Wir sind selbst schuld. Es muss so sein. Denn würden wir alle einfach brav und ganz selbstverständlich das neue Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre kaufen, müsste er nicht 24 Stunden am Tag auf Instagram senden. Schade. Stuckrad-Barres und Lars Eidingers Instagram-Stories zu verfolgen, ist ein Vollzeitjob. Man könnte wegklicken. Wahlweise nicht mehr reinklicken. Geht nicht. Bei mir jedenfalls. Das ist nämlich wie den ganzen Tag süße Tiervideos gucken. Nur anders herzzerreißend.
Die Beiträge in den Stories werden nach 24 Stunden automatisch von Instagram wieder gelöscht. Das macht das Feature so attraktiv. Man kann wieder ganz ungezwungen posten, wie früher, als Instagram noch neu und nicht auf Perfektion getrimmt war. Plötzlich ist wieder alles dokumentierwürdig und nicht nur das, was die meisten Likes bringt. Avocado-Toast, Postkartenidylle, Sonnenuntergang. Der "Pics or it didn't happen"-Gedanke funktioniert hier besonders gut. Im doppelten Sinn ist nichts passiert, weil die Bilder ja wieder verschwinden. Und plötzlich werden wieder die belanglosesten Belanglosigkeiten festgehalten. Manch einer dokumentiert seinen Tag vom Aufstehen bis zum Zubettgehen mit eingeblendeter Uhrzeit. Langweilig, genau.
Instagram-Stories sind das neue Dschungelcamp. Ziel scheint es auch hier zu sein, die Gunst der Zuschauer zu gewinnen und irgendetwas an den Mann zu bringen. Ein Buch. Einen Film. Sich selbst. Dank Instagram müssen C-Promis dafür jetzt nicht einmal mehr in den Dschungel und eklige Insekten essen, nerven müssen sie trotzdem noch. Anders lässt sich der Kampf um Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit nicht gewinnen. Auf Twitter derweil wird schon mal hinter vorgehaltener Hand getuschelt:
Hilft ja alles nichts, das neue Buch muss verkauft werden. Nur, wann hört das wieder auf? Wenn Udo Lindenberg hilft und eine Auflage kauft? Und noch eine? Und dann noch eine? Jetzt hat natürlich nicht jeder einen Udo Lindenberg als Freund oder wie Heidi Klum einen Tokio Hotel-Zwilling als Knutschpartner oder wie Nan Goldin eine Kollektion mit Supreme.
Das ist noch lange kein Grund, über die Instagram-Stories für Dauerberieselung zu sorgen wie so ein Homeshopping-Sender. Vermutlich doch. Trotzdem: Besser lassen, bitte.
Wie es anders geht, dafür könnte Maurizio Cattelan ein Beispiel sein. Der italienische Künstler – es ist so angenehm – nennt seinen Account, so steht es in der Profilbeschreibung: "The Single Post Instagram". Er postet ein Bild. Lässt es 24 Stunden stehen. Löscht. Postet ein neues Bild. Und dann geht wieder alles von vorne los. Ein never ending Adventskalender. Jeden Tag kann man ein Türchen aufmachen. Das ist tatsächlich das Problem an der ganzen Angelegenheit. Man muss selbst aktiv werden – mir zumindest hat der Instagram-Algorithmus noch nicht ein einziges Mal einen Beitrag von Cattelan angezeigt. Instagram würde sagen: "Du hast nicht weit genug nach unten gescrollt in Deiner Timeline." Wie dem auch sei, im besten Fall denken seine Follower täglich an ihn.
Ein Marketing-Meisterwerk oder zumindest: gekonntes Marketing. Begrenzte Verfügbarkeit, künstliche Verknappung. Er könnte die Bilder ja einfach stehen lassen, wie es sonst auf Instagram üblich ist, damit sich jeder zu jederzeit alles ansehen kann. Apple, Balenciaga und Supreme beispielsweise machen vor, wie man einen Hype erzeugt oder zumindest Begehrlichkeiten weckt. Bei Cattelan allerdings besteht die Challenge nicht darin, Unsummen aufzuwenden oder über Ausdauer und Wissen zu verfügen, um an den nächsten Drop zu kommen. Die Nutzung von Instagram kostet nichts und ein Account-Name ist auch leicht eingetippt. Cattelan spielt mit der FOMO (fear of missing out), der Angst etwas zu verpassen. Obwohl man natürlich nicht wirklich etwas verpasst, wenn man ein Posting von Cattelan auf seinem Instagram nicht sieht.
Vor ein paar Tagen beispielsweise hat er ein Bild aus der Plakatkampagne geteilt, die er für das Onlinedating-Plattform OkCupid gestaltet hat.
Ein wichtiges Statement gerade angesichts der Proteste gegen Waffengewalt in den USA und der Debatte um Waffengesetze.
Es funktioniert: Cattelan hat mittlerweile 97.000 Follower, täglich kommen ein paar Hunderte hinzu. Er selbst folgt genau null Accounts. Maximales Desinteresse also. Cattelan ist da, um zu senden.
P.S. Der Account @mauriziocattelan_fake spiegelt und archiviert unter dem Titel "The Multi Post Instagram" @mauriziocattelan.