Nevin Aladag, wie haben Sie die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Anwerbeabkommen verfolgt?
Eigentlich eher über die Zeitungen. Ich weiß, dass es viele Veranstaltungen gab und Ausstellungen, zu denen ich auch eingeladen wurde, aber ich habe daran nicht teilnehmen wollen. Dass es gefeiert und aufgearbeitet wurde, finde ich super, aber im Kunstkontext habe ich für mich nichts Spannendes darin gesehen. Nichts, wozu ich ein Statement abgeben wollte.
In den großen nationalen Überblicksausstellungen der vergangenen Jahre wie „German Open“ 1999 im Kunstmuseum Wolfsburg oder „Made in Germany“ 2007 in Hannover gab es keinen einzigen türkischstämmigen Künstler. Wie steht es um die Integration im Kunstkontext?
Ich fand das damals sehr bedauerlich. Es gab eine Trotzveranstaltung im Münchner Kunstverein unter dem Titel „Alman Mali“ – türkisch für „Made in Germany“ –, an der ich teilgenommen habe. Das haben viele als übertrieben angesehen, aber es war eben auch merkwürdig, dass in keine dieser Ausstellungen deutsch-türkische Künstler geladen waren. Das ganze Konzept solcher Überblicksschauen ist fraglich, aber wenn man das schon macht, hätte man auf diese Szene auf jeden Fall eingehen müssen.
Sie sind 1972 im Kurdengebiet im Osten der Türkei geboren – wie kamen Sie nach Deutschland?
Ich war neun Monate alt, noch nicht mal ein Jahr, als meine Eltern mit uns nach Deutschland emigrierten. Beide haben sowohl türkische als auch kurdische Vorfahren. Das glaubt keiner, der nationalistisch denkt, aber das kommt gerade in Anatolien sehr oft vor. Mein Vater arbeitete als Lehrer, und wenn du da „Auch-Kurde“ bist, hast du kaum Aufstiegschancen. Daher ist er emigriert und hat dann in Stuttgart als Mechaniker bei Porsche angefangen und ist später in den Betriebsrat aufgestiegen. Ich habe bei Olaf Metzel an der Münchner Kunstakademie studiert und mich eigentlich nie ghettoisiert gefühlt. Ich weiß nicht, wie es in Berlin gewesen wäre, vielleicht funktioniert Immigration im Süden Deutschlands besser. Ich habe eigentlich erst in Berlin das Gefühl gehabt, als Türkin wahrgenommen zu werden.
Alle Welt schwärmt von Istanbul als Kunstzentrum. Gibt es in Berlin eine ähnlich aktive Szene türkisch-stämmiger Künstler?
Als ich vor acht oder neun Jahren meine erste Ausstellung in der Stadt hatte, habe ich eine türkisch-stämmige Szene kennengerlernt. Künstler, die hier aufgewachsen sind, sich regelmäßig treffen, gemeinsam ausstellen. Es gibt den Tanas-Raum, den René Block in Kooperation mit einem türkischen Sammler betreibt. Aber ich glaube, das ist in Berlin der einzige Ort für bildende Kunst. Im Bereich der Musik, beim Tanz oder Theater ist man in Berlin viel weiter als in der Kunst. Für meine Entwicklung war das Elternhaus sehr wichtig – wenn das Umfeld so etwas nicht fördert, ist es sehr schwierig.
Welche Rolle spielen Heimat und Identität in Ihren Arbeiten?
Identität ist sicher ein zentraler Aspekt, Heimat eher nicht. Ich habe in einer früheren Arbeit einmal die drei mir zugetragenen Nationalitäten in Brailleschrift auf T-Shirts gedruckt – aber es war dadurch codiert und nicht für jedermann lesbar. Es ging mir um den Widerspruch aus „Message“, nationalen Zuschreibungen, der Kleidung als „Hautwechsel“, und ich wollte einen ironischen Kommentar abliefern zu den „deutschen“, „kurdischen“ und „türkischen“ Ausstellungen, zu denen ich eingeladen werde. Die Frage stelle ich mir immer wieder: Wem sind solche Zuschreibungen wichtig, wer will einen positionieren, will man das selbst überhaupt?
