Im Rahmen des Berliner Herbstsalons zeigen Sie am Gorki Theater Ihren neuen Film "Lieber Wladimir Putin". Was verbirgt sich hinter dem Titel?
Gottfried Richter spielt einen Mann so um die 70, der in einer Dresdener Vorortsiedlung wohnt und eine Rede einübt. Es ist eine persönliche Botschaft an Wladimir Putin, auf Russisch. Er geht diese Rede noch mal innerlich durch, übt vor dem Spiegel, 17 Minuten lang. Und parallel dazu bügelt er sein Hemd, wäscht und rasiert sich. Im Schnitt habe ich gemerkt, dass diese Figur mich fatalerweise an einen Selbstmordattentäter erinnert, der sich bereit macht. Am Ende setzt er sich an seinen Computer, um sein Video aufzunehmen, ein großer Moment für ihn. Und nicht frei von einer gewissen Komik.
Gibt es Vorbilder für die Figur?
Ich habe mir eine Pegida-Demonstration in Dresden angesehen. Mir fiel auf, dass neben der sächsischen auch die russische Fahne geschwenkt wurde. Dazu ein Plakat: "Putin, hilf!" Diese spezifisch ostdeutsche Russlandfreundlichkeit ist ja einerseits ein Erbe der DDR, andererseits spricht daraus die Sehnsucht nach dem "starken Mann". In meinem Film wirft sich jemand, enttäuscht von westlicher Demokratie und den Versprechen des Kapitalismus, einem eher autoritären Politiker an den Hals. Natürlich ist das absurd, aber es gibt im deutschen Osten einfach diese autoritären Kontinuitäten. Aber interessanterweise sind viele Aussagen meines Protagonisten nicht so einfach von der Hand zu weisen ... Man muss sich zu dieser Arbeit verhalten, aber es gibt nicht nur einfach Schwarz und Weiß.
Hat Sie das Thema auch aus biografischen Gründen interessiert?
In gewisser Weise schon. Ich bin der Sohn eines DDR-Grenzsoldaten, meine Mutter war bei der Polizei. Ich stamme also aus einem Milieu, dem in der Nachwendezeit der Boden unter den Füßen wegbrach. Diese Generation ist wohl nie so richtig im "Westen" angekommen. Der Wahlerfolg der AfD, den ich nicht begrüße, bildet auch etwas von der derzeitigen Verfasstheit dieses Landes und seiner Bevölkerung ab.
Ist die Arbeit für den Berliner Herbstsalon, wo sie nun uraufgeführt wird, konzipiert worden?
Nein, der Film ist ursprünglich für eine Ausstellung in Kaliningrad entwickelt worden. Aber das Script musste nach Moskau geschickt werden, und dort wurde es abgelehnt, weil es in der Arbeit auch Einlassungen zum Syrien-Konflikt gibt. Ich hätte Änderungen vornehmen können, aber das wollte ich nicht. Und dann ist da noch dieser Witz: Mein Protagonist wünscht sich den Anschluss Sachsens an die Russische Föderation. Vorbild wäre die Kaliningrader Oblast, Putins Abschussrampe für Mittelstreckenraketen. All das wollte ich im Film behalten. Ich bin froh, dass ich den Film nun in Berlin zeigen kann.
Wider die neuen Rechten, gegen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit streitet der Berliner Herbstsalon (11. bis 26. November). Das von der Intendantin des Maxim Gorki Theaters, Shermin Langhoff, geleitete Festival verwebt bildende und darstellende Kunst. Es findet auf verschiedenen Bühnen statt: unter anderem im Gorki, im Studio R und im Palais am Festungsgraben. Neben Sven Johne sind rund 100 weitere Künstler und Theatermacher beteiligt, darunter Natascha Sadr Haghighian, Santiago Sierra, Banu Cennetoğlu, Angela Richter oder das Duo Wermke/Leinkauf. Manaf Halbouni stellt vor das Brandenburger Tor sein "Monument" aus drei ausrangierten Bussen. Ergänzend zu den Präsentationen finden tägliche Künstlergespräche statt.