Seit Dienstagabend halten rund 80 Studierende der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig ihre Atelierräume besetzt. Sie fordern, die Ateliers wieder rund um die Uhr zugänglich zu machen. Die eingeschränkten Öffnungszeiten sehen die Studierenden nur als ein Zeichen für tieferliegende Probleme. Ein Gespräch mit Kunststudent Malte-Levin Behrens, Mitglied des Asta, des Studierendenparlaments, des Senats sowie der Fachkommission Freie Kunst und Sprecher der "Improvisierten Pressestelle" der Studierenden. Kurz nach dem Interview wurde den Studierenden ein Kompromissvorschlag unterbreitet, über den zur Stunde beraten wird.
Es ist Donnerstagnachmittag. Wie ist jetzt gerade die Stimmung an der Hochschule in Braunschweig?
In den Ateliers in der Blumenstraße ist die Stimmung gut. Die letzte Nacht war etwas unruhig, denn die Hochschulleitung hat verkündet, dass ein Strafantrag gestellt wurde und eine Räumung möglich sei. Aber jetzt ist alles ruhig. Die Leute sind entspannt, alle sind motiviert, wir haben gerade noch einmal ein paar Sachen besprochen. Wir haben auch das Gefühl, dass wir Oberwasser gewinnen. Alle haben voll Bock und es kommen auch immer noch Leute dazu.
Wie müssen wir uns das vorstellen: Sitzen da 80 Leute quatschend und rauchend in den Atelierräumen? Wie haben Sie sich bisher organisiert?
Wir starten morgens um 11 Uhr mit einem Plenum, wo wir alle zusammenkommen und darüber reden, was so passiert ist. Wir schauen, was an Essen organisiert werden muss, wir machen ein Tagesprogramm, auch mit Spielen. Unser Ziel ist, dass die Ateliers wieder 24 Stunden an 7 Tagen geöffnet sind, und daher gibt es auch eine Gruppe, die ganz praktisch an Lösungen arbeitet, wie dies realisiert werden kann. Und wir überlegen natürlich auch, wie die Unzufriedenheit an der Hochschule grundsätzlich aufgefangen werden kann.
Ist absehbar, wie lange dieser Protest nun andauern soll?
Wir haben zwei konkrete Forderungen: Zum einen eine Mediation zwischen Hochschulleitung, Mitarbeiten beziehungsweise Professoren und den Studierenden, damit wir über Inhalte, Positionen und mögliche Kompromisse sprechen können. Die zweite Forderung ist 24/7, ein ausführliches Konzept dafür sowie eine öffentliche Bekundung der Hochschulleitung, dass sie 24/7 mit uns gemeinsam umsetzen will. Und das die Hausordnung im Senat in Absprache mit den einzelnen Instituten entsprechend verändert wird.
Sprechen wir über diese konkrete Forderung. Die Ateliers an der Hochschule hatten lange Zeit rund um die Uhr geöffnet, für viele war dies ein Grund, an der Hochschule zu studieren.
Vor einem Jahr, zum Semesterbeginn im Oktober 2016, wurden die Nutzungsmöglichkeiten in den Ateliers in der Blumenstraße von zuvor 100 Prozent auf 60 Prozent reduziert, sprich bis 24 Uhr. Dies wurde dann im Frühjahr mit der neuen Hausordnung festgeschrieben. Die Gründe waren angeblich nichtangemeldete Partys, Lärmbelästigung oder ein vollgetagtes Klo. Kleinerer Vandalismus. Probleme, die man kommunikativ in den Griff bekommen an.
Und die auch unabhängig von eingeschränkten Öffnungszeit der Ateliers auftauchen können.
Ja. Mein Eindruck war sogar, der Vandalismus aus Frust hat danach eher zugenommen. Am vergangenen Freitag wurde von der Präsidentin Vanessa Ohlraun eine Mail rumgeschickt, ohne dass es zuvor Kommunikation mit dem Asta oder dem Studierendenparlament gegeben hätte. In dieser Mail hieß es, dass die Ateliers nun nur noch zu den regulären Öffnungszeiten zu nutzen sein. Das heißt, man kann am Wochenende gar nicht mehr hier arbeiten und unter der Woche nur noch von 7 bis 21 Uhr beziehunsgweise am Freitag nur bis 19 Uhr. In den Semesterferien ist es noch weniger, sodass wir jetzt von zuvor 100 Prozent Nutzungsmöglichkeiten auf 40 abgesackt sind.
