Spiritistische Sitzungen an der Volksbühne

Die Geister, die wir rufen

Der Maler Martin Eder veranstaltet spiritistische Sitzungen in der Volksbühne. Eine Reaktion auf den umstrittenen Intendantenwechsel? Unsere Autorin war bei der ersten Séance dabei

Schwarzes Lametta an den Wänden, Kerzen und Grablichter, ein großer Stuhlkreis, Mitternacht: Martin Eder hat zu einer spiritistischen Sitzung in die Volksbühne geladen. Zur Einstimmung gibt es Rotwein in kleinen Plastikgläsern. Neugierig sehen die etwa 40 Menschen aus, die sich vor dem großen Saal  sammeln, und ein bisschen schüchtern. Niemand weiß, was jetzt genau passiert, nur, dass das keine gewöhnliche Performance wird. Hat man sich durch die Dunkelheit bis zum Stuhlkreis getastet, kümmert sich Eder um jeden persönlich. "Such dir einen Platz", sagt er mit warmer Stimme und sanftem Händedruck. In der Mitte ist ein Podest aufgebaut, darauf steht ein Bogen, der aussieht wie der Eingang zu einem Tempel. Oder zum Jenseits. Denn darum soll es ja gehen.

Martin Eder, ganz in schwarz gekleidet, die Haare schulterlang, leicht gewellt und ein bisschen strähnig, ist in dieser Nacht der Zeremonienmeister. Als "Austreibung" ist die Performance angekündigt. "Wir haben die Erwartung, dass die Menschen, die bei uns waren, nach Hause gehen mit einem neuen Weltbild, einer völlig anderen Vorstellung von dem, was sie umgibt und was sie nicht umgibt", sagt Eder drei Tage vor der ersten Séance. "Es geht um die Energien, die die Leute selber mitbringen, um die eigenen Ängste, die Überwindung dieser Ängste und die Chancen, die dadurch entstehen."

Die Idee für die Veranstaltungen kam Elena Sinanina vergangenen Herbst. "Ich habe mich ohnehin schon länger mit Martin Eders Arbeiten beschäftigt und auch seine Performances verfolgt", erzählt die Kuratorin. "Mich  interessiert der künstlerische Umgang mit Hypnose in Verbindung zur modernen Magie im Theater."

Drei Tage vor der "Austreibung" laden Eder und Sinanina zu einer Prozession mit dem Titel "Hellstromistische Ausleitung der Gesteinströme. Öffnung zum Jenseitsall. Präparation des Lichtes – Luzifer". Etwa 35 Menschen sind vor die Volksbühne gekommen, es ist Vollmond. Auch jetzt trinken die Menschen Rotwein. Außerdem werden Fackeln und Räucherstäbchen verteilt, deren Duft während der gesamten Prozession die Luft schwängert, und die genauso lange brennen, wie man sie braucht: für eine Runde um die Volksbühne. Martin Eder, in einen langen, dunkelroten Mantel gehüllt, führt den Zug an.

Ihm folgt ein mit roten Tüchern und vier Fahnen geschmückter Holzwagen, auf dem zwei junge Frauen sitzen, ihre Gesichter hinter roten Schleiern versteckt. In ihren Händen halten sie Glöckchen, die während der ganzen Prozession hell klingeln. Hinter ihnen zwei weitere junge Frauen, eine von ihnen Lilli Moors. Beide klopfen einen Takt auf flachen Trommeln und singen eine Melodie, die auch bei der Séance zwei Tage später wieder auftaucht. Alle tragen wie Eder lange, dunkelrote Umhänge und weiße Handschuhe. Dann bewegt sich der Zug schweigend und langsam eine Runde um die Volksbühne. Der Künstler spricht während der ganzen Aktion kein Wort. Manchmal stößt er tiefe, kehlige Laute aus, die dem meditativen Gesang seiner beiden Gehilfinnen eine noch mystischere Note verleihen.

Aus einem Gefäß hinten am Wagen rieselt den ganzen Weg um die Volksbühne ein weißes Pulver auf den Boden: Salz. Salz hat einen rituellen Bezug und wird in Zeremonien traditionell zum Schutz eingesetzt. "Der Salzkreis schützt denjenigen,  der drinnen ist im Ritual, und er lässt böse Geister von draußen nicht mehr rein", sagt Sinanina.

