der Perspektive der 60er über das rebellische Potential von Musik. Damals nämlich, so Theweleit, reichte es beinahe schon, die richtige Musik zu hören, um einen neuen Körper zu bekommen: einen Jazzkörper oder einen Rock'n'Roll-Körper, aber auf keinen Fall die militarisierte Variante der deutschen Tätergeneration. Kunst, in diesem Fall Pop, bewirkt die wundersame Transformation. Was aus der Revolution der 68er geworden ist, ist bekannt, aber die Erkenntnis bleibt: Der richtige Kunstgenuss ist selbst schon ein Akt des Widerstands, und Kunst ist eine Art Trainingscamp für souveräne Subjekte.
Bloß das Verhältnis von Kunst zum Ganzen ist ein Problem, findet Catherine David, künstlerische Leiterin der zehnten Documenta vor 20 Jahren, mittlerweile Direktorin des Centre Pompidou. Denn politische Kunst sei meistens ziemlich langweilig und illustrativ. Als Gewährsmann holt sie sich Jean-Luc Godard hinzu, der einst sagte: "Ich mache keine politischen Filme, ich filme politisch." Damit ist viel gesagt, aber noch nicht alles.
"Bitte nutzen Sie die Pause, um vor der Tür ein wenig zu atmen", fordert die Moderatorin Kerstin Stakemeier und erinnert die Zuhörer an ihre eigenen, schwitzenden Körper, denn nach den ersten beiden Vorträgen ist es ziemlich heiß in den Räumen an der Chausseestraße. Stakemeier lehrt gerade an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg Kunsttheorie und -vermittlung, zuletzt ist ihr Buch "Entgrenzter Formalismus" erschienen. Darin beschreibt sie, wie die Moderne zwar die Autonomie der Kunst gewonnen hat, aber im gleichen Zug eine Menge aufgegeben hat, unter anderem politische Wirkmacht: Die Autonomie ist nicht nur eine Errungenschaft, sondern auch ein Problem.
Dabei verzichtet die Politik gar nicht darauf, Einfluss auf die Kunst zu nehmen. So nannte ein AfD-Politiker Olu Oguides Obelisken in Kassel "entstellte Kunst". Freilich ist es leicht, hier das Echo von Nazi-Rhetorik von "entarteter Kunst" zu hören, verbunden mit ganz aktuellem Alltagsrassismus, noch leichter ist es hier, eine kalkulierte Provokation seitens der AfD zu vermuten. Der Vortrag der Direktorin der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst und Kuratorin des deutschen Pavillion der kommenden Venedig-Biennale, Franziska Zòlyom, unterstreicht die Irritation, mit der die Neuen Rechten auf Kunst reagieren, besonders Kunst im öffentlichen Raum. Ein weiteres Beispiel: "Entschiedene Entkräftung/Persistent Feebleness" von Alexandra Pirici. Mit Tänzern besetzte die Choreografin 2013 den Innenraum des Leipziger Völkerschlachtdenkmals neu — und sorgte für Protest. Pirici selbst war übrigens auch bei der Konferenz. Sie sprach über eine Reihe von Projekten, die sie in der Vergangenheit im öffentlichen Raum umgesetzt hat. Dabei ging es ihr aber nicht so sehr um die Außenwirkung, sondern vielmehr über die Politik nach innen. Denn als Choreografin ist sie auf eine Menge von Mitarbeitern, also Tänzern, angewiesen. Die wollen alle bezahlt werden, deshalb hat sie ein System von geteiltem Gewinn eingeführt. Jeder Tänzer ist zum Anteilseigner, selbst für künftige Aufführungen — sollten diese Gewinn einbringen.
Die Frage nach dem Existenzrecht der Kunst stellt an diesem Samstagnachmittag natürlich niemand. Auch die Frage, warum das alles so teuer ist, beantwortet der künstlerische Leiter der letzten Documenta Adam Szymczyk indirekt in seinem Vortrag. Aber wem gehört die Documenta? Die Antwort: "Allen, die sie gemacht und besucht haben. Aber sie gehört nicht den gewählten Politikern." Und das finanzielle Defizit? "Die Geschäftsform gGmbH bedeutet, dass sie nicht auf Profit abzielt."
Hito Steyerl, Professorin an der Universität der Künste, spricht von digitalen Bildern und Videos und davon, dass Energie direkt in Bilder umgesetzt wird. Mit ihrem Energieverbrauch haben Bilder ganz reale Auswirkungen auf das Klima.
Die Bilderflut, an der wir alle mitarbeiten, ist auch gar nicht mehr nur für Menschen gedacht, erläutert der Künstler Trevor Paglen. Die Bilder werden von Algorithmen betrachtet, ausgewertet und interpretiert. Maschinenrealismus nennt Paglen das. So weit, so bekannt. Nur muss auch irgendjemand den Maschinen das Sehen beibringen — und hier kommen politische Fragen ins Spiel: Wer bestimmt, was die künstliche Intelligenz als Fotos von Menschen oder Dingen, Männer oder Frauen erkennt? Dabei liegen nicht nur alte Klischees zu Grunde. Die AI bedient auch rassistische Stereotypen, wie Googles Bilderkennung vor drei Jahren zeigte — und das Problem ist immer noch nicht gelöst.
Das Ideal vom emanzipierten Zuschauer wackelt, wenn die Maschinen zurückblicken. Am Ende des Abends in der Chausseestraße ging es gar nicht mehr um Kunst und Politik, sondern darum, dass nicht einmal das Sehen selbstverständlich ist.