Gab es dafür eine Begründung?
In der E-Mail hieß es: "angesichts der Sachbeschädigung und unzulässigen Gebäudenutzung im letzten Semester, die sich auch in der vorlesungsfreien Zeit des Sommersemesters 2017 fortgesetzt haben".
Kam es denn zu diesen?
Eine Klingel ist wohl abgetreten worden und es gab auch Reibereien mit dem Security-Personal, wenn Leute nicht gehen wollten. Die sind eben auch nicht sonderlich deeskalierend. Aus unserer Perspektive wird das aufgebauscht. Es gibt einfach kein Interesse der Hochschulleitung an Mediation und gemeinsamen Lösungen. Das Verhalten ist autoritär. Ein Beispiel: Wir haben mit den Familien, die im benachbarten Haus leben, darüber gesprochen, inwieweit wir sie stören. Die haben unter anderem beklagt, dass es nachts so hell sei. Also haben wir die Hochschulleitung gebeten, ob wir nicht an dieser Seite des Ateliergebäudes Jalousien installieren könnten. Daraufhin meinte die Präsidentin Vanessa Ohlraun: Sollen die sich doch Vorhänge kaufen! Wir werden behandelt wie kleine Kinder, teilweise auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das muss man so klar sagen. Vanessa Ohlraun hat Genderstudies studiert, ich gehe davon aus, dass die sich im Studium auch schon einmal kritisch mit Machtverhältnissen auseinandergesetzt hat. Aber auch sie ist autoritär.
Welches Interesse der Hochschulleitung steht hinter diesem Verhalten? Denn die Diskussion um die Atelieröffnungszeiten ist offenbar ein Symptom für ein viel grundlegenderes Problem, nämlich mangelnde Kommunikation.
Ja. Mit Nikolas Lange als Vizepräsident begann die Durchhierarchisierung, das Aufbrechen von horizontalen Strukturen und das Einführen von Befehlsketten. Die Absicht ist, glaube ich, die Hochschule zu ordnen, gut handhabbar zu machen. Wie mit kleinen Kindern: Hier ist die rote Linie. Und wenn du die überschreitest, dann knallt es. Eine Strategie gibt es aber nicht. Das sehen wir jetzt. Sie können mit unserer Reaktion überhaupt nicht umgehen. Die Präsidentin Vanessa Ohlraun ist seit ihrer E-Mail erkrankt, wie verhandeln nun mit dem Vize. Die haben damit nicht gerechnet und wissen nicht, was sie tun sollen. Es gibt keine Vision, außer die, die Hochschule finanziell zu sanieren und die Gebäude zu sanieren und nach außen zu sagen: Dieser Laden läuft top! Die inneren Konflikte wurden ausgeblendet und die kochen jetzt hoch.
Im Sommer haben einige Studierende beim Rundgang keine Kunst gezeigt, sondern stattdessen einen Diskursraum geschaffen, mit Faltblättern auf die Missstände hingewiesen, Gespräche mit Besuchern geführt. Gab es auch darauf keine Reaktion?
Wir haben Aufmerksamkeit erregt, selbst diskutiert, mit Besuchern diskutiert und hatten das Gefühl, dass wir da einen guten Punkt gemacht hatten. Vanessa Ohlraun hat uns dann um ein Moratorium gebeten, um Lösungen zu erarbeiten. Wir haben entschieden darauf einzugehen, bis zum 16. Oktober, dem Semesterstart. Und wir haben ihr sechs konkrete Fragen mit auf den Weg gegeben: Neben der Problematik der Öffnungszeiten und der mangelnden Kommunikation ging es auch darum, wie Studierende künftig besser in Entscheidungen einbezogen werden können, dass auslaufenden Stellen zeitnah wiederbesetzt werden und welche Vision es für die inhaltliche Entwicklung der Hochschule gibt.
Statt Antworten kam dann am vergangenen Freitag die E-Mail, die die neuen eingeschränkten Atelierzeiten verkündete. Wie hat sich dann der Protest unter den Studierenden formiert?
Die ersten haben sich schon am Samstag getroffen. Am Montag gab es eine Sitzblockade im Verwaltungsflur, von 7 bis 9 Uhr. Um zu verdeutlichen: Ihr könnt hier nicht rein, sowie wir auch nicht reinkönnen. Symbolisch. Am Dienstag gab es kurzfristig eine Vollversammlung aller Studierenden. Da kam die Idee auf, am Abend, an dem mehrere Ausstellungen eröffnen sollten und auch die Montage-Halle, das bauliche Prestigeobjekt des Vize-Präsidenten, eingeweiht werden sollte, etwas zu machen. Während er geredet hat, haben wir alle stumm vor ihm gestanden und unsere Schlüssel hochgehalten. Anschließend haben wir die Atelierräume besetzt.
