Nach der Besetzung der Volksbühne durch Dercon-Gegner und selbsternannte Politaktivisten im September wird das Theater nun endlich bespielt. Zum Warm-up war das Dercon-Teams auf den stillgelegten Tempelhofer Flughafen gezogen - und in der Zwischenzeit fiel ihr Theater quasi in die Hände der Besetzer.
Die Volksbühnen-Besetzung werde ja hoffentlich zum nächsten Berliner Theatertreffen eingeladen, witzelt Hausherr Dercon. Am Premierenabend schaut auch mal die Polizei vorbei. Rein ins Haus kommt man sicherheitshalber nur mit Eintrittskarte und Bändchen ums Handgelenk.
Die erste Premiere im Großen Haus ist die Feuerprobe für den Belgier Dercon, der von Teilen der Berliner Kulturszene wegen seiner Kulturmanager-Vergangenheit immer noch angefeindet wird. Die auf der Bühne, im Zuschauerraum und in allen Foyers gespielte Eröffnung hat den schlichten Titel "Samuel Beckett/Tino Sehgal" - und die Mischung aus Schauspiel und Aktionskunst kommt beim Großteil des Publikums gut an.
Den Auftakt macht der deutsch-britische Künstler Tino Sehgal, der seine preisgekrönten Performances bereits bei der Biennale in Venedig und der Documenta zeigte. Ein neues Werk mit massiven Elektro-Beats und Flackerlicht präsentiert er an diesem Abend, aber auch bekannte Arbeiten "This is exchange" (2003) und "Ann Lee" (2011). Die Kunstwerke entstehen in der Begegnung der Performer mit den Zuschauern immer wieder neu. In "This is exchange" etwa stellen sich Unbekannte höflich vor und verwickeln einen in eine Diskussion über Sinn und Unsinn der Marktwirtschaft. Im Sternfoyer der Volksbühne wird schnell leidenschaftlich diskutiert.
Schwerer hat es dagegen die von einer weiblichen Manga-Figur inspirierte Arbeit "Ann Lee". Die Worte der jungen Performerin gehen im Foyer und im Trubel der Wein trinkenden und quatschenden Premierenbesucher fast unter. Sehgal wurde 2013 für sein immaterielles und flüchtiges Werk als bester Künstler mit dem Goldenen Löwen der Kunstbiennale in Venedig ausgezeichnet.
Im Großen Saal dinszeniert der Regisseur und langjährige Beckett-Vertraute Walter Asmus die um das Erinnern kreisenden Beckett-Einakter "Nicht Ich", "Tritte" und "He, Joe" - ganz streng und asketisch. Hoch konzentriert folgt das Publikum Anne Tismer, die mit ihrem furiosen Aufritt alle drei Stücke prägt.
Die sperrigen Beckett-Werke auf die Bühne zu holen war sicher nicht ohne Risiko. Doch der Mut wird mit dem Applaus des Publikums belohnt.