Aktuell nehmen Sie an der Gruppenausstellung „Heimatkunde – 30 Künstler blicken auf Deutschland“ im Jüdischen Museum Berlin teil …
Richtig. Zunächst hatte ich große Zweifel an der Ausstellung. Ich empfinde mich schon als sehr deutsch, ohne mir das immer bewusst machen zu müssen. Und darum allein kann es ja nicht gehen. Ich reise viel, ich habe Stipendien in aller Welt, es gibt so viele Einflüsse und gar nicht unbedingt die Sehnsucht, sich deutsch zu fühlen. Es ist manchmal eher der Kampf, sich akzeptiert zu fühlen. Aber das ist nichts, was mich quält. Ich verstehe Identität eher global, es gibt viele Rollen, die man spielt: Geschlechterrollen oder die Rolle in der Gesellschaft – das interessiert mich eigentlich mehr.
Das heißt, Sie fühlen sich oft eingeengt auf eine bestimmte Lesart?
Ich finde schon, ja. In Friedrichshafen habe ich jetzt eine Arbeit realisiert mit dem Titel „Border Sampling“ und dafür unter anderem von der tiefsten Stelle des Bodensees mehrere Wasserproben entnommen. Es geht um das Drei-Länder-Eck Deutschland, Schweiz, Österreich, um Ideale, Grenz-Utopien, das Konzept des internationalen Gewässers … Aber bei mir gab es automatisch den Interpretationsansatz, dass die Arbeit etwas mit meiner Herkunft zu tun habe. Ich versuche, so etwas auch mit Humor zu behandeln, aber es nervt schon manchmal.
„Heimatkunde – 30 Künstler blicken auf Deutschland“, Jüdisches Museum Berlin, bis 29. Januar 2012
Eigentlich eher über die Zeitungen. Ich weiß, dass es viele Veranstaltungen gab und Ausstellungen, zu denen ich auch eingeladen wurde, aber ich habe daran nicht teilnehmen wollen. Dass es gefeiert und aufgearbeitet wurde, finde ich super, aber im Kunstkontext habe ich für mich nichts Spannendes darin gesehen. Nichts, wozu ich ein Statement abgeben wollte.
In den großen nationalen Überblicksausstellungen der vergangenen Jahre wie „German Open“ 1999 im Kunstmuseum Wolfsburg oder „Made in Germany“ 2007 in Hannover gab es keinen einzigen türkischstämmigen Künstler. Wie steht es um die Integration im Kunstkontext?
Ich fand das damals sehr bedauerlich. Es gab eine Trotzveranstaltung im Münchner Kunstverein unter dem Titel „Alman Mali“ – türkisch für „Made in Germany“ –, an der ich teilgenommen habe. Das haben viele als übertrieben angesehen, aber es war eben auch merkwürdig, dass in keine dieser Ausstellungen deutsch-türkische Künstler geladen waren. Das ganze Konzept solcher Überblicksschauen ist fraglich, aber wenn man das schon macht, hätte man auf diese Szene auf jeden Fall eingehen müssen.
Sie sind 1972 im Kurdengebiet im Osten der Türkei geboren – wie kamen Sie nach Deutschland?
Ich war neun Monate alt, noch nicht mal ein Jahr, als meine Eltern mit uns nach Deutschland emigrierten. Beide haben sowohl türkische als auch kurdische Vorfahren. Das glaubt keiner, der nationalistisch denkt, aber das kommt gerade in Anatolien sehr oft vor. Mein Vater arbeitete als Lehrer, und wenn du da „Auch-Kurde“ bist, hast du kaum Aufstiegschancen. Daher ist er emigriert und hat dann in Stuttgart als Mechaniker bei Porsche angefangen und ist später in den Betriebsrat aufgestiegen. Ich habe bei Olaf Metzel an der Münchner Kunstakademie studiert und mich eigentlich nie ghettoisiert gefühlt. Ich weiß nicht, wie es in Berlin gewesen wäre, vielleicht funktioniert Immigration im Süden Deutschlands besser. Ich habe eigentlich erst in Berlin das Gefühl gehabt, als Türkin wahrgenommen zu werden.
