Die Idee, dass Mode politisch sein kann, ist wahrscheinlich so alt, wie die Idee, einen Slogan auf sein T-Shirt zu drucken. Aktuell ist es Modemachern besonders wichtig, eine Meinung zu haben und kritisch zu sein, denn jenseits und diesseits des Atlantik ist Nationalismus ein neuer, ein sehr gefährlicher Trend. Die Europäische Union, einst als öder Verwaltungsapparat verschrien, wirkt plötzlich wie eine verlorene Utopie. Und dann gibt es da noch den Brexit, weil ein Land dachte, es brauche die EU nicht, und weil viele Engländer sich wünschten, als englische Nation gewürdigt zu werden.
Der Künstler Wolfgang Tillmans ist mit seiner Plakatkampagne gegen den Brexit zum Posterboy der EU avanciert. "Mir wurde klar: Wenn ich das nicht tue, wird das keiner tun", sagte Tillmans im Interview mit Chris Dercon und Monopol. Der Jungdesigner Daniel W. Fletcher bezieht sich mit seiner Sommerkollektion 2017 auf dieses Trauma. Er schreibt seine Botschaft nicht nur auf Schals, Pullover und Jacken, sondern auch auf eine rote Kappe, die nicht zufällig an die Kampagnenkappe des amtierenden US-Präsidenten erinnert. Nur steht da einfach: "Stay".
Vielleicht passt nicht alles, was man zu sagen hat, auf eine Kappe – manchmal braucht es dafür eine ganze Capsule Collection. Eine solche haben die Modeblogger von Dandy Diary in Zusammenarbeit mit dem Münchner Label K1X gestaltet. Dafür nahmen sie sich die Deutschlandflagge vor, um sie nicht den Fahnen schwenkenden Deppen zu überlassen. "Fernab von AfD und Pegida, die in den vergangenen Jahren diese Symbolik erfolgreich instrumentalisiert haben", sagt David Roth von Dandy Diary, soll die Fahne einen neuen Kontext finden. Und damit niemand auf die Idee kommt, hier ginge es um die Zurschaustellung von Nationalstolz, haben die Dandys den Bundesadler einfach umgedreht. Die beiden Modeblogger wurden übrigens auch mit der berüchtigten roten Trump-Kappe gesehen. Und das zeigt wiederum, dass Mode eine Sache besonders gut beherrscht: die ironische Umdeutung von Symbolen und Codes. Aber reicht das schon, um politisch zu sein?
Kurz vor der Bundestagswahl ist Wolfgang Tillmans zurück mit noch einer Plakatkampagne, die im Netz emphatisch geteilt wird, weil der Turner-Preisträger mahnend daran erinnert, wie wichtig es ist, wählen zu gehen, wenn man den Aufstieg der Rechtspopulisten verhindern will. "Kein Bock auf Nationalismus. Für eine gemeinsame Zukunft in Europa", steht auf einem dieser Plakate.
Wir haben uns mit Blick auf die kommende Bundestagswahl angesehen, was man auf dem Gang zur Wahlurne tragen kann.
Vetements
Der Hype um die übergroßen DHL-T-Shirts ist überstanden, und es bleibt die Frage, ob dafür wirklich jemand 300 Euro ausgegeben hat. Wahrscheinlich ist das aber auch egal, denn seit Vetements damit angefangen hat, muss Oberbekleidung mindestens drei Nummern zu groß ausfallen. So auch der vergangenen Monat gedroppte EU-Hoodie des Labels. Der ist schön und praktisch, denn wenn das Klima draußen rauer wird, kann man sich darin gut einkuscheln. Das gilt auch fürs politische Klima, denn auf dem Rücken trägt der Kapuzenpulli die zwölf Sterne der Staatengemeinschaft. Mittlerweile ist der Labelgründer Demna Gvasalia Kreativchef bei Balenciaga, und seine erste Kollektion für das Modehaus bediente sich bei Bernie Sanders' Wahlkampagne. Der konnte über seine neue Rolle als Muse übrigens herzlich lachen. Bei der Modewoche in London war das Bernie-Merch überall zu sehen, wie eine melancholische Erinnerung daran, wie es hätte sein können.
Kostet: ein Vermögen
König Souvenir - EUnify Hoodie
Wer Vetements ganz geil findet, aber eher aus der Ferne, weil man statt so eines Hoodies eben auch einen gebrauchten Kleinwagen kaufen könnte, der ist bei König Souvenir gut aufgehoben und in allerbester Gesellschaft. Juergen Teller trägt den EUnify Hoodie, vier Mal soll er sich das Teil gleich gekauft haben. Der Modefotograf lebt von Berlin aus gesehen fast in der Ferne, nämlich in London, und dort hat man allen Grund einen Hoodie zu tragen, auf dem einer der zwölf Sterne fehlt. Ganz allein steht der Stern jetzt da, so allein eben wie Großbritannien nach dem Votum für den Brexit. Die zwölf Sterne im Kreis stehen eigentlich für die Werte Einheit, Solidarität und Harmonie zwischen den Völkern Europas. "Wenn einer fehlt, ist irgendetwas nicht in Ordnung", sagt David Mallon, Creative Director und Gründer des Labels SOUVENIRby, das in Abstimmung mit der Galerie König Produkte von König Souvenir mitgestaltet hat. Künstler, Musiker und Schauspieler wie Lars Eidinger wissen um die "magnetische Wirkung" des Hoodies, erzählt er, und gerade Eidinger würde sich gern am Flughafen in Gespräche über das Thema EU verwickeln lassen. Deshalb auch der vergleichsweise günstige Preis, Mallon nennt die Summe von 59 Euro "zugänglich". Denn schließlich ist es eine Initiative für die Jugend, und da kann so ein Hoodie eben nicht zwei Monatsmieten in Berlin kosten, weil man noch die Coolness einer Fashion Brand bezahlt.