Wann gab es die ersten Gespräche mit der Hochschulleitung?
Bereits am Dienstagabend kam Nikolaus Lange zur Verhandlung und hat eine Drohkulisse aufgebaut, auch mit Zwangsexmatrikulation gedroht. Er hat alle Register gezogen und geschnaubt vor Wut. Da haben wir deutlich gemacht, dass wir unsere rechtliche Position kennen und ihm auch klar gemacht, dass es fatal wäre, wenn er das hier räumen lässt. Wir haben die externe Mediation gefordert, die uns zugesichert wurde. Zu 24/7 meinte er, da könne er uns nichts versprechen. Wir meinten, dass er uns ein Angebot machen soll, dass wir dann diskutieren würden und uns innerhalb von 24 Stunden dazu äußern.
Ist seither ein Angebot gekommen?
Nein, die Hochschulleitung ist mit uns nicht noch einmal in Kontakt getreten. Es kam nur am Donnerstagabend per E-Mail der Strafbefehl.
Seit wann ist die Polizei vor Ort?
Zivilwagen steht vor der Tür und nimmt ab und an Personalien auf. Unregelmäßig fahren Polizeiautos vorbei, aber eine Räumungsabsicht konnten wir nicht erkennen, auch wenn es kurz in der Luft lag.
Inwieweit war die Besetzung der Berliner Volksbühne ausschlaggebend für die Aktion?
Die wurde tatsächlich nur einmal kurz thematisiert.
Inwieweit herrscht unter den Studierenden in dieser Sache Einigkeit?
Es gibt wenige Gegenstimmen. Auch die Lehrenden stehen größenteils hinter uns, zumindest hinter unseren Forderungen. Zur Protestform äußern sie sich natürlich nicht. Und die Lehre geht auch ganz normal weiter.
Worauf hoffen Sie?
Ich kann nicht absehen, was andere noch unternehmen und ich bin auch kein Jurist. Im Grunde genommen kann nicht soviel passieren. Wir können uns nicht vorstellen, dass 70 Studierende zwangsexmatrikuliert werden. Das wäre fatal. Das wäre ein Eingeständnis von Totalversagen. Dann könnte der Vize sein Handtuch nehmen und gehen. Und er würde nie wieder einen Job bekommen. Was kommen kann, sind Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch, die zumeist Geldstrafen oder Sozialstunden mit sich bringen. Wir begehen ja hier keine anderen Straftaten, zerstören nichts. Hausfriedensbruch ist zudem keine Straftat, sondern nur ein Delikt. Wir versuchen da einfach auch, ein bisschen naiv zu bleiben.
Und die naive Hoffnung lautet weiterhin: 24/7 und eine bessere Kommunikation mit der Hochschulleitung sind möglich?
Das wäre natürlich fantastisch. Ich hoffe, dass es noch einmal Druck aus dem Ministerium und auch von den Mitarbeitern gibt. Und dass man dann dahin kommt, dass es zumindest ein Bekenntnis zu einer vernünftigen Lösung gibt. Wenn ein Angebot kommt, ist es wie auf dem Basar: Da sagt man Ja oder Nein. Wir wollen eine gute Lösung für alle. Es gibt hier noch so viele Missstände, und auch wenn dieser konkrete Protest vorbei ist, müssen wir weiter daran arbeiten, die Hochschule zu demokratisieren. Es geht um mehr Transparenz und Gleichberechtigung. Es gibt neben den Öffnungszeiten noch viele Symptome, die wir nach und nach angehen wollen. Selbst wenn unsere jetzigen Forderungen erfüllt werden, werden die Proteste weitergehen. Es geht darum, diese Hochschule neu zu denken. Sie wurde kaputtgemacht in den letzten Jahren und wir wollen sie mit allen, die Bock darauf haben, neu aufbauen. Deswegen sind wir ein friedlicher, und produktiver und konstruktiver Protest. Wir versuchen keine Kampfrhetorik zu wählen, sondern bestehen darauf, miteinander zu reden, um frei bessere Möglichkeiten für alle gestalten zu können.