In Zürich zeigen Sie aktuell ihr Werk "The Zurich Load", das Sie in Kooperation mit dem Klärwerk Werdhölzli angefertigt haben. Faszinierte Sie die Idee, wortwörtlich aus Scheiße Kunst zu machen, ähnlich wie es Piero Manzoni in "Merda d'Artista" gemacht hat?
Speziell bei diesem Kunstwerk und im Kontext der Manifesta interessierte mich eher die Kollaboration mit dem Klärwerk. Der Fakt, dass ich wahrscheinlich mit menschlichem Abfall arbeiten würde, war dadurch zwangsläufig gegeben. Es ist eine Herausforderung, die Menge an Abfall zu verarbeiten, die ich für dieses Projekt festgelegt hatte – 80 Tonnen Scheiße. Das entspricht dem Gesamt-Output der Stadt Zürich an einem Tag – 40 000 Menschen produzieren 80 Tonnen festen Abfall pro Tag. Natürlich ist es ein Material, dessen Verwendung für ein Kunstwerk schwierig ist – zum einen wegen der geladenen Natur seines Inhalts, zum anderen wegen der signifikanten kunsthistorischen Vorgänger. Das beschränkt sich nicht nur auf Manzoni, die Kunst des 21. Jahrhunderts ist sozusagen full of shit. Es war mir wichtig, über anekdotenhafte Assoziationen hinaus etwas Bedeutungsvolles zu schaffen, das für unsere Zeit relevant ist.
Wieso fiel ihre Entscheidung bei der Suche nach einem Joint-Venture-Partner gerade auf das Klärwerk, das im ursprünglichen Berufskatalog der Manifesta gar nicht aufgeführt war?
Ich fand es interessant, dass das Klärwerk als wichtige Funktion und bedeutender Industriezweig für die Stadt nicht aufgelistet wurde. Außerdem interessiere ich mich für die Hebel, die eine Gesellschaft in Bewegung bringen.
In der Berliner Galerie Peres Projects zeigten Sie kurz vor der Manifesta Ölgemälde von menschlichen Abfällen aus dem Klärwerk in Zürich. Was fasziniert Sie am Müll?
Ich interessiere mich für Themen, die vielfältig und komplex sind und die aufzeigen, was es bedeutet, als Mensch auf diesem Planeten zu leben. Mich interessiert seine Form, seine Verbindung zur Vergangenheit. Wer sich eingehend mit Abfall beschäftigt, beschäftigt sich auch mit größeren Systemen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Ich interessiere mich aber auch für eher die persönliche, subjektive Beziehung, die wir zu Abfall haben. In vielen meiner Arbeiten beschäftige ich mich mit gegensätzlichen Spannungen. Menschlicher Abfall ist etwas, was diese Spannungen sowohl in mir selbst als auch in anderen erzeugt – ich spiele mit dieser Spannung, die ja größtenteils kulturell bedingt ist.
Gab es seitens des Publikums extreme Reaktionen?
Ja, vor allem von Personen, die überrascht waren, wie schön das Werk war.
Wie schafft man es, 80 Tonnen Klärschlamm so aufzubereiten, dass daraus ein Kunstwerk wird?
Es brauchte einige Anläufe. Ich baue jetzt seit 25 Jahren Skulpturen, also habe ich schon einige Erfahrung mit den formellen Anliegen, die ich in meinen Werken umzusetzen versuche. Die Form und das visuelle Vokabular von "The Zurich Load" stehen im Kontrast zur Geruchswahrnehmung und erzeugen damit eine Art Spannung. Es war mir wichtig, dass die formelle Kraft des Werkes seine Geruchs- und Konzeptdimension übertrifft. Ich wollte, dass man beim Erleben des Werkes die eigenen Vorurteile und Geruchsassoziationen hinter sich lässt und beginnt, das Material auf einer komplett neuen Ebene wertzuschätzen – nicht nur formell, sondern auf eine assoziative Art. Die Besucher sollen anfangen, sich Fragen zu stellen: Was ist die gemeinsame Geschichte von Abfall und Mensch, Architektur, Zivilisation? Wäre es ohne eine funktionierende Müllweiterverarbeitung jemals möglich gewesen, dass heute so viele Menschen auf der Welt leben? Welcher Verarbeitungsprozesse sind wir uns überhaupt bewusst, wie sichtbar ist Abfall in unserer Gesellschaft? In manchen Gesellschaften ist er vollkommen unsichtbar, in anderen förmlich greifbar. Wir haben zu diesem Material eine sehr subjektive und intime Beziehung. Jedes Mal wenn wir auf die Toilette gehen, inspizieren wir unsere Hinterlassenschaften. Ich fand es schön, etwas zu kreieren, das wir gemeinsam inspizieren können. Dabei wollte ich ein visuelles Vokabular benutzen, das beim Betrachter Wohlgefallen und Vertrautheit auslöst – deshalb entschied ich mich, mit Minimalismus und architektonischen Formen zu arbeiten.
