Marianne Wex in Berlin

Männer, macht Platz

Der historische Zyklus "Let's Take Back Our Space" von Marianne Wex, der jetzt in der Berliner Galerie Tanya Leighton wiederentdeckt werden kann, wirkt besonders aktuell in einer Zeit der Diskussion über das Manspreading

Breitbeinig baut sich der Rezensent vor dem Werk der Künstlerin Marianne Wex auf. Seine Körpersprache drückt aus, was der Herr auch mit einem jovialen "Dann woll'n wir mal seh'n!" brummeln könnte... Nichts davon ist wahr, bis auf die Tatsache, dass an den Wänden der Galerie Tanya Leighton tatsächlich Wex' historischer Bild-und-Text-Fries "Let's Take Back Our Space" prangt, in dem sich die 1937 in Hamburg geborene Künstlerin Mitte der 70er mit den Divergenzen von männlicher und weiblicher Körpersprache beschäftigte. Die enzyklopädische Installation wurde vor 40 Jahren zuerst in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (NGbK) in Berlin gezeigt. Sie wirkt besonders aktuell in einer Zeit der "MeToo"-Bekenntnisse und der Diskussion über das "Manspreading", der maskulinen Weise, Sitzplätze zu blockieren.

Es herrscht meist strenge Geschlechtertrennung auf den insgesamt 26 Papptafeln der Ausstellung, eine obere Reihe zeigt Schwarzweiß-Fotos von Männern, in der unteren Reihe sind die Frauen-Abbildungen platziert; die Bilder fotografierte Wex während jahrelanger Recherche in Hamburg. Street photography trifft auf eine strenge Typologie, wie man sie von Bernd und Hilla Becher kennt. Es gibt verschiedene Kapitel. Untersucht wird, wie Frauen und Männer in der Sonne liegen, wie sie sitzen oder stehen. Ähnlich einer anthropologischen Abhandlung stützen die knappen Texte das, was man auch sieht: Männer sind derart sozialisiert, dass sie mehr Raum einnehmen als Frauen, die sich eher klein machen. Knie zusammen, Arme am Körper, Zehen nach innen – so jedenfalls das Bild der 70er-Jahre.

Die meisten Galeriebesucher dürften hinterher checken, wie viel (oder wenig) sich am genderspezifischen Habitus heute geändert hat. Auf ihren Tafeln platziert Wex auch Ausnahmen von der Regel: ausgerechnet Außenminister Hans-Dietrich Genscher steht auf einem 75er-Pressefoto mit den Schuhspitzen nach innen. Wie hier ergänzt Wex ihre Straßenfotos immer wieder mit Fundstücken aus Zeitschriften. Ihre These, dass sich die unterschiedlichen Haltungen und sogar gewisse Körperformen erst mit den patriarchalischen Gesellschaften der vergangenen 2000 Jahre entwickelten, belegt die Künstlerin anhand von Abbildungen skulpturaler Menschendarstellungen aus Antike und Mittelalter.

Den im Titel ausgedrückten Aufruf-Charakter des Zyklus' setzt die Galerie sehr treffend mit einer quer im Entree hängenden Tafel um, die zunächst die Sicht zum hinteren Raum blockiert. Man muss sich um das breite Panel herumbewegen – auch auf der Rückseite ist ein Kapitel angebracht  – , um über eine Treppe in den zweiten Raum zu gelangen. Dort verschärfen sich die Parallelen zu aktuellen Diskursen, weil Wex nun das Machtgefüge in Paarbeziehungen untersucht. Beim Händchenhalten liegt die weibliche Hand stets in der nach vorne gedrehten männlichen, sodass der Mann immer voraus geht. Und man kommt nicht umhin, an den Weinstein-Skandal zu denken, wenn man lauter Bilder von Männern sieht, die hinter "ihren" Frauen stehen, um sie mit besitzergreifender Geste zu umfassen.

Natürlich ist der Zyklus, bei dem es sich ja um eine Konstruktion handelt, nicht mit historischer Realität kurzzuschließen. Und nicht jeder Interpretation von Wex – die ohnehin nicht als Wissenschaftlerin agierte – muss man folgen. Trotzdem: eine beeindruckende Wiederentdeckung bei Tanya Leighton.