"Das Schöne, wenn man Künstler ist: Man kann zu allem nein sagen", sagt Jordan Wolfson während er Nüsse knabbert. Ein Reporter möchte ihn in der Ausstellung fotografieren, der 37-Jährige möchte das lieber nicht. Besser sei es schließlich, sagt er, wenn man die Arbeiten fotografiert. Wolfson trägt einen dunkelblauen Adidas-Hoodie und Wanderschuhe, und über seine Werke sagt er angenehm wenig. Er verweigert selbst jede Sinnzuschreibung, die Lesarten anderer sind ihm meistens befremdlich: "Die Welt geht durch mich durch, dann gibt es eine Reaktion. Das ist dann die Arbeit." Seine Videos sind bunt und laut. Sie sind bevölkert von computeranimierten Punk-Ratten, Pferden, und sie sind voll mit gefundenem content aus dem Internet, mit Pop und nochmal Pop.
Wolfson führt durch den Schinkel Pavillon, wo es drei seiner Arbeiten zu sehen gibt: ein Video, eine Assemblage und ein Virtual Reality-Video. Nur seine animatronischen Werke "Female Figure" und "Colored Sculpture" seien nicht dabei, fügt Wolfson beinahe entschuldigend hinzu. Die haben ihm zu Aufmerksamkeit bei Instagram verholfen. Nicht, dass er die nötig gehabt hätte. Sein Galerist David Zwirner bezuschusste 2014 "Female Figure" schon vorab mit einer halben Million Dollar. Ein Studio für Spezialeffekte, das ausgerechnet Spectral Motion heißt, half ihm, die lebensgroße gespenstische Puppe zu realisieren.
Die kaum bekleidete Frauenfigur tanzt, befestig an einem horizontalen Pfahl. Dazu singen Lady Gaga, Robin Thicke und Paul Simon. Der Roboter sagt: "My mother is dead, my father is dead, I'm gay, I'd like to be a poet, this is my house." Die Mechanik surrt, die Bewegungen fließen. Lässt sich die Arbeit als Kritik an der Objektivierung des weiblichen Körpers im Pop lesen? Vielleicht. "Die Idee dabei ist, dass die Skulptur zwischen Objekt und Subjekt changiert", erklärt Wolfson, aber vor alle anderen Lesarten drängt sich das unheimliche Eigenleben des Roboters, wenn er die Betrachter mit seinen dunklen Augen hinter der dunkelgrünen Maske fixiert. Die Technologie erlaubt, dass die Kameras auf Betrachter reagieren. Man spürt den Blick der Skulptur auf sich ruhen.
"Female Figure" steckt voller schwarzromantischer Motive: die belebte Puppe, die Maske, der Spiegel. Wolfson hat einen geheimen Namen für die Figur, den er niemandem verrät: "Das ist eine Sache zwischen ihr und mir", und das klingt fast wie aus der Liebesgeschichte vom antiken Bildhauers Pygmalion und seiner Skulptur Galatea. Eines abends arbeitete Wolfson in seinem Atelier bei Los Angeles, und als der Roboter aufblickte und ihm direkt in die Augen sah, bekam er es mit der Angst zu tun. Schnell verließ er das Gebäude.
"Mit bewegten Skulpturen lässt sich eine Chronologie in die Komposition einbauen. Ich habe zehn Minuten, und dann passieren verschiedene Sachen", sagt er. Weil er genau daran weiter arbeiten will, ist die neueste Arbeit im Schinkel Pavillon, "Riverboat Song", auch sein letztes Video. Die Hauptfigur ist ein alter Bekannter aus Wolfsons Werk, ein Trickster, oder genauer: eine "American trickster figure", wie Wolfson es nennt. Die gerenderte koboldhafte Figur ist zu gleichen Teilen Alfred E. Newman und Huckleberry Finn. Sie erinnert an den selbstzerstörerischen Zeichentrickjungen aus "Raspberry Poser" (2012), oder an die gequälte Riesenmarionette aus "Colored Sculpture" (2016). In jedem Fall ist sie narzisstisch und selbstbezogen, kurz: Es ist ein Vergnügen ihr zuzusehen.
