Instagram hasse sie, und Instagram-Künstlerin möchte sie schon gar nicht genannt werden, so Amalia Ulman kürzlich in einem Interview. Sie, die mit ihrer Instagram-Performance "Excellences & Perfections" auf sich aufmerksam machte und nach internationaler Medienberichterstattung in Ausstellungen in der Tate, in der Whitechapel Gallery und im NRW-Forum zu sehen war – und bei der 9. Berlin Biennale mit ihrer neuen Arbeit "Privilege". Die natürlich ebenfalls für Instagram konzipiert wurde, aber natürlich: Instagram, das hasst sie. Sie kann es sich leisten, schlecht darüber zu reden, in der Kunstwelt hat sie sich längst einen guten Namen gemacht. Mehr Erfolg in so kurzer Zeit geht kaum.
Viele Künstler und Fotografen können es sich eigentlich nicht leisten, schlecht über Instagram und dessen großen Bruder Facebook zu reden und ganz darauf zu verzichten. Viele tun es trotzdem. Wie der Fotojournalist Christoph Bangert, der vor zwei Jahren digitalen Selbstmord beging. Er löschte einfach alle seine Profile. Wenn man ihn fragt, ob er diesen Schritt mit Blick auf seine Karriere bereut, erzählt er, dass er überraschend viel Zeit spare, denn er müsse sich nicht mehr stundenlang durch idiotische Katzenvideos kämpfen, um zu den Inhalten zu gelangen, die ihn eigentlich interessieren. Ihm war es zu wenig, mit Klicks, Likes und Reichweite bezahlt zu werden, denn immerhin handele es sich beim Hochladen von Fotos auf Instagram, Facebook und Twitter um eine klassische Veröffentlichung, argumentiert er. Für internationale Zeitungen wie die New York Times arbeitet er in Kriegsgebieten, zwei Bücher wurden daraus. "War Porn" zeigt die Grausamkeit, die Brutalität und den Horror des Krieges, Bilder, die von keiner Zeitung gedruckt wurden, "Hello Camel" begegnet der Absurdität des Krieges mit Humor, denn, so Bangert: "Entweder du lachst, oder du stirbst." Er braucht Instagram & Co. also nicht, um als Fotograf arbeiten zu können.
Die sozialen Medien bringen mehr Reichweite, ein neues Publikum, ein größeres Publikum, mehr Aufmerksamkeit, mehr Anerkennung oder überhaupt erst Aufmerksamkeit und Anerkennung. Waren es vor einiger Zeit noch Features von namhaften Kritikern in den einschlägigen Magazinen, die Künstlern und Fotografen erstmals zu Sichtbarkeit und Anerkennung im Kunstbetrieb verhalfen, können sie sich heute auf Tumblr und Instagram selbst einen Ruf erarbeiten.
Ist die Fangemeinde erst einmal groß genug, folgen Aufträge, Ausstellungen, Publikationen. Der Berliner Fotograf Michael Schulz, auf Instagram als @berlinstagram mit 465.000 Follower bekannt, würde sich selbst nicht als Fotograf bezeichnen, sondern als Digital Creative, Content Creator oder Visual Storyteller. Und trotzdem waren Arbeiten von ihm während des Gallery Weekends in der Ausstellung "Berlin Raum Radar" im Projektraum "Neue West" in einer internationalen Gruppenausstellung neben Werken von unter anderem Tacita Dean, Mitch Epstein, Sarah Schönfeld und Peter Bialobrzeski zu sehen, anlässlich des European Month of Photography saß er im C/O Berlin auf dem Podium und diskutierte zum Thema "Allmacht Algorithmus?" und gerade war er für ein Editorial im Auftrag des Magazins Sleek im Berliner Umland unterwegs. Und trotzdem hält sich das Vorurteil hartnäckig, auf Instagram seien nur billige Schnappschüsse von Amateurfotografen zu sehen.
Nach sechs Jahren Instagram ist es an der Zeit zu fragen: Wer ist gekommen, um zu bleiben? Wer ist fotografisch so interessant, dass es sich lohnt zu folgen?
À propos billige Schnappschüsse. Der amerikanische Straßenfotograf Daniel Arnold konnte als erster die Behauptungen widerlegen, dass Instagram kein Geld bringt und dass es nicht um Fotografie geht. Eigentlich war das alles eher ein Versehen, macht aber nichts. Es war Anfang des Jahres 2014, Daniel wurde ein Jahr älter, war pleite, 90 Dollar waren noch auf seinem Konto, und er wusste nicht, wie er in den kommenden Monaten seine Miete zahlen soll. Hilft alles nichts, dachte er sich und postete:
"Hello, I just turned 34 this second. For one day only I am selling 4×6 prints of whatever you want from my Instagram archive for $150 each. I swear I will never sell anything this cheap again. If you’re interested, send a screenshot of the photo(s) of your choice to arnoldaniel@gmail.com (one d) and I will send a paypal invoice, followed by a signed print. Easy peasy. Happy my birthday. I love you"
Bestellungen im Wert von 15.000 Dollar gingen in kürzester Zeit bei ihm ein, Forbes berichtete und seither ist Daniel ein gefragter Fotograf, der u.a. für Vogue und Vice fotografiert – analog, mit einer alten Contax G2 und Blitz. Rastlos streift er durch die Straßen von New York, schießt aus der Hüfte verwackelte Straßenszenen, immer auf der Suche nach dem entscheidenden Moment, brillant nennen die Medien seine voyeuristischen Snapshots, er selbst findet den Magnum-Fotografen Alec Soth brillant.
