Spendenaktion

Wie der geplante Obelisk-Ankauf Kassel spaltet

Kassel will den Documenta-Obelisken von Bode-Preisträger Olu Oguibe mit Spendengeldern ankaufen. Doch das 600.000 Euro teure Kunstwerk hat in Nordhessen nicht nur Freunde

Der Stein des Kasseler Anstoßes ist 16 Meter hoch, aus Beton und mit Goldlettern beschrieben. Knapp ein halbes Jahr nach dem Ende der Documenta 14 sind die allermeisten Spuren der Weltkunstschau aus der nordhessischen Stadt verschwunden, nur auf dem Königsplatz, wo die polierte Kasseler Einkaufsmeile in die rauere Nordstadt übergeht, sendet der Obelisk des amerikanisch-nigerianischen Künstlers Olu Oguibe noch immer seine viersprachige biblische Botschaft in alle Himmelsrichtungen: "Ich war ein Fremdling, und ihr habt mich beherbergt."

Die Frage, ob dieses durch die Flüchtlingsdebatte politisch aufgeladene Hauptwerk der d14 dort dauerhaft eine Heimat finden soll, sorgt in Kassel derzeit für erbitterte Diskussionen. Gegen den Ankauf der Stele mit Nächstenliebe-Botschaft, der durch Spendengelder gestemmt werden soll, regt sich in der Kasseler Bevölkerung Widerstand. "Hohler Pfosten", "Plattenbau", "Beton-Phallus" - an unschmeichelhaften Spitznamen mangelt es dem Obelisken in der Documenta-Stadt schon seit dem Sommer nicht.

Seit aber bekannt ist, dass Olu Oguibe 600.000 Euro für sein Werk haben will, hat sich bei vielen Kasselern eine Mischung aus Ungläubigkeit und Entsetzen breitgemacht. Über eine halbe Million Euro für einen Betonklotz? Im Internet und rund um den Königsplatz wird genüsslich vorgerechnet, wo dieses Geld alternativ und vermeintlich besser aufgehoben wäre. Kunst wird gegen Kitas und Kinderkrebshilfe ausgespielt. Ein besonders aufgebrachter Ankaufsgegner hat seinen Unmut sogar mit Farbe auf den Obelisken geschmiert: "600.000? Seid ihr blöd?" malte ein alkoholisierter 55-Jähriger mit weißer Farbe an eine Betonflanke. Und um dem Verdacht der rechten Gesinnung zu zerstreuen präzisierte er: "No nazi. Just brain." Hier wähnte sich ein Vernunftbürger als Mahner gegen den irrational entfesselten Kunstmarkt. 

Dass die Debatte jedoch eine politische Dimension hat, lässt sich kaum abstreiten. Nach einer Documenta, die inhaltlich mit radikal linken Positionen provoziert und ein Millionendefizit hinterlassen hat, das längst nicht aufgearbeitet ist, scheint sich das Verständnis für weitere Kunst-Finanzspritzen in Grenzen zu halten - selbst wenn der Kaufpreis nicht mit Steuergeldern, sondern durch private Spenden gezahlt werden soll. Nachdem Adam Szymczyk viele seiner Künstler als marktferne Kapitalismusgegner inszeniert hat, sind viele überrascht, dass plötzlich eine sechsstellige Summe im Raum steht – und die Documenta selbst zum rasant gestiegenen Marktwert von Olu Oguibe beigetragen hat.

"Die Debatte hat mit der Akzeptanz der Documenta zu tun", sagt Jörg Sperling, Vorsitzender des Kasseler Documenta-Forums, dem Förderverein der Weltkunstschau. "Wenn Sie darüber abstimmen lassen würden, ob Kassel die Documenta braucht, bin ich nicht sicher, ob Sie im Moment eine Mehrheit für die Kunst bekommen würden." Obwohl es auch unter den Mitgliedern Diskussionen über den Obelisken gibt (die Bedenken reichen vom recht profanen Material des Kunstwerks bis hin zur gestörten Symmetrie des Königsplatzes und der finanziellen Beteiligung des umstrittenen angolanischen Unternehmers Sindika Dokolo an den Produktionskosten) hat sich das Documenta-Forum für einen Ankauf des Obelisken ausgesprochen. "Wir gehen davon aus, dass das Werk die richtige Stellungnahme zur richtigen Zeit ist", sagt Jörg Sperling. "Es wird irgendwann an politisch schwierige Jahre und die Diskussion um Fremdenhass erinnern."

