Andres Veiel

"Beuys stellte schon vor 30 Jahren die richtigen Fragen"

In "Beuys" beschäftigt sich der deutsche Filmemacher Andres Veiel mit der politischen Aktualität des Aktionskünstlers Joseph Beuys
Für den Filmemacher Andres Veiel (57) ist das Werk von Künstler Joseph Beuys (1921-1986) heute aktueller denn je. "Er hat schon vor 30 Jahren die richtigen Fragen gestellt, weil er in den politischen Raum hineingedacht hat", sagt Veiel im Interview der Deutschen Presse-Agentur

Wann und wie war Ihre erste Begegnung mit dem Werk von Beuys?
Andres Veiel: Ich bin in Stuttgart, im Schatten von Stammheim, aufgewachsen. Da war natürlich Beuys schon Ende der 70er Jahre eine absolute Provokation. Wenn es da irgendwo Fettecken gegeben hätte, dann hätte man die ganz schnell im Rahmen der schwäbischen Kehrwoche entsorgt. Das hat mir natürlich gefallen - weil ich selbst dabei war, die Grenzen der meist auf 1,20 Meter eingenordeten schwäbischen Liguster-Hecken zu überwinden und die betonierten Garagenauffahrten sinnbildlich einzureißen.

Was macht Beuys heute noch so aktuell?
Beuys ist ein Künstler, der nach vorne schaut. Er hat schon vor 30 Jahren die richtigen Fragen gestellt, weil er in den politischen Raum hineingedacht hat.

Was sind die richtigen, wichtigen Fragen?
Die wichtigen Fragen sind: Sind wir dazu befähigt, die Zukunft und die Gesellschaft zu gestalten? Der Ausgangspunkt ist gerade jetzt eine Zeit, in der es eine Sehnsucht gibt nach einer Welt, wie sie nie gewesen ist. Eine Zeit, in der Grenzen hochgezogen werden, die Welt in ein "Wir" und "die Anderen" aufgeteilt wird und zugleich immer weniger Sicherheiten vorhanden sind. Beuys ist davon ausgegangen: Jeder Mensch ist ein Künstler. Das heißt nichts anderes,  als dass jeder Mensch per se die Fähigkeit hat, die Gesellschaft zu gestalten. Und er kann sie nicht nur gestalten, er soll es auch tun. Diese Unterstellung einer Möglichkeit ist an sich schon eine spannende Botschaft. Wir sind eben nicht nur Sandkörner, die von anderen Kräften hin und her geworfen werden, alle vier Jahre ein Kreuzchen machen und dann auf die Politiker schimpfen, die uns aus der Ferne regieren. Sondern wir sind selbst befähigt zu diagnostizieren, was ist und was sein soll. Das sind die richtigen Botschaften zur richtigen Zeit!

Beuys hat sich zudem in wirtschaftspolitische Fragen eingemischt.
Beuys war jemand, der auch ökonomisch gedacht hat. Für viele war das eine wahnsinnige Anmaßung. Er hat nie Ökonomie studiert. Und dann kommt da ein Künstler, der sich mit Fett und Filz beschäftigt, und denkt über Geldkreisläufe nach. Beuys hat in den 70er und 80er Jahren sehr einfach beschrieben, wie sich Geld aus sich selbst heraus vermehrt. Das hat sich ja im Jahr 2002 mit der DotCom-Blase und dann 2007 bei der großen Finanzkrise auf eine bittere Weise bewahrheitet. Wenn man jetzt nach Amerika guckt und auf die von Trump vorangetriebene Deregulierung, dann können wir jetzt schon prophezeien, dass wir in fünf bis sieben Jahren die nächste große Finanzkrise haben - mit noch viel größeren Volumina, die Ökonomien in den Abgrund reißen und ganze Gesellschaften untergraben.

Sie haben mit bislang unerschlossenen Bild- und Tondokumenten gearbeitet ...
Wir haben lange gesucht und gegraben. Wir haben Archivmaterial aus Nachlässen und Vorlässen, die bislang nicht erschlossen waren. Zum Teil haben wir auch zurückgegriffen auf ein großes Medienarchiv des Museums Hamburger Bahnhof in Berlin. Einige Sachen waren bekannt, vieles wurde im Laufe unserer Arbeit neu erschlossen. Das waren natürlich Materialberge: 400 Stunden Bildmaterial, 300 Stunden Audiomaterial, 20 000 bis 30 000 Fotos. Wir wurden immer wieder verführt durch neues spannendes Material.

Wie war der Kontakt zu Eva Beuys, der Witwe von Joseph Beuys?
Ohne den Kontakt zu Eva Beuys wäre der Film so gar nicht möglich gewesen. Wir hätten einen Film machen müssen ohne Kunstwerke. Am Anfang hat Eva Beuys uns noch viele Fragen gestellt, wohin wir mit dem Film wollen. Ab einem bestimmten Punkt hat sie mich vorbehaltlos unterstützt.

ZUR PERSON: Andres Veiel (57) ist gebürtiger Stuttgarter und lebt heute in Berlin. Der Durchbruch als Filmregisseur gelang ihm 2001 mit der Dokumentation "Black Box BRD" über den Bankenmanager Alfred Herrhausen und den RAF-Terroristen Wolfgang Grams. 2011 zeigte Veiel seinen ersten Spielfilm "Wer wenn nicht wir" im Wettbewerb der Berlinale. Veiel arbeitet auch für das Theater, wo sein Stück "Der Kick" aufgeführt wurde. Bei der Uraufführung seines Werks "Das Himbeerreich" 2013 führte er selbst Regie.