In vier Wochen startet die documenta - diesmal nicht in Kassel, sondern zunächst in Athen. Zum ersten Mal lässt sich der künstlerische Leiter ein bisschen in die Karten schauen. Im Interview verrät Adam Szymczyk der Deutschen Presse-Agentur, wie viele Künstler er eingeladen hat, welche Räume und Orte er nutzt und warum die Teilnehmerliste nicht veröffentlicht wird.
Noch rund vier Wochen bis zur Eröffnung in Athen - wie ist der Stress-Level im Team?
Die Arbeitsbelastung ist momentan sehr hoch. Wir sind jetzt in Athen in der Umsetzungsphase von Produktion und Aufbau. Und parallel passiert das auch in Kassel, wo wir den zweiten Akt der Ausstellung vorbereiten. Das Team hat eine Größe erreicht, die sich meiner Kontrolle entzieht. Anfangs kannte ich jeden mit Namen. Jetzt sind wir mehr als 200 Personen in beiden Städten, aber es fühlt sich an wie eine Million.
Ihr erstes Konzept datiert aus dem Jahr 2013. Wie viel ist von der Kernidee erhalten geblieben?
Die Idee ist noch ziemlich intakt. Es ist nichts Kompliziertes daran. Es ging darum, die documenta zwei Mal stattfinden zu lassen, einmal in Athen und einmal in Kassel. Die Frage war, wie man das hinbekommt. Das war das Schwierige und hat drei Jahre gedauert.
Beobachter Ihrer kuratorischen Arbeit gehen davon aus, dass Malerei und Skulptur eine untergeordnete Rolle spielen werden. Was darf man stattdessen erwarten?
Ich mag Malerei! Ich schätze, wir werden ziemlich viel Malerei aus allen Teilen der Welt sehen - nur nicht unbedingt das, was man erwartet. Aber Malerei ist nur eine von vielen künstlerischen Ausdrucksweisen. Es gibt performative Kunst und mehr objekt-basierte Formate ... Die documenta ist nicht in verschiedene Kunstformen eingeteilt. Wir verfolgen einen mehr ganzheitlichen und interdisziplinären Ansatz.
Wie immer ist die Teilnehmeriste das bestgehütete Geheimnis der Kunstwelt. Wieso eigentlich?
Das ist kein Geheimnis. Wir haben etwa 150 Mitwirkende. Mitwirkende im Sinne von lebenden Künstlern, die schriftlich eingeladen wurden, aktuelle Arbeiten zu zeigen. Dazu kommen einige historische Positionen sowie Leihgaben aus Museen und Archiven. Wir haben uns immer wieder gefragt, ob wir die Teilnehmerliste veröffentlichen sollen oder nicht ... Ich bin kein Freund solcher Listen. Sie erzeugen eine gewisse Erwartungshaltung. Meiner Meinung nach sollte eine Ausstellung eine Erfahrung sein. Eine Erfahrung ohne große programmierte Erwartungen.
Sie haben bereits angekündigt, dass die Gäste der documenta 14 mehr sein sollen als passive Zuschauer: aktive Teilnehmer. Worauf muss man sich da einstellen?
Wir wollen Besucher ermutigen, es so zu sehen, dass der Kauf des Tickets sie zu mehr berechtigt, als sich nur Kunstwerke anzuschauen. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass sich die Besucher auch als ein Teil des Projekts und nicht nur als Zuschauer verstehen. Es birgt ja ein weitgehend ungenutztes Potenzial, wenn viele Menschen für eine große Ausstellung zusammenkommen - ein politisches Potenzial.
Besucherzahlen: Wenn sich die Kurve fortsetzt wie in den vergangenen Jahren - und angesichts der örtlichen Verdoppelung - könnten es 2017 über eine Million werden. Ist das wichtig?
Nein.
Welche politische, soziale und gesellschaftliche Aufgabe hat eine Kunstausstellung dieser Größenordnung in unserer Zeit?
Die documenta muss auch über sich als Institution nachdenken. Auch wenn sie von deutschen staatlichen Institutionen finanziert wird, ist es wichtig, sich nicht als die bloße Verlängerung der kulturellen und politischen Interessen Deutschlands zu sehen. Kulturelle Produktion sollte das Eigentum von jedermann sein. Die documenta gehört vielen Menschen jenseits der nationalen Grenzen - das war auch die ursprüngliche Überlegung, die die Ausstellung von Kassel nach Athen und wieder zurück führte.
