Das Südseeparadies existiert nur in den Bildern. Der französische Maler Paul Gauguin (1848-1903) reiste 1891 erstmals nach Tahiti. Von seinen zwei Jahren im französisch-polynesischen Exil erzählt Éduard Delucs Künstlerfilm "Gauguin". Was man in den berühmten Gemälden nicht sieht, liefert der Film nach: ein untergegangenes Reich, eine nur noch in Resten existierende Maori-Kultur. Was Gauguin – eindringlich verkörpert von Vincent Cassel – malt, ist bloß sein Traum von Tahiti. Auf die Filmbilder färben diese Visionen kaum ab. Weder die kräftige Farbpalette des Post-Impressionisten noch seine Kompositionen flossen in die nüchterne Kamerästhetik ein (Pierre Cottereau). Die Filmbilder sind entsättigt, und sogar das Grün des Regenwaldes wirkt matt (kam aber in Gauguins Palette ohnehin kaum vor).
Die flache Schärfe der Optik mindert die Bedeutung der Orte und verstärkt den Eindruck eines Protagonisten, der mit seinen Visionen wie in einer Blase lebt. Den Sprung vom Paris der ersten Szenen – Gauguin: "Ich werde krank hier" – in das Atelier an der Inselküste bemerkt man zunächst kaum. Der Künstler malt wie besessen, Donner grollt, Regen prasselt aufs Bambusdach. Gauguin hat sich ja nicht ausgetauscht, ist aber noch kränker geworden. Er kollabiert, der Arzt der Krankenstation diagnostiziert einen Herzinfarkt und schwere Diabetes. Doch Gauguin schnappt sich ein Pferd und sucht nun erst recht das Herz der Wildnis.
Als Inspiration diente Deluc, der auch das Script schrieb, Gauguins halb fiktiver, 1897 erschienener Reisebericht "Noa Noa". Der schmale Band lässt erkennen, dass der Maler sich keinen Illusionen über die Situation der Ureinwohner hingab. Die Maori waren längst kolonisiert, und obwohl er das vor Augen hatte, war Gauguin davon beseelt, selbst zum "Wilden" zu werden. Deluc zeigt in einer tragikomischen Szene, wie der Maler jedoch schon beim Fischfang scheitert.
Im Zentrum der Geschichte steht Gauguins Beziehung zu der jungen Tehura, die er heiratet und aus einem Dschungeldorf mit in seine Hütte nimmt. Es gibt deutliche Abweichungen zur historischen Realität: die Darstellerin Tuheï Adams ist volljährig, sichtlich nicht mehr 13 wie die wirkliche Tehura. Und Gauguin ist in der Filmversion weder promisk, noch zeigt er sich sexuell übermäßig an der jungen Frau interessiert. Tehura ist seine Muse, seine Eva, mit deren Hilfe er sein Paradies inszeniert. Es gibt Szenen, in denen Gauguin Tehura bis in kleinste Haltungsnuancen hinein dirigiert, und beide haben Spaß daran. Sexuelle Erfüllung findet Tehura – eine bemerkenswerte Verkehrung der Tatsachen – in der Ehe nicht, und bald verliebt sie sich in den gleichaltrigen Jotépha (Pua-Taï Hikutini).
Interessant die Charakterisierung der beiden Einheimischen: Zu Gauguins Bedauern schwört Tehura ihrem Maori-Glauben ab, um in die Missionskirche zu gehen. Und auch Jotépha, den der Künstler in der Kunst des Holzschnitzens angeleitet hat, passt sich den Zwängen der Kolonialzeit an, indem er die mythischen Statuetten seiner Götter in Serie produziert. Am Ende ist es auch mit der edlen Wildheit Gauguins nicht weit her. Er flüchtet mit der Ehebrecherin in die weit entfernte Hauptstadt Papeete, lebt mit Tehura in einer schnöden Wohnung, schließt sie sogar dort ein, als er Jotépha in der Nähe weiß. Gauguin malt nicht mehr, verdingt sich nun als Hafenarbeiter. Paradise lost.
Indem Deluc zwischen Gauguins Selbststilisierung in der Vorlage "Noa Noa" und der wirklichen Figur und dem historischen Kontext zu vermitteln versucht, schwächt er die Überzeugungskraft seiner Geschichte. "Gauguin" zieht sich, es fehlt an Energie. Aber Vincent Cassel reißt den Film aus dem Mittelmaß. Der brennende Blick des Malers, sein Kampf gegen die Erschöpfung, aber auch seine Ausgelassenheit, wenn die Titelfigur am Strand mit den Einheimischen spielt: Solche Nachbilder bleiben von "Gauguin". Die Kunst des großen Malers triumphiert ja ohnehin: bis 22. Januar ist die Schau "Gauguin, der Alchimist" im Pariser Grand Palais zu sehen.