Wie haben Sie diese Formen dann tatsächlich geschaffen und den Geruch einigermaßen unter Kontrolle bekommen?
Wir mussten jeden Einzelnen der 252 Blöcke, die jeweils 320 Kilo wiegen, von Hand in Form pressen – übrigens eine Bauart, die es schon seit 5000 Jahren gibt. Das war eine Menge Arbeit und ich musste viel recherchieren, um einen Weg zu finden, wie sich das Material trocknen lässt, ohne auseinanderzufallen. Außerdem gab es Sicherheitsprobleme: Das, was wir in unseren Toiletten herunterspülen, ist Sondermüll, deshalb wird die Kläranlage auch staatlich kontrolliert, und wir mussten gewisse Standards einhalten. Erstens musste die Flüssigkeit unter Kontrolle gebracht werden, die aus den Blöcken herauslief – das war sehr wichtig, weil es sich dabei um toxisches Material handelt. Zweitens musste das Werk so positioniert werden, dass andere es nicht einfach so berühren können – dafür sind Museen tatsächlich prädestiniert, da wird generell nichts angefasst. Drittens war da der Geruch – ich musste eine Rezeptur finden, die ich dem Material untermischen konnte, um es austrocknen und zu stabilisieren, und die gleichzeitig verhindert, dass das Ganze schimmelt oder zu sehr stinkt. Ein bisschen von dem Geruch ist übriggeblieben, aber das ist kein Vergleich dazu, wie das Material noch im Klärwerk gerochen hat.
Es riecht tatsächlich eher süßlich…
Ja, es gibt einen Duft, der zusätzlich auf die Skulptur aufgetragen wird, und er hat etwas Süßes an sich. Eigentlich ist es Red Bull. Es gibt allerdings riesige Unterschiede bei der menschlichen Geruchsempfindlichkeit, die auch einen gewissen Einfluss auf die Wahrnehmung des Werkes haben. Es gab Besucher, die den Geruch schrecklich fanden und sich nicht in einem Raum mit dem Kunstwerk aufhalten konnten, und andere, die ihn gar nicht als unangenehm wahrnahmen. Die meisten Experten für Geruch, mit denen ich zusammengearbeitet habe, sagten, es rieche auf keinen Fall schlimmer als in einem Zoo. Mir gefällt die Idee eines menschlichen Zoos.
Haben Sie sich nicht geekelt?
An dem Punkt, an dem der Klärschlamm gesammelt wird, ist er schon ziemlich abstrakt, und der Geruch ist vergleichbar mit einem sehr intensiven Bauernhof. Die Konsistenz, die Farbe… das alles ist eigentlich sehr ästhetisch. Aber wenn der Abfall aus dem Wasser gefiltert wird, ist es wirklich ziemlich abstoßend – sogar für mich, und ich halte einiges aus. Die Filter sind voll von Tampons, benutzten Kondomen, menschlichen Ausscheidungen, dreckigen Nadeln... allen möglichen Dingen, die Menschen in ihrer Toilette runterspülen. Dort nahm ich die Bilder auf, die als Vorlage für die Peres-Projects-Gemälde dienten. Wenn man sich länger als dreißig Minuten dort aufhält, beginnen einem die Nase zu laufen und die Augen zu tränen – der Körper sagt einem so, dass man da schleunigst raus sollte. Das ist ein Ausmaß an Schmutz, der in scharfem Kontrast zu dem steht, was wir alltäglich auf der Straße erleben. Vor allem in der Schweiz herrscht diese stereotype Vorstellung, dass alles sauber und ordentlich ist. Die riesige Menge an Schmutz, die man dann in der Kläranlage vorfindet, und die man in ähnlichem Ausmaß in jeder anderen großen Stadt finden kann, spricht Bände über die menschliche Gesellschaft.
