Regisseur Ersan Mondtag über seine Ausstellung in Frankfurt

"Kunstwerke sind nicht unbelebt, sie haben eine Stimme"

Ersan Mondtag kennt man bisher aus dem Theater. Der 30-jährige Regisseur und Bühnenbildner hat schon am Thalia Theater, am Schauspiel Frankfurt und am Maxim Gorki Theater inszeniert. Nun gestaltet er im Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt die Ausstellung "I am a problem" mit Werken aus der Sammlung. Im Interview spricht er über Maria Callas und Selbstoptimierung - und erklärt, warum die Demokratie im Theater und nicht im Museum geboren wird

Herr Mondtag, wenn man sich Ihre Radiokolumne anhört, bekommt man das Gefühl, dass der Niedergang der Demokratie Ihr Lieblingsthema ist.
Das ist nicht mein Lieblingsthema, aber ich beschäftige mich damit. Auch, weil sich die ganze Welt damit beschäftigt — zwangsläufig, wenn man beobachtet, was in Europa, in der Türkei, in Russland und in den USA passiert. Hinzu kommt das Erstarken der Rechten in Deutschland: Die AfD wird wahrscheinlich mit 10 bis 12 Prozent in den Bundestag kommen. Damit könnte sie die stärkste Oppositionspartei sein, wenn die SPD in der Regierung ist. Dann haben wir eine rassistische Partei und eine demokratiefeindliche Strömung im Parlament.

Nehmen Sie mit der Ausstellung, die Sie im MMK kuratierten, Bezug darauf?
Die Ausstellung beschäftigt sich nicht konkret mit Tagespolitik. Menschen werden durch die Deformation von Körpern Teil einer Ideologie — das ist das Thema. Selbstoptimierung ist nicht nur etwas Privates oder Ästhetisches. Ich gehe nicht für mich selbst ins Fitnessstudio oder mache die Ayurveda-Kur. Das ist eine Form des Krieges gegen den Körper. Zugleich sind unsere Wirtschaft und unser Wohlstand an eine Abhängigkeit von Leid gekoppelt. Diese Verbindung versucht die Ausstellung herzustellen. Deswegen werden in "I am a problem" auch Totenzeichnungen aus Hiroshima gezeigt, Abgüsse von Leichen. Selbstoptimierung und Krieg: Das sind die beiden Pole, zwischen denen sich die Ausstellung bewegt.

Die Werkliste liest sich wie ein Best-of der MMK-Sammlung. Wie kam die Auswahl zustande?
Wir haben erstmal über ein Thema der Ausstellung nachgedacht. Dann wurden Arbeiten vorgeschlagen, und aus den Vorschlägen habe ich das Thema weiter eingegrenzt.

Sie sind eigentlich Theatermacher. Sie sollen einmal gesagt haben, Schauspieler seien nur Requisiten für Sie.
Diesen Satz habe ich nie gesagt! Das Gerücht kursiert schon seit Jahren. Ich habe mal gesagt, dass bei mir alles, was auf der Bühne steht, wichtig ist. Egal ob Schauspieler oder Requisit.

Was macht man denn anders mit unbelebten Dingen wie Kunstwerken?
Das ist ja ein Irrglaube. So ein Kunstwerk ist nicht unbelebt, das hat eine Stimme. Eine Figur von Tschechow hat einen Kontext und erzählt etwas über Privilegien oder Abhängigkeiten. Und ein Kunstwerk ist auch kein zweidimensionales Objekt. Die Herausforderung war nun, einen Raum zu bauen und die Werke zu platzieren und zum Sprechen zu bringen. Wir haben 17 Werke in ein Stück verwandelt. Unter anderem zeigen wir Elaine Sturtevants Go-Go-Tänzer: "Gonzalez Torres Untitled". Das wird hingestellt als Objekt, als Installation, und jemand tanzt.

Das spricht den Theatermacher wahrscheinlich an, oder?
Das Schöne an dem Werk ist, dass es der einzige reale Körper ist, der ausgestellt wird. Und das führe ich nicht ein, sondern das ist schon Teil der Sammlung.


