"Art Leaders Network" hieß die Konferenz, die die ehrwürdige "New York Times" am Mittwoch vor dem Gallery Weekend erstmals in Berlin veranstalten wollte. Warum nicht vorbeigehen. Am Tag vorher allerdings kam die Mail der Pressestelle: Journalisten seien in einem separaten Presseraum, den sie bitte nicht verlassen sollten. Die Talks könnten sie auf einem Bildschirm verfolgen. Glauben die, dass sie das Weltwirtschaftsforum in Davos sind? Da schaue ich doch lieber Ted Talks auf Youtube. Auf meine entsprechende Mail an die Veranstalter kam die gequälte Versicherung: Man werde versuchen, den Journalisten noch Stehplätze hinten in der Halle zu organisieren. Nein danke!
So habe ich also nicht von nahem gesehen, was für Leute eigentlich 2000 Dollar für ein paar Talks ausgeben, die sie in ähnlicher Qualität auf der Frieze oder auf der Art Basel auch umsonst anschauen können. Und leider auch verpasst, wie Gallery-Weekend-Direktorin Maike Cruse auf einem Panel über die Situation von kleinen und mittleren Galerien in Richtung der großen Auktionshäuser Christie's und Sotheby's schoss.
Die haben nämlich mittlerweile auch mitbekommen, dass das Gallery-Weekend-Wochenende für Kunstleute das interessanteste des Jahres ist in Berlin und sich mit diversen Veranstaltungen drangehängt: Christie's hatte den Eröffnungsempfang für seine Pop-Up-Show gleichzeitig mit dem des Gallery-Weekends organisiert, Sotheby's nervte Sammler mit den vielen VIP-Events bei Johann König (ob das der Grund war, warum König neuerdings immer diese Monica-Bonvicini-Kappe mit der Aufschrift "Guilt" trägt?).
Nun ist es ja grundsätzlich nett, wenn beim Gallery Weekend alle mitmachen wollen, von Galerien bis zur Matratzenmarke Casper ("cool drinks, good tunes, energizing naps to get you ready for Gallery Weekend") . Allerdings bedeutet das auch, dass die Galerien, die offiziell mitmachen, das hübsche VIP-Programm finanzieren und alle anderen davon profitieren, ohne irgendetwas zu investieren. Auch die größten Kritiker des Gallery-Weekends, die ihr wohlfeiles Bashing mit Trigger-Wörtern wie "Markt", "Elite", "Power Player" durchsetzen, lassen es sich nämlich nicht nehmen, just an diesem Wochenende ihre Eröffnungen zu feiern und die Sammler zu sich hinein zu winken. Cruse schlug deswegen eine Art Fonds vor, in dem zum Beispiel Christie's und Sotheby's einzahlen können, wenn sie wirklich dieses Kunstwochenende als gemeinsame Veranstaltung mit der Galerienszene sehen.
Doch Scharmützel beiseite: Beim Gallery Weekend muss man losfahren und gucken. Bei Dittrich & Schlechtriem steht Andreas Greiner rum, leicht zerzaust und wunderbar nerdig, und erklärt seine abgefahrene Installation mit fluoreszierenden Algen, die am Höhepunkt eines Soundpieces von den Subwoofern zum Leuchten gebracht werden. In dem Stück wird erzählt, wie die Menschheit ihre Nervensysteme vernetzt, unter Wasser geht und irgendwann als einziger Organismus durch's All düst – Körper braucht man nicht mehr.
Zum Glück ist es noch nicht ganz so weit, noch funktionieren die Beine, und die Bewegungsprothese, vulgo Fahrrad, rollt weiter nach Mitte, wo Helmut Berger bei Neugerriemschneider in einer Performance von Mario Garcia Torres monologisiert. Ach, deshalb saß der am Abend vorher bei dem Dinner am Tisch. Beim Essen sprang er mehrfach unvermittelt auf und filmte die Runde mit seinem Smartphone. Vielleicht als vorbeugende Rache für die vielen Handys, in die er jetzt schauen muss.
Judy Lübke steht derweil in tadellosem, rosafarbenem Dreiteiler in seiner Galerie vor seinen Tim-Eitel-Bildern und lässt die nicht nachlassenden Wellen von Mitte-Touris über sich hinwegrollen. Mitleid wehrt er ab: Er habe hier schließlich einen Vermittlungsauftrag. Noch so einer, der gerade mehr macht als er müsste. So wie auch Alexander Levy, bei dem Julius von Bismarck noch am Donnerstag schwitzend schraubte, bis am Freitag dann das Laufband, das den ganzen Galerieboden bedeckt, wirklich funktionierte.
Selbstverschwendung und Exzess, das geht eben nicht nur im Feiern, sondern auch in der Kunst selbst, die die Leute ja vor allem deshalb machen, weil sie es wollen, und zwar richtig. Womit wir bei Ngorongoro wären, der Vier-Tages-Ausstellung auf dem Ateliergelände an der Lehderstraße in Weißensee. Vor drei Jahren hatte eine Gruppe von Künstlern um den Besitzer des Geländes Jonas Burgert zum ersten Mal dieses Kunstwochenende organsiert, jetzt sind sie wieder da. Mit 160 Künstlern, deren Werke hierarchiefrei, ohne Label und rein nach Themen geordnet in den vielen sanierten und unsanierten Gebäuden auf dem Gelände installiert sind.
Die Kunst ist super, das Kind planscht im Pool, und die Großzügigkeit der Veranstalter, die Massen von Leuten durch ihren Lebens- und Arbeitsraum latschen lassen und hinterher klaglos den Rasen erneuern, flirrt zischend durch die Luft wie die Blitze zwischen den zwei Straßenlaternen von Michael Sailstorfer. Da ist es ja wieder, dieses Berlin, in dem Leute einfach was machen, weil es funzt.
Um zu erfassen, wie tief das wirklich geht mit Berlin, braucht es dann aber einen 71-jährigen schwulen Kanadier mit Brille und Rauschebart. Ich dachte, na gut, PR-Event mit BMW im Soho House, am besten an den Eingang stellen, dann kann man schnell wieder weg. Dann kommt A.A. Bronson auf die Bühne und trägt einen "Love Letter to Berlin" vor. Er fängt ganz harmlos an, dankt den Gastgebern, dankt seiner Galerie. Und widmet seinen Brief dann, in den drängenden Kadenzen von Allen Ginsbergs "The Howl", all denen, die die Stadt ausmachen, vom Hipster bis zum Flüchtling. Zu den Lebenden kommen die Toten, die des Holocaust, der Mauer, der Aids-Krise. Bronson breitet die ganze Geschichte dieser Stadt aus, deren Leuchten aus ihrer dunklen Vergangenheit kommt, er schüttet seine ganze Liebe über ihr aus. Am Ende laufen ihm die Tränen über das Gesicht, und mir auch. Beim Gallery Weekend gewesen. Geweint.