Nach Begegnungen mit Hunden, mit automatischen Krabben, die unaufhörlich in Glaszylindern strampeln, oder mit simulierten Schreckensszenarien erwartet die Besucher am Ende des "Peace"-Ausstellungsparcours eine Oase, ein offener, heller Raum. Unterschiedlichste Pflanzen, dazwischen Holzhocker und -stühle, leise Musik. Ein Ort, der einen empfängt und einlädt – zum Verweilen, zum Entspannen, dazu, den Blick schweifen zu lassen, die Aussicht nach draußen zu genießen, welche die großen Fenster des Ausstellungsraums gewähren.
Dieser offene Bereich wurde von der US-amerikanischen Künstlerin Isabel Lewis komponiert. Ihre Zusammenstellung von Sitzgelegenheiten, Alltagsobjekten wie Holzpaletten oder leeren Getränkekisten und Pflanzen ist bis ins Detail durchdacht. Ein choreografierter Raum, der die Bewegungen in ihm vorgibt und beeinflusst, der in sich geschlossen ist und doch so offen und durchlässig, dass er mit den anderen Arbeiten im hinteren Teil der "Peace"-Ausstellung korrespondiert. Ein Ort in der Ausstellung, der nicht dauerhaft bespielt wird, an dem es vermeintlich nichts zu sehen gibt. Jeder Einzelne kann und soll diesen Ort selbst aktivieren.
Die eigene Anwesenheit belebt die Installation, unsere Bewegung, unser Stehen, Sitzen, Verweilen lässt die Arbeit immer anders erscheinen. Sitzt man alleine zwischen den hohen Pflanzen und lauscht der leisen, entspannten Musik, entsteht ein anderer Eindruck, als wenn der Raum von einer Gruppe eingenommen und mit Aktion gefüllt wird. Der Raumeindruck wird bei Lewis’ Arbeiten nicht primär von visuellen Eindrücken geformt, andere Sinne werden ebenso angesprochen.
Die Musik, die den Raum füllt, ein mehrere Stunden langes Mixtape, ist von der Künstlerin eigens für diesen Ort zusammengestellt worden. Lässt man sich darauf ein und verweilt etwas länger, kann man auch einen ganz eigenen Geruch wahrnehmen. Süßlich-frisch, angenehm, aber schwer zu definieren, verströmt von einem kleinen Apparat. Isabel Lewis hat diesen Duft gemeinsam mit der norwegischen Geruchsforscherin Sissel Tolaas entwickelt. Der Ort soll den Besuchern visuelle, auditive und olfaktorische Erfahrungen ermöglichen, auf die man sich während der gesamten Ausstellungslaufzeit einlassen kann. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, den Raum gemeinsam mit der Künstlerin zu erleben. Immer dann, wenn Isabel Lewis zu einer ihrer "occasions" einlädt, fungiert sie als Gastgeberin und ist über mehrere Stunden für die Besucher da.
So geschehen während des "PEACE WEEKEND", dem ersten Wochenende nach Eröffnung der Ausstellung in der Schirn. Zwischen Pflanzen, Möbeln und Objekten sitzt Lewis am Boden vor einem DJ-Pult, mischt Musik. Besucher kommen und gehen, die ersten setzen sich. Nach und nach füllt sich der Raum, Leute machen es sich gemütlich, bedienen sich nach Einladung und Aufforderung der Künstlerin an den bereitgestellten Getränken. Isabel Lewis bildet den Mittelpunkt des Geschehens, setzt aber ganz auf Interaktion mit den Anwesenden. Sie nimmt sich einen großen Apparat, aus dem Luft geblasen wird, und geht damit von Besucher zu Besucher.
Ist man selbst an der Reihe, stellt man fest, dass es sich um einen intensiven Geruch handelt, den Lewis einem hier "serviert". Im Laufe der mehrstündigen Performance präsentiert Lewis drei unterschiedliche Düfte. Selten kann man Gerüche so unmittelbar wahrnehmen und direkt beobachten, wie sie ihre Wirkung entfalten und Reaktionen provozieren. Genau nach diesen Reaktionen fragt Lewis bei ihren Gästen.
Woran erinnert dich dieser Geruch? Was assoziierst du damit für Bilder? Welche Farbe kommt dir in den Sinn? Die Antworten sind denkbar unterschiedlich, es wird deutlich, wie schwer es fällt, darüber zu sprechen, was wir riechen. Was man sieht oder hört, scheint eindeutig einfacher zu beschreiben. Und das, obwohl Gerüche einiges auslösen, oft unterbewusst, aber häufig rufen sie doch sehr klare Erinnerungen und Bilder hervor. Nicht umsonst ist die Frage, ob man jemanden "gut riechen kann", im Deutschen zum geflügelten Wort geworden.
Bei einem der Gerüche sind sich alle einig, dieser sorgt bei den meisten Besuchern für verzogene Gesichter, eine Besucherin assoziiert ihn mit schlechtem Männerparfüm, eine andere macht Schweißgeruch aus. Isabel Lewis ist begeistert und erzählt, dass all diese Ideen und Noten in den "Duft" mit eingeflossen sind. Der chemisch hergestellte Geruch ist dem nachempfunden, was man zu späterer Stunde im Berghain in Berlin riechen kann.
Der legendäre Club hat es auch Isabel Lewis angetan, die seit einigen Jahren in Berlin lebt. Sie mag diesen Ort, mit seiner vermeintlichen Ort-, Zeit- und Grenzenlosigkeit. Sie erzählt den Besuchern von durchtanzten Nächten, davon, wie fasziniert sie von der Vielzahl an Menschen und Körpern ist, die dort regelmäßig zusammenkommen und miteinander in Verbindung treten, in welcher Form auch immer – verschwitzte Schulter an verschwitzter Schulter auf der Tanzfläche, an der Bar beim Drink, oder noch näher, abseits von Bar und Tanzfläche.