Im vergangene Jahr sorgte ein anderes Video von Wolfson für Aufsehen. Seine Virtual-Reality-Arbeit "Real Violence" ist eines dieser Kunstwerke, die man kennt, ohne sie gesehen zu haben. Der formale Aufbau erinnert an die Enthauptungsvideos des IS: Ein Mann kniet, ein Mann steht. Letzterer trägt die Züge des Künstlers. Im Hintergrund zu sehen ist eine Straße, zu hören sind Verse aus einem Channuka-Gebet. Der Stehende nimmt einen Baseballschläger und schlägt auf den Knieenden ein. Der verliert das Bewusstsein, unklar, ob er am Ende noch lebt. Dabei ist natürlich niemand zu Schaden gekommen. Mit der von Snapchat bekannten Face Swap-Technologie hat Wolfson sein Gesicht auf einen gerenderten Akteur kopiert.
Weder online noch gedruckt gibt es Aufnahmen der Arbeit. Wolfson: "Es ist okay, wenn Leute fotografiert werden, wie sie die Arbeit betrachten. Aber die Erfahrung soll innerlich bleiben. Das Werk soll nicht instagrammable sein." Und: "Die Arbeit ist kein Loop. Manche wollen sich das zehnmal hintereinander ansehen, um dann zu erklären, worum es wirklich geht. Aber dann sieht man das Video nicht. Man sieht es nur, wenn man es einmal anschaut" — als würde der Schockeffekt nur einmal funktionieren. "Ich wollte herausfinden, was am Medium VR problematisch ist. Das war Interaktivität. Also versuchte ich, nach und nach die interaktiven Aspekte zu entfernen."
Eine Erklärung für den Gewaltakt liefert der kurze Film nicht. "Kann man Gewalt als Rohmaterial benutzen, ohne sie zu verneinen?" fragt Wolfson und macht dabei eine Handbewegung, als würde er einen unsichtbaren Faden spannen. Dann dreht er den unsichtbaren Faden um seinen Zeigefinger: "Kann man das so weit treiben, bis die Gewalt zu etwas Anderem wird?" Bei der Whitney Biennale im vergangenen Jahr geriet Jordan Wolfson in den Wirbel um Identitätspolitik und in die Diskussion darüber, wer das Recht habe, Gewalt darzustellen: In "Real Violence" verprügelt ein Weißer einen Weißen, während im Sommer 2017 in den USA rassistische Mobs auf die Straße gehen. Die Frage nach dem Privileg des weißen Mannes wurde gestellt: Ist es nicht ein Privileg, nicht über seine Privilegien nachdenken zu müssen? Muss man weiß sein, um einen Gewaltakt als politisch neutral zu begreifen? Ist Wolfson naiv, zynisch oder beides, wenn er einen brutalen Akt als politisch neutral, schlimmstenfalls als rein ästhetische Form zeigt? Und überhaupt: Ist das nicht Pornografie? Schnell war der Künstler in einer Position, in der er nur das Falsche antworten konnte.
Eine Sache stellt Wolfson schnell klar: "Ich bin kein Trump-Unterstützer. Ich bin auch nicht gegen Hilary Clinton." In seiner unbetitelten Assemblage von 2017 benutzt Wolfson eine Anti-Hilary-Karikatur, die die Kandidatin als Hexe zeigt, die in einem Kessel mit verlorenen E-Mails rührt. Links und rechts des stark vergrößerten Cartoons hängen zwei Lederjacken, Merchandise der Punk-Band The Subhumans, ebenfalls übermalt. "Ich habe die Sprache weggenommen und meine Unterschrift hinzugefügt. Als Künstler ist mir wichtig, die Welt unzensiert zu betrachten." Bloß, wer soll sich in diesem Wald aus Zeichen noch zurechtfinden?
Einer der gefundenen Youtube-Schnipsel in "Riverboat Song" ist so etwas wie die Urszene von "Real Violence". Wolfson: "Das ist eine schreckliche Szene. Ein Afroamerikaner wird von einem fetten weißen Trump-Unterstützer verprügelt. Und in diesem Clip wird der Mann zum Objekt gemacht, als würde sein Bewusstsein verschwinden. Das ist schwer zu ertragen." Gerahmt wird der Clip durch Songs von Iggy Azalea und Bob Dylan. "Das alles gibt es in unserer Welt, das ist überall im Internet. Das Absurde ist die Banalität. Was hat so etwas Hässliches in der Kunst zu suchen? Meine Frage ist, warum existiert so etwas Hässliches in der Welt und in unserem tierhaften Charakter — und warum leugnen wir das in der Kunst?" Alles ist Material. Beunruhigend wird es nur, wenn das Werk ein Eigenleben entwickelt.