Eine Weile schien es so, als könnten sich alle auf Kanye West einigen. Man fragte: Ist Kanye dieses Jahr auf der Art Basel? Welche Kunst kauft er, und was ist sein nächstes Projekt? Mit dem MacBook unterm Arm stieg er aus Autos und lächelte selten. Was er machte, machte er ernsthaft. 2012 ließ er sich von Rem Kohlhaas einen Pavillon bei den Filmfestspielen in Cannes bauen, um dort eine Videoinstallation zu zeigen, im Jahr darauf führte er eine Performance bei der Art Basel in Miami auf. Takashi Murakami und George Condo gestalteten seine Plattencover. Andere Künstler gelangten ins kollektiven Bewusstsein nur, weil West sie zitierte, zum Beispiel Vincent Desiderio, bei dessen Riesengemälde "Sleep" sich West für seinen Videoclip zu "Famous" bediente. 2016 machte er ein Album, das in modernistischer Montagetradition Pop aus den letzten sechs Jahrzehnten zu einem zerfasernden Großwerk amalgamierte. Er war eine Art kreativer Wirbelsturm, der alles und jeden mitriss: "I'm living in the future so the present is my past", rappte er einst. Immer einen Schritt weiter, immer Avantgarde.
Als die USA in eine kollektive Depression gefallen schienen, nämlich nach der Trump-Wahl im November 2016, kam auch Wests Absturz. Der meltdown kündigte sich an, oder besser: West kündigte ihn an. Gegen Ende seiner "Life of Pablo"-Tour mündeten seine Konzerte oft in lange Monologe. Denkwürdig der Auftritt in Sacramento, an dessen Ende der Rapper konstatierte, wäre er zur Wahl gegangen, hätte er für Trump gestimmt.
Die vermuteten Gründe für das sonderbare Verhalten hießen Schlafmangel, Erschöpfung, Burnout. Mittlerweile stellte sich heraus, dass es an Opioiden lag, von denen West nach einer Schönheitsoperation abhängig war — "Weil ich schön für euch alle sein wollte", sagte er in einem Interview. Andere Rapper nehmen Xanax, aber das passt nicht so recht zu Wests Arbeitsethos. Im Gegensatz zu den traurigen jungen Rappern, die die angstlösende Medikamente nehmen, um wie auf einer Wolke über den Zumutungen des Neoliberalismus zu schweben, stürzte sich West voll in seine Selbstinszenierung als Universalgenie. West: "Was sagt das über die Gesellschaft aus, wenn alle Leute Angst vor Positivität und Kreativität haben?", und weiter: "Die Musik ist eine Trojanisches Pferd für die Kunst, die ich mache. Ich bin eine Produktion meiner selbst." West war der Idealtypus des Künstlers im 21. Jahrhundert.
Kurz nach seinem Burnout und nach einem Psychiatrieaufenthalt besuchte West Donald Trump. Er habe mit dem künftigen Präsidenten über multikulturelle Probleme gesprochen, Mobbing, Gewalt in Chicago. Große Irritation, galt er doch bisher eher als liberal. Die Medien waren in Aufruhr: Erkannte hier etwa ein pathologischer Narzisst den anderen als Verbündeten?
Dann war es lange still, besonders auf Twitter. Bis Mitte April, als West wieder anfing zu twittern. Es war die Rede von der universellen Liebe, vom geistigen Gefängnis, aus dem man sich befreien solle. Und wieder seine Unterstützung für den US-Präsidenten: "We are both dragon energy. He is my brother." Bekannte Rapper-Kollegen entfolgten West.
Trumps "nichtpolitische Rhetorik" finde er zukunftsweisend, sagte West schon 2016. Und in diesem Jahr: "Nur weil mir Trump gefällt, heißt das nicht, dass ich Black Lives Matter nicht unterstütze." Vielleicht, so vermutet der "Atlantic", wählt sich West seine politische Zugehörigkeit nach Stil, nicht nach Inhalten. Vielleicht sieht er in Trump einen ästhetischen Erneuerer, beinahe einen Künstler, ungefähr im Sinne von Beuys' Erweitertem Kunstbegriff. Vielleicht glaubt West jetzt, dass ausgerechnet Trump die Avantgarde ist.
Schließlich postet der Rapper ein Bild von Joseph Beuys, dann ein Bild aus dessen Aktion "I like America and America likes Me". Dann eine Art Moodboard, bestehend aus einem Block, auf dem der Name Andy steht ("I am Warhol", sagte West mal in einem Interview), ein Buch über den afroamerikanischen Konzeptkünstler David Hammon, und wieder Beuys.
Der verbreitete gerne den Mythos, wie er 1944 über der Krim als Bordschütze der Luftwaffe abgeschossen wurde, dann von Tataren aufgenommen und gesundgepflegt wurde. Fett und Filz, Lieblingsmaterialien des Künstlers, spielten dabei eine entscheidende, wundersame Rolle. West bastelt auch an seinem Künstlerimage, nur gehört zu seiner Heilung nach dem Burnout nicht der Beuyssche Wunderfilz (auch wenn die Kleidung seiner Modemarke Yeezy der Farbpalette von Beuys sehr nahe kommt). Vielleicht geht es doch nur um das, worum es so oft geht: Aufmerksamkeit. Und die braucht gerade Donald Trump auch.