Seit 50 Jahren zeichnet und malt Judith Bernstein einen Phallus nach dem anderen. Heute erfährt die 74-jährige US-Künstlerin die Anerkennung, die ihr über Jahrzehnte verwehrt blieb: Ihr Schwanzmotiv, eine Metapher für Patriarchat und Rüstungswahn, wurde als pornographisch missverstanden. Sogar innerhalb der New Yorker Feministinnen-Szene, der sich Bernstein zugehörig fühlt, wurde sie angefeindet. Ein Gespräch mit der Künstlerin, deren Monografie "Dicks of Death" wir in der November-Ausgabe von Monopol vorstellen
Judith Bernstein, Sie haben es lange schwer gehabt im Kunstbetrieb. Haben Sie mal erwogen, mit dem Schwänzemalen aufzuhören und sich auf gefälligere Themen zu verlegen?
Nicht im Traum habe ich daran gedacht. Markttrends waren mir immer egal. Es ging mir nie ums Verkaufen, vielmehr waren die Sujets für mich und meine Psyche notwendig. Geld kam über meine Dozententätigkeit herein. Sogar mit Ende 60 habe ich noch vier Tage pro Woche gearbeitet und fünf Kurse an vier verschiedenen Hochschulen gegeben. Doch es war hart, weil das Leben in New York immer teurer wurde. Daher bin ich froh, dass sich das Blatt für mich nun gewendet hat.
Ihre Gemälde und Zeichnungen sind jetzt sehr gefragt. Haben Sie jemals andere Medien ausprobiert?
Ja. Ich habe auch einige Skulpturen gefertigt. In der Serie "Fantasy Balloon" habe ich bunte phallische Ballons in Billigrahmen eingekapselt. Eine dieser Arbeiten wurde auf der Londoner Frieze übrigens gerade von der Galerie The Box, Los Angeles, präsentiert.
Mit ihren Darstellungen primärer Geschlechtsorgane – darunter auch manche Vulva – haben Sie provoziert. Wie leicht ist es Ihnen gefallen, auf öffentliche Reaktionen zu pfeifen?
Wir brauchen doch alle Liebe und Anerkennung, und natürlich fühlt es sich gut an, wenn dein Werk ankommt. Ich bin aber nicht angetreten, um anderen zu gefallen. Die sexualisierte Ikonografie hat zuerst für mich Bedeutung. Und inzwischen habe ich wohl das Interesse eines größeren Publikums geweckt. Ich war schockiert, als meine Arbeiten 1974 zensiert wurden, als sie in der Gruppenschau "FOCUS: Women's Work" in Philadelphia gezeigt wurden. Es hieß "without redeeming social value", das heißt: meine Werke galten als Pornos und wurden aus der Ausstellung entfernt. Da halfen selbst Proteste von Künstlerkollegen und Kritikern nicht, und auch kein zur Vernissage verteilter Button mit der Aufschrift "Where's Bernstein?": Meine Arbeit war plötzlich tabu, rief Empörung hervor. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.
In ihrer soeben in der Edition Patrick Frey erschienenen Künstlermonografie "Dicks of Death" ist eine Wandzeichnung für das Schlafzimmer des Künstlers William N. Copley abgebildet. Sie zeigt ein Mittelding zwischen Phallus und Schraube. Das brutale Motiv scheint nicht passend für eine Bettstatt und gleichzeitig doch. "To screw" ist ja auch ein Vulgärbegriff für die Penetration. Wie fand Copley die fertige Arbeit?
Es waren zwei Wandarbeiten, die Copley 1977 für seine Wohnung in der Nähe des Guggenheim in New York bei mir in Auftrag gab. Er war begeistert, so gewaltige Erektionen in seinem Schlafzimmer zu haben! Ein Jahr vorher hatte es eine Publikumsdiskussion im Rahmen meiner Soloschau in Boulder, Colorado, gegeben. Jemand aus dem Publikum fragte mich: "Wollen Sie mit ihrer Kunst die Wirkung des erigierten Penis steigern?" Bill Copley meinte danach zu mir: "Wenn Du DAS schaffst, kannst Du die Kunst an den Nagel hängen und ein Vermögen machen!"
In dem Buch sind mehrere Versionen des Motivs "Cockman Always Rises" zu sehen: ein dämliches Männergesicht aus Hoden und (noch) nicht erigiertem Penis. Sie haben gesagt, dass es solche Cockman-Typen immer wieder gibt, daher sei die Figuration immer wieder aktuell.
Das ursprüngliche Bild habe ich als Reaktion auf George Wallace gemalt, einen Gouverneur von Alabama, der die Rassentrennung befürwortete. Die Phrase "Cockman Always Rises" lässt sich aber auf verschiedene Zeiten und politische Figuren anwenden. Aktuell lässt sich so Donald Trump porträtieren, aber ich widme die neue Version nicht ihm allein. "Cockman" kommt immer nach oben. Trump wird nicht der Letzte sein.
Ganz unmöglich scheint Trumps Einzug ins Weiße Haus ja nicht zu sein.
Ich bin entsetzt, beschämt, versteinert, dass das passieren könnte! Trump ist eine Politikerkarikatur und ein gefährlicher Soziopath. Schon seine Kandidatur kommt einem Desaster für die USA gleich. Ich hoffe sehr, dass Hillary Rodham Clinton als erste Frau in das Präsidentenamt gewählt wird.