Armin Boehm über die Londoner Krawalle

"Die Krise wird Dauerzustand"

Herr Boehm, sind Sie überrascht von den Krawalle in englischen Städten?
Nein. Es gab ja schon seit einiger Zeit Gruppen, die sich per Facebook zu skurillen Tanzevents in der Londoner U-Bahn verabredeten, das hatte ein anderes Niveau, aber es symbolisiert für mich eine Sehnsucht nach Ekstase, die nun unter einem verändertem Gesicht in Erscheinung tritt.

Was interessiert Sie an Ausschreitungen?
Wir sind genetisch gesehen noch der archaische – auch brutale – Mensch. Die Strukturen beispielsweise unseres Stammhirns haben sich auch in unseren hochzivilisierten Gesellschaften nicht verändert. Diese psychologische Spannung interessiert mich generell am modernen Menschen. Diese Unruhen sind auch ein Symptom dieser Spannung.

Sie widerstehen der Versuchung, aus Medienbildern Schlachtengemälde zu machen. Stattdessen sieht man bei Ihnen Architektur. Sind lebensfeindliche Umgebungen Nährboden von Aufständen?
Die Illustration von Gewalt hat mich nie interessiert, eine hochkomplexe Wirklichkeit kann man vielleicht am ehesten in einer Atmosphäre erfassen. Im Übrigen bin ich überhaupt kein Freund von Le Corbusiers Architektur.

Verknüpfen Sie eine politische Botschaft mit Ihren "Riot"-Bildern?
Nein.

Was kann ein Künstler den Medienbildern hinzufügen?
Kunst entsteht aus psychologischen Schichten unseres immerwachen Bewusstseins, aber sie durchläuft eben auch zerebrale Schichten, die mit Aufklärung, Humanismus und Rationalität nichts zu tun haben. Dadurch entsteht etwas Neues, vielleicht eine Form von Wahrheit, die mit der Oberflächlichkeit von Medienbildern nichts mehr zu tun hat, uns aber entscheidend verändern kann.
 
Wie häufig nur der Bildtitel verrät, haben Sie sich Aufständen mit unterschiedlichen politischen Ziele angenommen, etwa den Protesten 2001 gegen die G8 in Genua, 2005 den Ausschreitungen in den Banlieues, den Unruhen 2009 im Iran, jüngst dem arabischen Frühling. Was eint all diese Bewegungen?
Ich glaube, dass jeder Mensch spüren kann, dass wir mittlerweile in einer Gesellschaft leben, die vom Zynismus geprägt wird. Es scheint auch keine Reform mehr möglich zu sein. Die Krise wird zum Dauerzustand. Die Medizin ist ja längst der Überzeugung, dass wir in einem Zustand leben, der unserer Konstitution als Mensch sowohl physisch als auch psychisch widerspricht. Ich kann mir diese Revolten nicht nur politisch erklären, auch wenn es verschiedene politische Motive dafür geben mag.
 
Wird es einmal ein Bild zu den Unruhen in England geben? 
Es gab schon einmal eins mit dem Titel "Lozells", das waren Unruhen in Birmingham, soweit ich mich erinnere. Wenn die Bilder sich verändern, dann immer auch in der Materialbeschaffenheit, in jüngster Zeit habe ich massive Asphaltbrocken und Glas neben den Papiercollagen in den Bildern verarbeitet. Ich plane diese Bilder nicht so genau, sie entstehen aus der Atmosphäre, in der ich gerade lebe. Vielleicht finde ich ein Material, das mich reizt und es käme zu einem weiteren Bild, das dann auch London heißen könnte.

Arbeiten von Armin Boehm sind noch bis zum 25. September 2011 in der Ausstellung "Geheimgesellschaften. Wissen. Wagen. Wollen. Schweigen." in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen. 2009 hat Monopol TV den Maler im Atelier besucht