Handy-Fotografie

Instagram sollte ein bisschen mehr wie bei Wolfgang Tillmans sein

Die Fotoplattform Instagram hat einen zweifelhaften Ruf. Wie man sie vorbildlich nutzt, zeigt der Künstler Wolfgang Tillmans

Was bei Fotografen ziemlich gut funktioniert: wenn sie etwas gegen Selfies oder Instagram sagen. Am besten ist natürlich, Selfies und Instagram in einem Satz zu bashen. Peter Lindbergh sagte kürzlich vor der Eröffnung einer Ausstellung: "Ich finde, Selfies sind eigentlich so ziemlich das Blödeste, was es überhaupt gibt." Daraus wurde eine Meldung der Deutschen Presse Agentur, in der außerdem stand, dass er es noch blöder findet, wie Frauen in Magazinen aussehen. Photoshop macht alle gleich glatt. Und Instagram alle gleich langweilig und berechenbar. Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt, machen mit oder machen uns über diejenigen lustig, die mitmachen. Im Zweifel predigen wir Entschleunigung und Digital Detox – ein Tag ohne Smartphone ist die persönliche Herausforderung im 21. Jahrhundert.

Wolfgang Tillmans fragte letzte Woche beim Presserundgang am Tag vor der Eröffnung seiner großen Ausstellung in der Basler Fondation Beyeler die Fotografen, ob denn das Licht gut sei, als er sich vor seine Concorde-Serie stellte, um sich fotografieren zu lassen. Keiner hatte Zeit zu antworten, also rief ich, die Kunstkritikerin mit dem Smartphone als Kamera in der Hand, denn irgendwie wird das mit dem Licht sicher gehen: "Total super!" Tillmans schaute sich im Raum um und kommentierte: "Ist schon schwer, Smartphone-Fotos ernst zu nehmen, aber die werden natürlich verwendet."

Und wie sie verwendet werden.

 

Und natürlich ist das ein Problem für Fotografen, wenn Fotografen weniger beauftragt werden, weil jeder ein Foto machen kann, das dann irgendwie schon gut genug sein wird – zumindest für die Sozialen Medien reicht es fast immer. Fotografen haben aber noch ganz andere Probleme, wenn sie schon sehr lange Fotos machen, die etwas von Schnappschüssen und privaten Momentaufnahmen haben. Oder wenn sie irgendwann Selbstporträts gemacht haben. Dann heißt es gerne mal, aha, Selfies avant la lettre.

Stephen Shore, einer der Mitbegründer der New Color Photography in den 70er-Jahren und heute so etwas wie der Instagram-addict unter den namhaften Fotografen, glaubt, dass Andy Warhol ziemlich begeistert von Plattformen wie Instagram gewesen wäre. Weil unbekannte Fotografen durch die sozialen Medien berühmt werden können. Und Warhol sagte ja, in der Zukunft werde jeder für 15 Minuten berühmt sein. Andy Warhol kann nun nicht mehr widersprechen und lamentieren, dass Selfies jetzt aber wirklich das Blödeste sind, was es überhaupt gibt.

Nan Goldin kann sich noch wehren und sie tut das auch. Letzten Sommer titelte die "New York Times": "Nan Goldin Wants You to Know She Didn't Invent Instagram". Klar, Nan Goldin hat Instagram nicht erfunden, das waren Kevin Systrom und Mike Krieger. Warum sie das trotzdem so deutlich von sich weist? Sie möchte nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass wir heute fast im Bilderstrom ertrinken. Ihr Werk "Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit", das zwischen 1978 und 1986 entstanden ist, nimmt angeblich das übereifrige Teilen privater Schnappschüsse von Freunden und Bekannten vorweg. Das könne nicht wahr sein, sagte sie, und falls doch, fühle sie sich schrecklich deswegen. Alles gut, Nan, würde man ihr jetzt gern ins Ohr flüstern, nicht Dein Fehler, Du kannst nachts wieder ruhig schlafen. Das haben wir uns selbst eingebrockt, und so privat ist das alles nicht, was wir auf Instagram zeigen, don't panic!

Auch Wolfgang Tillmans muss sich nachsagen lassen, dass es da eine Verbindung zwischen seinen Fotos und Instagram gibt. Und auch er wies in einem Interview mit dem "Guardian" schon 2014 von sich, für Instagram und das obsessive Dokumentieren des eigenen Lebens verantwortlich zu sein. Er selbst habe nie sein Essen fotografiert, um seinen Freunden zu zeigen, schau, ich habe gerade eine Banane gegessen.