Für ein wichtiges Zeichen der Humanität und ein Symbol der Documenta 14 hält den Obelisken auch die Kasseler Kulturdezernentin Susanne Völker. "Wir hoffen, dass er bleibt und halten auch den Königsplatz für den richtigen Standort", sagt sie. Kritik, dass die Entscheidung zu lange verschleppt und der Kaufpreis zu früh kommuniziert wurde, weist die parteilose Politikerin zurück. "Direkt nach der Documenta wurde nur noch über Geld und die Organisationsstruktur geredet", sagt Susanne Völker. "Die Kunst kam nicht mehr vor." Den Spendenaufruf hält die Stadt nun für ein basisdemokratisches Vorgehen, das auch im Sinne von Olu Oguibe sei. "Der Preis hat in Kassel etwas ausgelöst, aber dem Künstler war es wichtig, den Prozess transparent zu machen und auch offen über einen möglichen Preis zu sprechen."

Bisher ist die finanzielle Unterstützung der Bürger überschaubar. Drei Wochen nach Beginn der Kampagne sind laut Susanne Völker knapp 100.000 Euro eingegangen. Bis Ende April will Kassel noch um Spenden werben, dann soll Oguibe entscheiden, ob er die angehäufte Summe akzeptiert, oder ob das Werk abgebaut wird und damit die d14 ganz aus dem Stadtraum verschwindet. "Das letzte Wort über den Preis ist noch nicht gesprochen", sagt Susanne Völker. "Aber der Künstler will auch deutlich machen, dass sein Werk einen bestimmten Wert hat."

Olu Oguibe selbst ist überzeugt, dass die vielen ablehnenden Reaktionen gegen seinen Obelisken inhaltlich motiviert sind. "Das Geld ist nicht das Problem, die Botschaft ist das Problem", schreibt der Künstler per E-Mail und verweist auf den ähnlichen Ankaufsprozess der Baumskulptur von Giuseppe Penone nach der Documenta 13. "Wenn die Kasseler eine halbe Million Euro bezahlen können, um einen Bronzebaum mit einem Stein zu kaufen, können sie sicherlich die gleiche Summe in ein Werk zu einem wichtigen, unvermeidbaren Thema investieren." (Offiziell wurde 2012 kein Kaufpreis für den Penone-Baum kommuniziert, die Sponsoren wurden ohne öffentliche Kampagne hinter den Kulissen aufgetrieben.)

Olu Oguibe, der immer wieder betont hat, dass sein Werk für Kassel gemacht ist, appelliert an die Bevölkerung, durch eine Spende für den Obelisken politisch Stellung zu beziehen. Schließlich hat die AfD im Stadtparlement den Appell an Gastfreundschaft als "entstellte Kunst" bezeichnet und Demonstrationen auf dem Königsplatz angekündigt, wann immer ein Flüchtling einen Anschlag verübe. Oguibes Stellungnahme zeigt, wie verzwickt die Situation in Kassel inzwischen ist. Formale Kritik am Obelisken oder Argumente gegen die Höhe des Kaufpreises lassen sich kaum noch von politischen Positionen und der Haltung in der Flüchtlingsdebatte trennen. Die d14 wühlt die Region auch ein halbes Jahr nach ihrem Ende auf.

Olu Oguibes Botschaft an den Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) ist unmissverständlich. Er fordert mehr öffentliche Unterstützung für sein Kunstwerk und die damit verbundene Botschaft: "Der Bürgermeister muss sich entscheiden, welches Bild er vermitteln will", schreibt Oguibe. "Will er der Welt ein Kassel präsentieren, wie es sich Arnold Bode vorgestellt hat: eine offene kulturfreundliche Stadt, die Kunst ernst nimmt und Menschen willkommen heißt? Oder will er ein Kassel zeigen, dass von der AfD und den Hasspredigern geformt wird?"