Das Werk spielt also eher auf einer Bühne als im White Cube?
Es ist ein yellow und black cube. Ich habe den ganzen Raum mit gelbem und schwarzem Plastik ausgekleidet. Durch den Raum zieht sich ein gebauter und begehbarer Bandwurm.

Und die Außenwelt wird ausgeschaltet?
Ja, das ist immersiv. Es gibt einen Grundmythos, es gibt Stimmen im Raum, es gibt Punkte, an denen Text gesprochen wird. Es gibt einen Plot, den man entdecken kann. Es gibt eine Soundinstallation. Wir befinden uns im Magen von Maria Callas — aber sehr abstrakt.

Wie bitte?
Dem Mythos nach hat sich Maria Callas einen Bandwurm eingeführt, um abzunehmen. Die Geschichte von Maria Callas steht im Fokus, die Kunstwerke sind das Verschlungene. Eine komplexe Anordnung: Es ist ein Vertrag zwischen dem Parasiten und Maria Callas. Alles, was sie verschlingt, gehört dem Bandwurm, also auch die Kunstwerke und die Besucher.

Und das ist das Konzept der Ausstellung?
Es geht darum, Ausstellung und Darstellung zu vermischen. Theater stellt dar, bildende Kunst stellt aus. In der darstellenden Kunst betrachtet man Menschen, die sich bewegen. In der Ausstellung bewegt man sich zu einem Objekt. Nun ist die Frage, wo die Form des Darstellens in die des Ausstellens übergeht.

 

 

Erzählt die Ausstellung eine Geschichte?
Ja, aber man muss sich das schon selbst zusammenbasteln. Die Narration ist nicht linear und kann immer anders zusammengepuzzelt werden, und der Ausstellungsraum ist auch nicht linear. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Das ist ein Unterschied zum Theater.

Kann das Theater nicht auch viel stärker auf die Zuschauer wirken?
Klar, Theater berührt einen mehr. Aber Bewegung auf der Bühne ist nicht automatisch Bewegung im Kopf. Im Museum kann ich für die Werke eigene Kontexte herstellen. Ich würde sogar behaupten, dass eine gut kuratierte Ausstellung wie ein gut geschriebenes Theaterstück ist. Nur dass die Ausstellung freie Interpretation zulässt. Im konventionellen Theater sehen alle Zuschauer etwas ähnliches.

Gibt es im Theater den Impuls, rauszugehen und sich politisch zu äußern mehr als im Kunstbetrieb?
Für das Theater gibt es keinen Markt, denn das ist ein rein subventionierter Betrieb. Ich muss kein Produkt verkaufen. Es gibt einen gesellschaftspolitischen Auftrag: Da treffen sich jeden Tag tausend Leute in einem Saal. Denen wird etwas vorgespielt, und sie versuchen, darüber nachzudenken, wie ihre Gegenwart funktioniert. Eine Gemeinschaft trifft sich und erzählt sich etwas, um mehr über ihre Probleme zu erfahren.

Ist das Theater damit näher an der Idee der Demokratie als das Museum?
Die Demokratie wird im Theater erfunden. Und das Museum wird in der Demokratie erfunden. Das ist der Unterschied. Die "Orestie" von Aischylos erzählt die Entstehungsgeschichte der Demokratie: Nachdem Athen errichtet ist, wird das Naturrecht durch positives Recht abgelöst. Das öffentliche Museum entsteht ja erst nach der Französischen Revolution. Dann wird das Museum identitätsstiftend. Das ist ein neues humanistisches Prinzip: Alle Menschen haben Zugang zur Kunst.

Kann das Theater also viel besser politisch sein als die bildende Kunst?
Kommt drauf an. Bildende Kunst korrespondiert besser mit Philosophie. Zum Beispiel die Serie "Repair Analysis" von Kader Attia, auch in der Ausstellung zu sehen. Er flickt zwei Spiegel zusammen und daraus entsteht Schönheit. Wenn man das zu Ende denkt, sind die ganzen Brüche im Universum keine Fehler, sondern sie werden zur Schöpfung. Bildende Kunst kann so eine Idee stiften. Das kann Theater natürlich auch, aber dann würde man sagen: Warum ist da jetzt ein Essay auf der Bühne — das kann man auch den Philosophen überlassen.