Was bedeutet es, mit solch einem doch sehr kunstfernen Unternehmen wie der Kläranlage zusammenzuarbeiten?
Ich habe im Laufe der Jahre für viele meiner Projekte mit der Industrie zusammengearbeitet. Zum Beispiel habe ich für die Installation "My Cola Lite" schon meine eigene Cola Light ohne jegliche Süßungsmittel produziert, die dann in Flaschen abgefüllt wurde. Für das Werk "The Berlin Dirty Room", das bei der 4. Berlin Biennale gezeigt wurde, habe ich drei Räume kniehoch mit Kompost aus dem Gefängnis Tegel gefüllt. Diesmal war es allerdings eine öffentliche Einrichtung. Wenn man mit der Stadt zusammenarbeitet, muss man viele bürokratische Hürden überwinden, bis eine Entscheidung getroffen werden kann. Man ist ein bisschen vorsichtiger, sowohl im Hinblick auf Budgets als auch auf die öffentliche Meinung. Aber insgesamt ist die Stadt wirklich fantastisch. Nachdem sie erstmal ihr O.K. zu allem gegeben hatte, war sie bemerkenswert offen gegenüber meiner Arbeit. Manche Angestellten sagten: "Ich weiß nicht, ob das wirklich Kunst ist", aber ich bin kein einziges Mal auf Ablehnung gestoßen. Sie sagten: "Du bist der Künstler, und wenn es das ist, was du machen willst, dann werden wir versuchen, es umzusetzen." Sie freuten sich, dass jemand ihrer Tätigkeit Anerkennung und Aufmerksamkeit schenkte. Das Ganze ist ein Projekt, das man wahnsinnig schwer irgendwo anders in der Welt hätte umsetzen können, und es war bemerkenswert, wie sie mir auf so viele Weisen helfen konnten. Das hat mir Hoffnung gegeben, sowohl für die Menschen als auch für die generelle Einstellung zu Kunst in dieser Stadt.
Was passiert mit der Riesenskulptur, wenn die Manifesta vorbei ist?
Eine der Bedingungen, die die Stadt mir von Anfang an stellte, war, dass ich dafür einen genauen Plan habe. Das Klärwerk ist verantwortlich für jedes Gramm Sondermüll, das die Einrichtung verlässt. Das ist ein weiterer sehr interessanter Aspekt: Wir alle produzieren unseren höchstpersönlichen Giftmüll, und sobald er in die Kanalisation gelangt, gehört er uns nicht mehr wirklich, wir dürfen ihn nicht zurückverlangen oder irgendetwas damit machen.
Also haben Sie unseren Abfall in gewisser Weise zurückerobert?
Genau, oder zumindest habe ich ihn für einhundert Tage in seinem Verarbeitungsprozess eingefroren. Das Werk wird entweder nach der Ausstellung in das Klärwerk zurücktransportiert und verbrannt - so wie es sowieso mit Klärschlamm gemacht wird. Es gab aber auch Anfragen, es nach der Manifesta an einem anderen Ort auszustellen, was im Prinzip auch möglich wäre. Interessant ist, dass das Werk mit einer Genehmigung als Kunst deklariert werden kann, solange es ein ordentliches Ziel hat und das importierende Land seine Erlaubnis gibt. Ich finde, das sagt einiges aus über den Verantwortungsbegriff in der Kunst. Es wird oft gesagt, dass die Kunstwelt sehr kommerziell ist, aber wir können Kunstwerken nach wie vor einen kulturellen Wert zuweisen, der eben wirklich nur kulturell und nicht kommerziell zu verstehen ist. Das ist eine fantastische Sache, die einiges aussagt über eine breiter gefasste Definition von Kunst in unserer heutigen Zeit.