Alle Welt schwärmt von Istanbul als Kunstzentrum. Gibt es in Berlin eine ähnlich aktive Szene türkisch-stämmiger Künstler?
Als ich vor acht oder neun Jahren meine erste Ausstellung in der Stadt hatte, habe ich eine türkisch-stämmige Szene kennengerlernt. Künstler, die hier aufgewachsen sind, sich regelmäßig treffen, gemeinsam ausstellen. Es gibt den Tanas-Raum, den René Block in Kooperation mit einem türkischen Sammler betreibt. Aber ich glaube, das ist in Berlin der einzige Ort für bildende Kunst. Im Bereich der Musik, beim Tanz oder Theater ist man in Berlin viel weiter als in der Kunst. Für meine Entwicklung war das Elternhaus sehr wichtig – wenn das Umfeld so etwas nicht fördert, ist es sehr schwierig.
Welche Rolle spielen Heimat und Identität in Ihren Arbeiten?
Identität ist sicher ein zentraler Aspekt, Heimat eher nicht. Ich habe in einer früheren Arbeit einmal die drei mir zugetragenen Nationalitäten in Brailleschrift auf T-Shirts gedruckt – aber es war dadurch codiert und nicht für jedermann lesbar. Es ging mir um den Widerspruch aus „Message“, nationalen Zuschreibungen, der Kleidung als „Hautwechsel“, und ich wollte einen ironischen Kommentar abliefern zu den „deutschen“, „kurdischen“ und „türkischen“ Ausstellungen, zu denen ich eingeladen werde. Die Frage stelle ich mir immer wieder: Wem sind solche Zuschreibungen wichtig, wer will einen positionieren, will man das selbst überhaupt?
Aktuell nehmen Sie an der Gruppenausstellung „Heimatkunde – 30 Künstler blicken auf Deutschland“ im Jüdischen Museum Berlin teil …
Richtig. Zunächst hatte ich große Zweifel an der Ausstellung. Ich empfinde mich schon als sehr deutsch, ohne mir das immer bewusst machen zu müssen. Und darum allein kann es ja nicht gehen. Ich reise viel, ich habe Stipendien in aller Welt, es gibt so viele Einflüsse und gar nicht unbedingt die Sehnsucht, sich deutsch zu fühlen. Es ist manchmal eher der Kampf, sich akzeptiert zu fühlen. Aber das ist nichts, was mich quält. Ich verstehe Identität eher global, es gibt viele Rollen, die man spielt: Geschlechterrollen oder die Rolle in der Gesellschaft – das interessiert mich eigentlich mehr.
Das heißt, Sie fühlen sich oft eingeengt auf eine bestimmte Lesart?
Ich finde schon, ja. In Friedrichshafen habe ich jetzt eine Arbeit realisiert mit dem Titel „Border Sampling“ und dafür unter anderem von der tiefsten Stelle des Bodensees mehrere Wasserproben entnommen. Es geht um das Drei-Länder-Eck Deutschland, Schweiz, Österreich, um Ideale, Grenz-Utopien, das Konzept des internationalen Gewässers … Aber bei mir gab es automatisch den Interpretationsansatz, dass die Arbeit etwas mit meiner Herkunft zu tun habe. Ich versuche, so etwas auch mit Humor zu behandeln, aber es nervt schon manchmal.
„Heimatkunde – 30 Künstler blicken auf Deutschland“, Jüdisches Museum Berlin, bis 29. Januar 2012