Was an Instagram am meisten nervt, ist die penetrante Arbeit am Alltag. Vor zwei Jahren machte ein Text über Instagram die Runde, der in der "Welt" erschienen war. Die Autorin beklagte, dass Instagram unser Wohlstandsleben versaut habe, weil wir keine Privatmenschen mehr sein können. Alle müssten wir alles teilen, damit wir allen zeigen könnten, wie toll alles sei. Freunde, Essen, Freizeit, Wohnung. Toll, alles toll. Und dann stand in diesem Text dieser eine Satz, der Wolfgang Tillmans, wenn er ihn gelesen hat, sicherlich die Tränen in die Augen getrieben hat: "Jeder konnte jetzt wie Wolfgang Tillmans sein, selbst ein Künstler, der sein Leben herzeigt wie ein offenes Buch, jeder konnte das Stillleben seines Alltag erschaffen." Öhm. Irgendwie wäre das Leben natürlich um einiges leichter und schöner und aufregender, wenn das Teilen von Bildern auf Instagram aus jedem einen Künstler macht. Gerade erzielen die Fotografien von Tillmans Auktionsrekorde, wann ist es bitte endlich bei mir soweit?

In Zukunft ist nicht jeder dank Instagram ein Wolfgang Tillmans. Trotzdem wäre es ziemlich gut, wenn Instagram ein wenig mehr wäre wie Wolfgang Tillmans. Instagram wäre endlich ein politisches Medium, es wäre weniger überflutet und noisy, weniger verzweifelt kitschig, weniger gierig nach Aufmerksamkeit und der Blick auf Körperlichkeit wäre angstfrei.

Im Interview mit Chris Deron für Monopol sprach Tillmans darüber, dass Kunst einen Beitrag liefern müsse. Es reiche nicht, sich ausdrücken zu wollen, denn das wollen wir alle. Und dann sagte er diesen schönen Satz, den Instagram zu seinem Claim machen sollte: "Wenn man Aufmerksamkeit nimmt, dann soll die nicht nur einem selbst dienen, sondern dem Zusammenleben förderlich sein." Was wäre Instagram für eine schöne Plattform, wenn sich jeder vor dem Teilen zumindest eines jeden fünften Fotos Gedanken darüber machen würde, wie damit dem Zusammenleben geholfen ist. Oder wenn nicht wie wild fotografiert werden würde. Tillmans sagte schon 1999, er sei nicht an einer endlosen Bilderflut interessiert, denn es gebe sowieso schon zu viele Bilder auf dieser Welt.

Fast 20 Jahre später gibt es unendlich viele Bilder mehr. Nur in seltenen Momenten würde sich für ihn die Schönheit eines Menschen oder einer Stadtlandschaft offenbaren, ihm gehe es darum, die einfachen Dinge in seiner Umgebung in etwas Einzigartiges zu verwandeln, so Tillmans. Mehr Einzigartigkeit und weniger Momentaufnahmen könnte Instagram sehr gut vertragen.

Und weniger Angst vor Körperlichkeit. Wer eines der explizit körperlichen Fotos aus den Ausstellungen von Tillmans in der Londoner Tate oder der Basler Fondation Beyeler teilt, riskiert, von Instagram für einen kurzen Zeitraum gesperrt zu werden. Das ist einem der Teilnehmer der Pressekonferenz in Basel passiert. Tillmans fotografische Version von Courbets Ursprung der Welt kann man selbstverständlich auf Instagram teilen, dort wird sie aber nicht lange zu sehen sein, selbst wenn deutlich erkennbar ist, dass es sich um Kunst handelt – ein Bild in einem Rahmen im White Cube.

Instagram meint es gut, das glaubt zumindest das amerikanische Unternehmen, denn es möchte laut eigener Aussage seine Nutzer schützen. "Wie viel Kontrolle haben wir wirklich?", das fragte Tillmans sich 2015 in einem Vortrag anlässlich der Verleihung des Hasselblad Awards. Er meinte, Kontrolle über den eigenen Körper, denn wie frei von Kontrolle ist der Körper? Sei es im Sinne von Schönheitsdogmen, Stichwort: Rasur von Körperhaaren, sei es im Sinne ideologischer Kontrolle. Instagram hat diese Kontrolle multipliziert und die Angst vor dem Körper verstärkt, ein jeder Nutzer kann gewissermaßen Kontrolle über den Körper eines anderen Nutzers haben, denn ein jeder Nutzer kann Bilder melden und zensieren lassen, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen.

Lasst uns vielleicht doch alle ein wenig mehr wie Wolfgang Tillmans auf Instagram sein. 

Ein Interview mit Wolfgang Tillmans zum Thema finden Sie hier