Gab es bei Vorbereitung der Ausstellung politisch verursachte Probleme für manche Künstler - etwa bei der Ausreise oder Einschränkungen der künstlerischen Freiheit?
Einige Arbeiten bergen ein gewisses politisches Risiko - für manche Künstler und auch für die documenta. In manchen Ländern herrscht eine autoritäre Agenda, mit der wir nicht einverstanden sind und diesen Dissens bringen wir auch zum Ausdruck. Praktisch wurden wir aber nicht behindert und es wurden auch keine Kunstwerke aus politischen Gründen verworfen.
Ursprünglich hatten Sie vor, den Gurlitt-Nachlass in die documenta zu integrieren. Daraus ist nichts geworden, oder?
Es gibt da gewisse rechtliche und politische Einschränkungen. Was uns von politischer Seite gesagt wurde, klang so, als seien wir nicht kompetent, eine Sache dieser historischen und politischen Größenordnung anzugehen. Es waren politische Argumente, die meine kuratorische Idee überstimmt haben. Nun, die Welt ist kein perfekter Ort. Physisch ist das Gurlitt-Erbe nicht auf der documenta präsent, aber die Idee gab uns enorme Energie bei der Gestaltung von Teilen der Ausstellung in der Neuen Galerie in Kassel.
Wie viele Ausstellungsorte sind in Kassel geplant, neben den Kernorten wie documenta-Halle und Fridericianum?
Die documenta wird in fast allen öffentlichen Museen Kassels stattfinden, zum Beispiel in der Grimm-Welt oder im Ballhaus. Der Friedrichsplatz wird eine große Rolle spielen. Und eine ehemalige Post in der Nordstadt, die heute ein Fitnessstudio beherbergt. Das wird einer der Hauptschauplätze.
Und wird sich die documenta in Athen auch über die ganze Stadt erstrecken?
Wir haben in dieser Woche unsere Kooperation mit dem Museum für zeitgenössische Kunst in Athen (EMST) bekannt gegeben. Sie zeigen mehr als 200 Arbeiten im Fridericianum, während die documenta fast alle Räume des EMST in Athen bespielt. Der komplette Neubau wird damit zum ersten Mal für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Andere Schauplätze sind eine Ausstellungshalle, das Konservatorium, die moderne Erweiterung des Benaki-Museums und viele kleinere, aber nicht weniger wichtige Orte.
Alle Teilnehmer sollen sowohl in Athen als auch Kassel aktiv sein, richtig? Wie sieht das praktisch aus? Die Ausstellungsdauer überschneidet sich ja um einige Wochen.
Alle Teilnehmer wurden erst nach Athen und dann nach Kassel eingeladen und sollten danach Vorschläge machen für die beiden Städte. Sie konnten frei entscheiden: Eine Arbeit an beiden Orten zu zeigen, eine Arbeit in zwei Teilen, eine neue Arbeit hier und eine ältere dort. All diese Möglichkeiten wurden genutzt.
Was macht für Sie eine gute documenta aus? Wie muss Ihre eigene documenta werden, damit Sie am Ende sagen: Sie war ein Erfolg.
Für mich ist es bereits ein Erfolg: Wir arbeiten. Und wir arbeiten an zwei Orten, so wie wir es haben wollten. Für mich persönlich ist die beste Zeit jetzt. Wenn die documenta eröffnet, gehört sie den Besuchern. Sie können einige wirklich großartige, anregende Kunstwerke sehen, die zum ersten Mal gezeigt werden.
ZUR PERSON: Adam Szymczyk wurde 1970 in Polen geboren. Er studierte Kunstgeschichte in Warschau, jobbte in Galerien, schrieb Kritiken. In den 1990er Jahren machte er eine Kuratoren-Ausbildung in Amsterdam. Über Basel führte ihn der Weg auch nach Deutschland, wo er 2008 die Berlin-Biennale mitkuratierte. 2013 wurde er zum künstlerischen Leiter der documenta 14 ernannt. Sie findet von 8.4. bis 16.7. in Athen und von 10.6. bis 17.9. in Kassel statt.