Lewis spricht mit ihren Gästen an diesem Tag auch über die Schriften der Soziologin Roslyn W. Bologh und wie prägend diese für sie sind, besonders Bologhs Verständnis von "erotic sociability"[1]: Erotik nicht im engeren Sinne, bezogen auf sexuelle Momente und Situationen, sondern unsere Körperlichkeit, mit der wir in unterschiedlichen Situationen erotische Beziehungen im weiteren Sinne eingehen.
Hin und wieder unterbricht Lewis ihre theoretischen Überlegungen und fängt an zu tanzen. Ihre Bewegungen unterstreichen das, was sie sagt – sie tanzt durch den Raum, für sich alleine, tanzt aber auch immer wieder Leute direkt an, provoziert körperliche Reaktionen, stellt Beziehungen her – zwischen sich und dem Raum, zwischen sich und anderen. Während sich Lewis intellektuell oder körperlich mit den Anwesenden austauscht, werden kleine Snacks gereicht, auch der Geschmackssinn soll nicht zu kurz kommen. Und es soll eine angenehme Atmosphäre herrschen, alle sollen sich wohlfühlen.
Isabel Lewis geht vollkommen in ihrer Rolle als gute Gastgeberin auf. Und als solche gibt sie über den gesamten Zeitraum der "occasions", die meist mehrere Stunden dauern, viel von sich preis. Bei allem, was sie einbringt spielt immer auch ihre berufliche Herkunft und ihre Art zu leben eine Rolle. Lewis ist ausgebildete Tänzerin und hat in New York, wo sie lange lebte, auch als Choreografin gearbeitet. Für ihre occasions choreografiert sie ihre Bewegungen und auch ihr Raumverständnis ist nur durch und mit Bewegung zu begreifen. Sie baut keine Bühnen oder Kulissen, sie schafft Orte, die zum Aufhalten, zum Umhergehen einladen. Lewis erarbeitet diese Räume aus dem heraus, was sie vor Ort vorfindet, geht auf die jeweiligen architektonischen Gegebenheiten ein, arbeitet nach Möglichkeit mit Materialien, Möbeln und Objekten, die vor Ort verfügbar sind. Daher sehen die Räume, in denen die "occasions" stattfinden, immer anders aus, wirken unterschiedlich, sei es in den Tanks der Londoner Tate Modern, einem kühlen Ort, der von Beton geprägt ist, im Palais de Tokyo in Paris, wo sie mit dem Naturmaterial Kork gearbeitet hat, oder der Dia Art Foundation, wo 2016 "occasions" im Innenraum (Dia:Chelsea) und im Außenraum (Dia:Beacon, Scenic Hudson’s Long Dock Park) stattfanden.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil aller "occasions", egal an welchem Ort und in welchem Kontext sie stattfinden, ist Musik. Sound, der Bewegungen generiert und auslöst, aber auch Isabel Lewis' eigene Stimme, wenn sie singt oder nahezu sphärische Klänge damit erzeugt. Mit Musik und Sound reagiert die Künstlerin immer auf Stimmungen der Besucher, die im Raum vorherrschen. Zu Beginn und Ende der „occasions“ läuft meist entspannte Musik, nicht zu laut, nicht zu viel Bass. Die Leute sollen ankommen beziehungsweise sich langsam wieder vom Raum lösen können. Auch dank ihrer Arbeit und Erfahrung als DJane hat Lewis ein gutes Gespür dafür, wann und wen sie mit Musik antreiben oder entspannen kann. In Berlin hat sie mit "Bodysnatch" ihre eigene Veranstaltung entwickelt, die regelmäßig im Monarch Berlin (am Kottbusser Tor) stattfindet und durch andere Clubs tourt.
Bei ihren "occasions" geht es allerdings nicht nur darum, Bewegung zu erzeugen und Menschen zum Tanzen zu bringen. Vielmehr sollen weiterführende Frage aufgeworfen werden: Was macht es mit dem Raum, wenn darin getanzt wird? Wie verhalte ich mich im Raum, wie bewege ich mich? Was macht es mit mir, wenn andere tanzen, was entsteht, wenn Menschen miteinander tanzen, als Paare oder in kleinen oder großen Gruppen? Interaktion untereinander soll bewusst erfahrbar gemacht und hinterfragt werden. Das ergründet Lewis auch mit ihren "Kizomba occasions", von denen zwei am 20. und 21. September 2017 in Frankfurt stattfinden werden. Hierfür arbeitet sie mit Tänzern zusammen, die den aus Angola stammenden Tanz Kizomba aufführen. Ein schneller, erotischer Tanz, der zwei Körper miteinander vereint, der Rollen vorgibt, kurzzeitig Beziehungen schafft und sichtbar macht. Man darf gespannt sein, welche Erfahrungen das den anwesenden Besuchern ermöglicht, welche Gelegenheiten Lewis dann schafft, welche Räume für Erfahrungen und Begegnungen sie auftut.
Zur Autorin:
Natalie Storelli arbeitet seit 2015 als kuratorische Assistentin in der Schirn Kunsthalle und war unter anderem an der Realisierung des PEACE Ausstellungsprojektes beteiligt.
[1] Roslyn Wallach Bologh, Love or Greatness. Max Weber and Masculine Thinking – a Feminist Inquiry, London 1990.