Frau Grässlin, in der Städtischen Galerie Karlsruhe werden Informel-Werke aus der Sammlung Ihrer Eltern Anna und Dieter Grässlin in einer großen Ausstellung präsentiert. Wie war es, mit diesen Werken aufzuwachsen?
Mein Vater war fasziniert von den Künstlern seiner eigenen Generation, in deren Werken sich auch sein Lebensgefühl widerspiegelte. Die gegenstandslose, abstrakte, gestische Malerei war für meine Eltern wie ein Befreiungsschlag aus den Fesseln des Krieges und des Naziregimes und gab ihnen das Gefühl von Freiheit. Es war sehr inspirierend, meine Eltern im jugendlichen Alter auf die Art Basel zu begleiten, um Kunst zu kaufen und die feuchtfröhlichen Diskussionen mit den Künstlern am elterlichen Esszimmertisch zu erleben. Wir hatten immer Gesprächsstoff und Reibungspunkte innerhalb der Familie durch das Sammeln. Vor allem habe ich von meinem Vater gelernt, auf die eigene Generation zu setzen.
Wie gingen Ihre Eltern beim Sammeln vor?
Nach anfänglichen Spontankäufen entschloss sich mein Vater, seine Sammlung auf die für ihn wichtigsten Künstlerpositionen des deutschen Informels zu konzentrieren und von ihnen jeweils mehrere repräsentative Werke zu erwerben. Dies war in den 70er-Jahren nicht so schwer wie heute, da der Kunstmarkt nicht so überhitzt war und man in Ruhe und mit Umsicht sammeln konnte, ohne dass die Preise explodierten. Die Kriterien waren, qualitätsvoll einzukaufen und auf den Rat von befreundeten Experten zu hören.
Was haben Sie und Ihre Geschwister davon übernommen?
Wir gehen eigentlich genauso vor. Wir haben uns auch für das Sammeln der Künstler unserer Generation entschieden, was heute leider schwieriger ist, da die Preise schneller davonlaufen.
Heute ist das Informel Kunstgeschichte. Ihr persönlicher Rat: Sollte man beim Sammeln schon daran denken, ob man gerade Werke kauft, die später museale Qualität haben könnten, oder sollte einem das
völlig egal sein?
Natürlich auf Qualität achten und sich auf seinen eigenen Instinkt berufen. Sich unbedingt intensiv mit dem Werk des jeweiligen Künstlers auseinandersetzen, um überhaupt die Qualität eines Werks beurteilen zu können. Ob die gekauften Arbeiten jedoch immer museale Qualität haben – das sollen andere entscheiden.
Ihr Vater starb 1976. Wie war es für Sie und Ihre Mutter, die Sammlung jetzt in der Städtischen Galerie wiederzusehen?
Die elterliche Sammlung war bisher noch nie im musealen Kontext zu sehen. Daher war es besonders für meine Mutter ein sehr bewegender Moment, das gemeinsame Lebenswerk so geschlossen präsentiert zu sehen. Ich bin sehr stolz auf meine Eltern, dass sie mir und meinen Geschwistern diese Leidenschaft für die Kunst vorgelebt und uns ermutigt haben, unsere eigene Sammlung aufzubauen.