Am Anfang deutet noch nichts darauf hin, dass es dem Regisseur Mario Schneider eher um innere Wühlarbeit als um die Feinheiten des Modellstehens geht. Das Tempo ist elegisch, die barocke Musik feierlich. Die Kamera umkreist in wechselnden Atelierräumen diskret Staffeleien und Zeichnungsblöcke. Am liebsten verharrt sie aber in der Nackenpartie der erstarrten Aktmodelle, wo die Sicht auf die kritzelnden Studenten nur einen Sekunden-Schwenk entfernt liegt. Poren, Muttermale und Falten bleiben gefühlte Ewigkeiten im Bild.
Die Nacktheit gehört hier zum Alltag. Scham haben sich alle Beteiligten längst abtrainiert. In den Pausen vermischen sich die Sphären zwischen den Exhibitionisten und den Körperanalytikern in unaufgeregter Komplizenschaft - könnte man meinen, würden die Studienobjekte in ihrer Anonymität verbleiben. Zu groß ist für diese Enthüllungsprofis offenbar die Verlockung, sich ganz und gar zu häuten. Und glaubt man der getroffenen Auswahl der Akteure, zieht das Posieren vor allem gebrochene Aussteigerexistenzen an.
Drei Frauen und ein Mann stehen exemplarisch für eine Profession, für die es nur einer Qualifikation bedarf: Sich mit allen körperlichen Defiziten zeigen und dabei den Mund halten zu können. Zumindest so lange die lernenden Blicke noch die Hautoberfläche abtasten. Was es bedeutet, in einer unbequemen Haltung zu verharren, kann am greifbarsten die Studentin der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst aus dem Off in Worte fassen, die hin und wieder die Fronten wechselt. Für sie spielt, angesichts herrschender Schönheitsideale, die Überwindung der chronisch anspringenden Selbstkritik durchaus eine Rolle. Im Gegensatz zum restlichen Trio, das den Job als Therapie vergangener Traumata betrachtet.
Was ist schon stummes Herumsitzen gegen all das Leid, das sie über Jahrzehnte zu ertragen wussten? Bereitwillig beichten sie ihre Geschichten um früh zerbrochene Familien, Missbrauch und die Last körperlicher Anomalien, erzählen vom Triumph über ein Leben am Existenzminimum und die kleinen Freuden des auf Solidarität getrimmten Alltags. Nicht ohne Grund zitiert die vom Schicksal am meisten gebeutelte Straßenmusikerin, ein androgynes Original, aus Marx' "Kapital". Denn die Akt-Thematik dient dem sanft schwebenden Film letztendlich nur als Alibi für eine etwas zu durchsichtige Armutsromantik samt Abgesang auf die kapitalistischen Optimierungsimperative.
Den süß-sauren Fluss des Seins steigert Mario Schneider trotzdem im Finale zu einem im Gedächtnis haftenden Höhepunkt: Er fokussiert den Männerkopf einer griechisch-römischen Statue und verbindet so die losen Fäden zu einer zeitlosen Apologie der allzu menschlichen Kreatürlichkeit.