Herr Tillmans, beim offiziellen Fototermin in der Fondation Beyeler in Basel sagten Sie gerade, es sei schwer, Smartphone-Fotos ernst zu nehmen. Warum?
Weil Handyfotos vor kurzer Zeit qualitativ immer nur eine Notiz sein konnten und weil noch nicht wirklich im Hirn angekommen ist, dass es ja 10-Megapixel-Kameras sind, die auf einen gerichtet werden. Einerseits können qualitativ gute Bilder geschaffen werden. Andererseits ist da die Realität, die Medien schaffen Fotografen ab, und die Autoren, die Schreiber, die Journalisten werden alle zu Fotografen. Diese Bilder, die da mal eben mit dem Handy gemacht werden, landen sehr wohl in den Medien. Und es sieht einfach aus wie so ein Handygeknipse.
Sie sind einer der wenigen deutschen Fotografen auf Instagram.
Ah ja, wirklich?
Ja, deutsche Fotografen tun sich mit Instagram wahnsinnig schwer. Viele sehen im Teilen von Bildern beispielsweise unbezahlte Verbreitung der eigenen Arbeiten im Internet. Der Instagram-Account @wolfgang_tillmans war sehr lange inaktiv.
Nee, das war nicht meiner. Das war ein Fake-Account.
Jetzt ist es Ihrer.
Ja, ja, klar! Es gab einen Fake-Facebook-Account und einen Fake-Instagram-Account, wie von so vielen. Das ist mir aufgefallen und ich habe selbst übernommen. Vor zwei Jahren habe ich irgendwie gemerkt, dass Instagram interessant ist, weil mir Leute gesagt haben, Instagram sei ein Medium, das sie selbst interessiert. Und so ist Instagram für mich langsam tatsächlich ein eigenes Medium geworden.
Hat Ihnen jemand gesagt: "Wolfgang, Du musst dieses Instagram machen?"
Nee, nee, das hat mir niemand gesagt. Assistenten beim Ausstellungsaufbau in Santiago de Chile haben mir nahegebracht, was Instagram für sie bedeutet. Dass es eine interessante Art von Denken ist. Und ich glaube, es gab da einen Satz, den ich von Präsident Obama gelesen hatte über seinen Iran-Vertrag. Diesen Satz fand ich so berührend, dass ich ihn fotografiert und vervielfältigt habe. Eben habe ich in einem anderen Interview gesagt, dass ich das Medium Fotografie gewählt habe, weil ich liebe, was ich damit bildnerisch machen kann. Aber ich mag es eben auch, weil es Gedanken vervielfältigen und verstärken kann. Das sind Grundbedürfnis und Ursache gewesen, warum ich als Künstler von Anfang an gewählt habe, in Ausstellungen und Medien zu arbeiten. Weil ich diese Verbreitung mag.
Chris Dercon hat Sie kürzlich im Interview mit Monopol einen "Verstärker" genannt. Über Instagram erreichen Sie die Leute noch direkter.
Ja, das ist aber nur ein Kanal. Das Verrückte ist, dass auf diesen bierdeckelgroßen Bildern tatsächlich eine Qualität kommunizierbar ist. Bei der Arbeit an den beiden Ausstellungen, in der Tate und in der Fondation Beyeler, habe ich allerdings wieder gemerkt, dass das, was Du in einer Ausstellung direkt körperlich vor einem Bild erleben kannst, nicht ersetzbar oder austauschbar ist durch eine gedruckte Seite oder ein elektronisches Bild.
In Ihren Arbeiten ist die Körperlichkeit des Mediums Fotografie wichtig. Deshalb war ich verwundert zu sehen, dass Sie auf Instagram tatsächlich ab und an auch Fotos posten und nicht ausschließlich politisch aktiv sind.
Ja, ab und zu kommt das mal vor.
Vor ein paar Tagen haben Sie hintereinander drei Fotos geteilt, die an ihr Faltenwurf-Projekt erinnert haben.
Ja, das war jetzt eine betrunkene Nacht.
Das dachte ich mir fast.
(lacht)
Sie sprechen oft darüber, dass Sie nicht ständig Fotos machen, sondern auch mal lange Jahre über etwas nachdenken, wie zum Beispiel über Autoscheinwerfer. Ihnen ist aufgefallen, dass sich deren Form verändert hat und Sie sehen darin einen Ausdruck des Wettbewerbsklimas. Plötzlich stehen Autos auf einem Parkplatz in Tasmanien vor Ihnen, alles entspricht Ihren Vorstellungen, das Licht stimmt und die Arbeit entsteht in einer Stunde. Wie darf man sich den Entstehungsprozess Ihrer Werke generell vorstellen?
Es gibt nicht einen einzigen Arbeitsmodus, das ist vielleicht das Charakteristischste an meiner Arbeitsweise. Weil ich beobachte, dass mir gewisse Dinge in einem kurzen Moment klarwerden, visuell greifbar werden und ich vorbereitet sein will, habe ich immer eine Kamera dabei. Eine Kamera, die klein genug ist, mich im Leben nicht zu stören, aber gut genug, ein Bild zu machen, was ich nutzen kann. Zu anderen Zeiten nehme ich eine Spiegelreflexkamera mit und dann ist die Präsenz der Kamera an meiner Schulter hängend etwas, das auch meinen Geist anders schärft. Dann ist das Bildermachen eine aktivere Tätigkeit. Es gibt Zuspitzungen. Reisen zum Beispiel ist eine solche Zuspitzung. Reisen schafft eine Klarheit des Blicks, den man im Alltag nach drei Wochen an einem Ort schwer haben kann. Gleichzeitig habe ich jeden Morgen das Glück, dass ich die Welt immer wieder neu empfinde, obwohl ich ein Nachtmensch bin. Der Morgen ist für mich genauso ein Schaffensmoment. Und ich kann mich jedes Mal neu an dem erfreuen, was die Augen sehen können. So lange ich mich nicht an der Welt langweile, denke ich, dass es weitergeht.
Wenn Sie über ihre Arbeit reden, nennen Sie es Bildermachen. Wie möchten Sie eigentlich genannt werden? In der letzten Zeit wurden Sie in den Medien häufig als "Fotokünstler" eingeführt ...
Ja, und das ist eben nicht wahr. Unten in der Fondation Beyeler sind zwei frühe Zeichnungen zu sehen. Es gibt Musik, Videos, Text-Bild-Installationen, skulpturale Arbeiten. Ich bin ein Fotograf, ja, aber in der ersten Kategorie ein bildender Künstler. Ich bin Künstler. Strange finde ich es immer noch, Musiker genannt zu werden. Das ist total ungewohnt.
"Fotokünstler" ist aber auch sehr strange.
Ja, furchtbar. Das ist ein bescheuertes Wort. Man sagt ja auch nicht, der "Malereikünstler" oder die "Skulpturkünstlerin". (Imitiert John F. Kennedy:) Ich bin ein Künstler.