In der langen Liste derer, die sich (auf Instagram) im EUnify-Hoodie haben sehen lassen (Die Beginner, Max Herre – Yung Hurn hat jetzt auch einen), fehlt Mallon noch Haftbefehl. "Hafti soll sich melden", sagt er, "die Jugend muss Europa cool finden!"
Kostet: 59 Euro
Études
Man tut Études sicherlich nicht Unrecht, wenn man sie Europa-Geeks nennt. Die Europa-Flagge packt das Kollektiv schon seit längerem auf Kleidungsstücke, im Mai 2015 freuten sie sich auf Instagram, dass Jay-Z in ihrem Europe Sweatshirt gesehen wurde, Hashtag: etoilecrew. Wer auch dazugehören mag, kann Flagge zeigen und sich darin einhüllen, es gibt Socken, Beutel, Hosen, Dad Caps, T-Shirts und natürlich Hoodies und das nicht nur in Blau. Vielleicht ein Trost für alle, die sagen, Europa-Mode, okay, etwas dezenter klassisch in Schwarz, das wäre was. Das dann aber besser erst nach der Bundestagswahl, weil: eben doch zu dezent.
Natürlich liegen in ihrem Laden im hippen Pariser Marais die Plakate von Wolfgang Tillmans im Eingangsbereich bereit zum Mitnehmen, und Tillmans selbst wurde auch schon in einem Études-T-Shirt gesehen.
Kostet: zwischen 30 Euro (Socken), 70 Euro (Beutel und T-Shirts) und 150-190 Euro (Sweatshirt, Hoodies)
Sportsclub
Das Hip-Hop-Subgenre Cloudrap wurde in den USA geboren, groß wurde es im Internet und verbreitete sich schnell in ganz Europa. Der österreichische Cloudrapper Yung Hurn kleidet sich für sein Video zu "Ok Cool" in ein, nunja, klassisches Modell von Sportsclub: zwölf Sterne auf einem blauen Sweater. Dabei bietet das Schweizer Label noch mehr mit Sternen: T-Shirts mit dem Matterhorn, Skijacken – als würden sich diese Schweizer danach sehnen, nicht nur im Schengen-Raum zu sein, sondern eben auch in der EU. Wenn man sagt, Cloudrap sei die erste paneuropäische Subkultur des Internetzeitalters, ist das vielleicht ein wenig hoch gegriffen. Mit gekonntem Dilettantismus rappt Yung Hurn: "Deine Freunde verkaufen jetzt Drogen – Ok Cool." Aber er trägt dabei auch ein Bekenntnis zur EU auf der Brust.
Kostet: 49 Euro (T-Shirt), 69 Euro (Sweatshirt)
Europescarf
Ein Schal ist ein nicht zu unterschätzendes Accessoire – man weiß ja nie, wie das Wetter so wird. Ein Schal schützt vor Kälte und Wind, ist als modisches Statement über der Kleidung gut zu sehen und kann natürlich auch wie im Fußballstadion in die Hände genommen und beim Gang in die Wahlkabine begeistert über dem Kopf geschwenkt werden. Europescarf ist ein Charity-Projekt, parteiunabhängig und, so die Website, „entstanden aus dem Bewusstsein, wie existenziell und wichtig die Europäische Idee ist. Vor dem Hintergrund der Wahl Donald Trumps, des Brexits und der 'Flüchtlingskrise' muss wieder klar werden, dass ein Aufwachsen in Frieden, Freiheit und Wohlstand nicht selbstverständlich ist und man sich für den Erhalt dieser Errungenschaften einsetzen muss."
Pro verkauftem Schal gehen 10 Prozent des Gewinns an eine parteiunabhängige gemeinnützige pro-europäische Initiative. Im Fußballstadion macht man mit dem Schal sicher auch jederzeit eine gute Figur.
Kostet: 35 Euro
Eurotic – Europe’s unofficial souvenir store
Eurotic nennt sich selbst Europas inoffizieller Souvenirladen und spielt mit dem Gedanken, den man hätte, wäre da nicht die politische Dringlichkeit des Themas: schon uncool, die Europa-Flagge so offen auf der Klamotte gedruckt zu tragen. Wurden Tocotronic eigentlich schon in Europa-Mode gesichtet? Denn die Helden der Hamburger-Schule kann man an dieser Stelle wunderbar zitieren: "Es gibt nur cool und uncool und wie man sich fühlt." Und wer sich jetzt nicht mit Europa verbunden fühlt, tja, Nationalismus ist definitiv jenseits von modischen Kategorien wie cool und uncool.
Eurotic, so die Erklärung auf der Website, reklamiert für sich eine ironische Annäherung an das Thema Nationalismus jenseits von Grenzen – in Großbuchstaben: "THE INTENTION OF THIS CONCEPT IS SATIRE AND IRONY. TAKE A CHILL PILL." Chillen ist okay, nur nicht am 24. September. Die Kosten übrigens für die Klamotten, ganz wie man es im Souvenirladen erwarten würde, günstig.
Kostet: 30 Euro (T-Shirt)