Ein schützender Kreis um die Volksbühne – eine Anspielung auf die Debatte um Castorf-Nachfolger Chris Dercon? Castorfs letzte Spielzeit läuft, und Berlin macht es Dercon, dem ehemaligen Direktor der Tate Modern, nicht leicht. Die Organisatoren wehren sich nicht gegen diese Interpretation. "Inhaltlich haben wir mit unserer Aktion keinen Bezug zum Intendantenwechsel an der Volksbühne", sagt Sinanina. "Wir sind nicht motiviert durch kulturpolitische Debatten." Sie sagt aber auch: "Natürlich kann man nicht leugnen, dass sich die Volksbühne in einem besonderen Seinszustand befindet." Es sei zwar verkürzend, die Aktion auf diese eine Lesart "herunter zu brechen, aber wir akzeptieren diesen Bezug. Das ist eine Bedeutungsvariante, die absolut plausibel ist." Die Volksbühne sei in jedem Fall der geeignete Ort für die Séancen, sagt Sinanina, denn: "Das Haus steht wie kein anderes für experimentelle, performative Kunst, für Interdisziplinarität und für ästhetische Wagnisse aller Art."

Martin Eder, geboren 1968 in Augsburg, malt sonst vor allem laszive Frauenkörper und flauschige Katze. Außerdem macht er Musik und interessiert sich schon lange für alles, was mit Hypnose und spiritistischen Sitzungen zusammenhängt. In Großbritannien ließ er sich zum Hypnotiseur ausbilden. Das hat auch mit einem Nahtoderlebnis vor vielen Jahren zu tun: Während einer Herzkathederuntersuchung fiel der Strom aus. Für ein paar Sekunden stand sein Herz still.

"Die Hypnose öffnet ein unglaubliches Tor zur Fantasie. Unsere Realität wird auch von fantastischen und fantasievollen Elementen beherrscht, im guten und im schlechten Sinne. Hypnose hat zwar nichts mit Nahtod zu tun, aber das Interesse am Jenseits oder an einer esoterischen Andersartigkeit ist dadurch bei mir geweckt worden", sagt Eder kurz vor der Prozession am Sonntag.

Für die Veranstaltungen hat das Team auch eine Videoserie um die Volksbühnen-Schauspielerin Lillith Stangenberg produziert. "Lillith passt meiner Meinung nach sehr gut mit dem zusammen, was Martin Eder malt", sagt Sinanina. Viele der Videos spielen in der Berliner U-Bahn. "Unheimliches zeigt sich oft im Alltäglichen und Unbehagen entsteht meist dann, wenn etwas Normales verfremdet wird. In Berlin spielt sich für die meisten Menschen viel Alltag in der U-Bahn ab."  Die Videos sind eine eigenständige ästhetische Setzung, die weiterentwickelt werden soll.

Eder und Sinanina haben augenscheinlich einen Nerv getroffen: Für die erste Séance gab es mehr Anmeldungen als Plätze. Wer es geschafft hat, sitzt in der Nacht nun mit Eder zusammen. Schließt die Augen, stellt sich vor, wie durch eine Tür ein Licht in den Körper fährt und in die linke Hand wandert. Wird vielleicht von Eder hypnotisiert und lässt sich auf das Fantastische ein. Richtet den Blick nach innen und testet seine Grenzen aus. Am Ende der Nacht macht Eder noch einen letzten Test. Ein Stück Holz legt er auf eine Flasche, und alle sollen sich fest darauf konzentrieren, das Holz fallen zu lassen. Es passiert nichts. Bis Eder aufsteht und noch zwei Freiwillige sucht. Als er um das Podest herumläuft, landet das Holz doch auf dem Boden. Kurzes Zusammenzucken in der Runde. Dann entlässt Eder seine Teilnehmer wieder in die Nacht – und langsam sammeln sich die Menschen wieder, schlüpfen in ihre Mäntel, und treten in die Realität zurück.

Am 25. April um 23.59 Uhr beginnt die zweite Sitzung. Interessierte sollen sich vorher via Mail anmelden. Besondere Auswahlkriterien gibt es nicht. „Jeder, der ein Interesse hat, begründet das auf seine Art und Weise“, sagt Sinanina. Zur Website geht es hier.