Eine Kunst, die sich mit dem Ereignis vermählt, mit dem Ahistorischen, der unmittelbaren Gegenwart. Die alle visuelle Kohärenz über Bord wirft. Dazu Künstler, die ständig ihren Standpunkt ändern, ihrem Rollenklischee entkommen. Die euphorischen Worte, mit denen der italienische Kunstkritiker Germano
Celant 1967 in der Zeitschrift "Flash Art" eine neue Kunstrichtung heraufbeschwor, klingen äußerst aktuell. Er verstand die Arte povera damals als Revolte. Mit etwas mehr Abstand könnte man sie auch als europäische Reaktion auf den amerikanischen Minimalismus und die Pop-Art sehen: Auch sie war abstrakt und konzeptuell gewitzt, aber in bewusster Opposition zum explodierenden Warenkapitalismus
und zu den glatten Oberflächen, näher an der rauen Natur.
Nachdem Italien seine berühmteste Kunstrichtung 2011 mit einer Serie von Ausstellungen gefeiert hat, ist jetzt, kurz vor dem 50-jährigen Jubiläum des Celant-Aufsatzes, das Pariser Centre Pompidou an der Reihe. Es besitzt eine der wichtigsten Sammlungen von Kunstwerken der Epoche. Schon im Foyer begrüßt einen der "Crocodilus Fibonacci" (1972) von Mario Merz, ein Krokodil, dem die enigmatische Zahlenfolge entspringt, mit der der Mathematiker Fibonacci exponentielle Wachstumsprozesse in der Natur beschrieb. Die Ausstellung geht von Lucio Fontana, Piero Manzoni und Alberto Burri aus, um dann die vielen Verästelungen der Arte povera mit Werken von Giovanni Anselmo, Alighiero Boetti, Jannis Kounellis, Giuseppe Penone oder Michelangelo Pistoletto weiterzuverfolgen.
Neu ist der interdisziplinäre Ansatz: Mit einem Kinoprogramm findet das Pompidou den Gedanken der "armen Kunst" im bewegten Bild wieder, und auch die 1973 gegründete Designbewegung der "Global Tools", der unter anderem Ettore Sottsass angehörte, wird mit unter diesen Kontext gestellt.