Es braucht nur ein wenig Alkohol, darin gelöste Essenzen, und schon kommen die Ichgrenzen ins Schwanken. "Parfüm macht es möglich, dass ich gleichzeitig innerhalb und außerhalb meines Körpers sein kann", sagt die Kuratorin Sara Diamond in der Videoinstallation "Smell You > Smell Me" (2003). Die Arbeit von Jenny Marketou ist Teil der Ausstellung "Belle Haleine – Der Duft der Kunst" im Museum Tinguely in Basel, die mühelos schafft, was bei vielen zeitgenössischen Künstlern nur theoretisch funktioniert: die Begegnung des Rezipienten mit sich selbst. Der Weg führt dabei durch die Nase.
In der Antike war der Geruch das Aschenputtel unter den Sinnen, mittlerweile gibt es neben Duftopern auch olfaktorisch veredelte Einkaufszentren. Im Gegensatz zu Wellness-Tempeln wie dem Dampfbad Basel, das damit wirbt, die "Sinne zu berühren", ist "Belle Haleine" jedoch nicht bloß Erlebnis. Die versammelten Werke behandeln mit den Aromen von Metall, Kurkuma, Schweiß, Öl und Lilien dringliche Fragen. So umgarnt in einem abgeschlossenen Raum ein weiblich-süßer Duft ein leichtes Nachthemd. Die Kanadierin Jana Sterbak hat mit "Chemise de Nuit" (1993–2013) eine Geisterfrau erschaffen, die erst bei näherer Betrachtung ihre Brusthaare offenbart.
Geruch ist, so denkt man, immer direkt, er kann sich nicht verstellen. Oder doch? Im Untergeschoss bläst ein abstrahierter Drache von Carsten Höller geruchlosen weißen Rauch aus seiner Schnauze. Er enthält unter anderem Pheromone, die sexuell anziehend wirken können. Die norwegische Geruchsforscherin Sissel Tolaas gibt einem überhaupt nichts zu sehen, bei ihrem Werk dringt der Angstschweiß von elf Männern, die an Phobien leiden, aus den Wänden. Und was wäre eine Ausstellung über Geruch ohne Scheiße? Für die Serie "Merda d’artista" hat der Italiener Piero Manzoni 1961 angeblich seinen Kot in Dosen konserviert. Ob darin tatsächlich jeweils 30 Gramm vor sich hin gären, bleibt der Vorstellung überlassen. Zu riechen ist bei dem in Basel präsentierten Stück jedenfalls nichts.
Ihren Titel leiht die Schau von Marcel Duchamps und Man Rays Flakon-Readymade "Belle Haleine: Eau de Voilette" (1921). Aber im großen Stil ist der Geruch erst in den vergangenen 20 Jahren in die Kunst vorgedrungen – und so ist es legitim, dass sich die Ausstellung auf diese Periode konzentriert. Erinnerung, Schmerz, Erotik, Abscheu und Illusion: Das Spiel funktioniert. Jedoch könnte es gern noch weiter ausgereizt werden, sei es mit einem Geruch, der kippt, oder einem Kommentar zur heutigen Deogesellschaft.
Am Ende des Parcours hat der Norweger Kristoffer Myskja seine "Smoking Machine" (2007/14) aufgebaut, einen Kettenraucher aus Metall, dem der Qualm nicht schaden kann. Und hier wird einem bewusst: Auch wenn man viele Exponate ihrer Raffinesse und Vielschichtigkeit wegen noch länger studieren möchte – manche Räume muss man schnellstmöglich verlassen.