Teju Cole, der Fotografiekritiker des New York Times Magazines, hat sich kürzlich in seiner Kolumne "On Photography" mit den surrealen Momentaufnahmen auf dem Instagram-Account @gangculture befasst. Die Fotografie zeige zwar keinen menschlichen Körper, beim Anblick des an die Wand gelehnten und verschnürten Paketes sei das aber der erste Gedanke. Bei Trevor Hernandez findet man Fotografien, die nicht so einfach beim Durchscrollen mit dem Kommentar "Beautiful" abgefrühstückt werden können.
Die Tate startete im Frühjahr letzten Jahres unter dem Titel "The Art of Instagram" eine Reihe auf ihrer Website, in der Fotografen und Künstler über ihre Arbeiten sprechen, die sie für das soziale Fotonetzwerk produzieren. Dass es sich dabei um Kunst handelt, wurde – wie der Titel deutlich macht – vorausgesetzt. Die Institution beglaubigt den Kunststatus natürlich auch mit ihrer Autorität. Der Londoner Grafiker Tom Skipp war in dieser Serie neben Stephen Shore vertreten, der als Mitbegründer der New Color Photography in Amerika immer gefragt ist, wenn es um Instagram geht, weil er einer der wenigen namhaften Fotografen ist, der seinen Account dort regelmäßig mit neuen Arbeiten bespielt. Tom Skipp war bis dahin in der Kunstszene ein unbeschriebenes Blatt. Er fotografiert mit dem Auge des Grafikers in London und auf Reisen in Afrika: Farben, grafische Elemente im urbanen Raum und Menschen, die er in das quadratische Format von Instagram presst und damit Ordnung schafft.
Die Spanierin Maria Moldes ging 2014 und 2015 durch die internationale Presse. Sie fotografiert Menschen am Strand von Benidorm exakt wie vor ihr Martin Parr. Ihr Smartphone erlaubt es ihr noch ein wenig näher an die Menschen heranzukommen, ihre Bilder sind strenger komponiert und stärker zugeschnitten als die ihres Vorbildes, damit sie auf dem Display des Smartphones funktionieren.
Das Jahr 2016 war das Jahr der Landschaftsfotografie auf Instagram. Gucci präsentiert ein Listicle auf artnet, Wes Anderson dreht den Weihnachtsspot für H&M und Landschaftsfotografen wie Maximilian Münch reisen im Auftrag von Reiseunternehmen, Fluglinien und Autoherstellern das ganze Jahr um die Welt und bringen Bilder mit, die dem Betrachter den Atem rauben sollen. Immer klein im Bild der Mensch, wie schon bei Caspar David Friedrich, überwältigt von den Naturgewalten. Wer weiß, was hier inzwischen gezahlt wird, hütet sich, von "billigen Schnappschüssen" mit Blick auf Instagram zu sprechen.
Der amerikanische Fotograf Stephen Shore folgt nicht vielen Accounts auf Instagram, er folgt Familie und Freunden, befreundeten Fotografen und Künstlern sowie Fotografen, die er über Instagram entdeckt hat. Der Italiener Piero Percoco ist einer von ihnen. Er lebt und fotografiert im Süden von Italien, wie Fotografen, die er aus Magazinen und Fotobüchern kennt. Andreas Gursky, Martin Parr und die New Color Photography der 70er Jahre lassen grüßen. Auch hier: Wenige und klar komponierte Bildelemente, damit den Betrachter vor dem kleinen Bildschirm Details nicht ablenken und eine schnelle Rezeption möglich ist.
Das Internet ist voller Cat Content, Pandas und süßer Tierbabys – und dann ist da auch noch Lal, ein Deutsch-Kurzhaar. Sein Besitzer ist der Grafiker Samuel Jurcic, den Lal und das politische und kulturelle Tagesgeschehen inspirieren. Auf Instagram kombiniert er beides, daraus wird der @lookoflal, wandelbar und immer tagesaktuell. Hillary und Trump kann Lal besonders gut.
Man stelle sich vor, Wes Anderson hätte in den 70er Jahren auf Roadtrips das amerikanische Hinterland dokumentiert, Tankstellen, Motels, verlassene Häuser und Industriebauten. So sehen die Bilder der Amerikanerin Hayley Eichenbaum aus. Bonbonbunt. Nostalgisch. Wie aus einer Fantasiewelt.
Und jetzt stelle man sich vor, Stephen Shore würde heute nicht täglich Bäume, Büsche und den Boden fotografieren, sondern würde immer noch durch Amerika reisen, um zu dokumentieren. Da er das nicht macht, müssen andere ran, Tag Christof hat übernommen.
Wer regelmäßig Design-Blogs wie ignant liest und auf Tumblr nach Architektur sucht, ist Matthias Heiderichs bonbonfarbenen Architekturaufnahmen sicherlich schon mindestens mehr als ein Mal begegnet. Als @massju ist er auf Instagram bekannt. Seit einiger Zeit ist er konstant auf Reisen und arbeitet an verschiedenen Projekten, die in Ausstellungen und Fotobüchern münden, zum Beispiel im Fotobuch "Spektrum Berlin". Er sucht nach Farben, Formen und Typologien in der Tradition der Bechers. Immer mal wieder, manchmal im Abstand von einigen Wochen, teilt er ein Bild. Er ist auf Instagram präsent und dann irgendwie doch nicht, denn ihm geht es um seine Arbeiten und nicht darum, sich strategisch richtig zu verhalten, um möglichst viele Follower zu sammeln.