Europapremiere in Berlin: Der Dokumentarfilm "Mapplethorpe. Look at the Pictures" wird auf der Berlinale gefeiert. Neben vielen Freunden, Mitarbeitern und Weggefährten kommt auch der US-Fotograf und Künstler Robert Mapplethorpe (1946-1989) selbst zu Wort, weil die Macher auf bisher unveröffentlichtes Archivmaterial zurückgreifen konnten. Ein Interview mit den in Los Angeles lebenden Produzenten und Regisseuren des Films, Fenton Bailey und Randy Barbato.
Der erste Phallus in Ihrem Film ist das Capitol. Eine Ansicht von Washington DC als Einstieg in Leben und Werk von Robert Mapplethorpe – damit habe ich nun überhaupt nicht gerechnet.
Fenton Bailey: Ein Phallus! Lustige Interpretation. Aber das allererste Bild ist eine vollkommen weiße Fläche. Und das letzte Bild des Films ist schwarz. Schwarz und Weiß, das ist die Essenz des Films.
Randy Barbato: Sie wissen, dass der republikanische Senator Jesse Helms eine Mapplethorpe-Ausstellung schließen lassen wollte. Damals, 1990, haben bestimmte Leute in Washington den schon verstorbenen Künstler gekidnappt und für ihre Zwecke vereinnahmt. Diese Skandalgeschichte steht am Anfang des Films, weil wir sie schnell abhaken wollten. Und weil Jesse Helms uns mit seinem Satz "Man braucht sich die Bilder ja nur anzusehen" den Titel geliefert hat. Er meinte allerdings etwas anderes als wir. Helms dachte, ein Blick auf die expliziten Fotos würde Mapplethorpe als angeblichen Pornographen entlarven. Wir meinen: Seht Euch diese Bilder genau an! Das ist Kunst!
FB: Wir kommen auf die Kontroverse später im Film detaillierter zurück. Hoffentlich begreift man im Lauf des Films, dass der Streit um die Ausstellung "The Perfect Moment" von Mapplethorpe selbst geplant wurde, als er noch lebte. Es war die letzte Schau, die er plante. Dafür packte er alles zusammen, einschließlich der freizügigen Bilder. Er ließ diese Zeitbombe zurück, weil der Skandal seinen Ruhm festigen würde. Er wollte irgendwann als ernsthafter Künstler angesehen werden, wusste aber: Das geht nicht sofort. Am Schluss des Films begreift man die Strategie. Mapplethorpe hatte die Fäden in der Hand.
Fenton, ich habe gelesen, dass Sie der Sohn von David Bailey, dem berühmten britischen Fotografen, sind, das Vorbild für die Hauptfigur in "Blow Up". Das prädestiniert Sie ja für einen Mapplethorpe-Film …
FB: Sie irren sich. Das ist ein anderer Fenton Bailey. Ich bin allerdings auch in Großbritannien geboren. Aber dazu gibt es eine seltsame Geschichte. Als Teenager habe ich David Bailey, als er das "Ritz Magazin" herausgab, einmal um ein Autogramm gebeten. Er fragte mich nach meinem Namen. "Fenton Bailey! Das ist ein schöner Name!" sagte er zu mir. Einige Jahre später kam sein eigener Sohn zur Welt, den er doch tatsächlich Fenton nannte.
Waren Sie selber geschockt, als Sie bestimmte Mapplethorpe-Bilder sahen?
FB: Schock ist nicht das richtige Wort. Es sind kraftvolle Bilder. Wenn man eine Fistfucking-Aufnahme mit einem Bild desselben Inhalts von Mapplethorpe vergleicht, wird der Unterschied deutlich. Von diesem Sujet hätte man nicht erwartet, dass es als Kunst behandelt werden könnte.
Statt vom Schock könnte man auch von einem Anschlag auf die Sinne sprechen.
FB: Das passt. Mapplethorpe war ja Performancekünstler. Er wollte dich als Betrachter angreifen, überfallen. Jack Fritscher hat ein Buch mit dem Titel "Assault With a Deadly Camera" über ihn geschrieben. Fritscher sieht Mapplethorpes Kunst als hochaggressiv. Ich würde zumindest sagen: Sie ist auf starke Wirkung hin konzipiert. Aber das ist doch eigentlich immer so. Kann denn ein Bild ohne Wirkung Kunst sein?
Was denken Sie über die Person Mapplethorpe?
FB: Es gibt keinen privaten Mapplethorpe. Alles bei ihm ist Kunst. Ob wir ihn mögen, ist vollkommen irrelevant.
RB: Also, ich mag ihn! (lacht) Das war nicht immer so. Inzwischen mag ich seine oppositionelle Haltung. Ich liebe seine Ehrlichkeit und dass es bei ihm keine Geheimnisse gab. Manche unterschätzen, was es bedeutet, private und intime Dinge so radikal offenzulegen.
Was hat Sie bei den Recherchen am meisten überrascht?
RB: Das Frühwerk. Das kennt kaum jemand da draußen, all diese frühen Gemälde, Zeichnungen und Collagen. Für den Film war es sehr wichtig zu zeigen, dass Mapplethorpe sich schon früh mit der Kunstwelt identifizierte. Ich war da auch auf dem Holzweg, dachte, ihm sei es nur um Berühmtheit gegangen, und Fotografie habe sich eben als der schnellste Weg zum Ruhm angeboten. Aber so war es nicht. Mapplethorpe wollte schon als Kind ein Künstler sein.
Es gibt sehr, sehr viele Stimmen in dem Film. Patti Smith haben Sie nicht extra interviewt. Warum?
RB: Es ist ähnlich wie mit dem, was wir über Jesse Helms gesagt haben: Patti wirft einen weiten Schatten. Aber es ist ein Robert-Mapplethorpe-Film. Smith hat mit "Just Kids" ein brillantes Buch über die Zeit mit Mapplethorpe geschrieben. Aber sie ist eben nur ein Kapitel in seiner Geschichte. Für uns steht seine Stimme im Vordergrund. Mapplethorpe selber soll der Erzähler sein. Daneben gibt es eine Art griechischen Chor von Leuten, die bedeutende Kollaborateure waren. Patti Smith, die ich übrigens sehr verehre, war eben nicht die einzige Partnerin.
FB: Patti Smith ist in den Archivaufnahmen auf jeden Fall im Film drin. Aber Robert ist der Erzähler. Er ist insgesamt – mit 15 Minuten O-Ton – am meisten zu hören. Mehr als jeder andere.
Der Film ist geradezu besessen von seinem Selbstporträt mit Bullenpeitsche. Auf dem Schwarzweißfoto von 1978 hat er sich den Griff einer Peitsche in den Anus gesteckt, die Lederpeitsche schlängelt sich dann auf dem Fußboden auf den Betrachter zu. In "Look at the Pictures" ist es mindestens zehn Mal zu sehen.
FB: Und jedesmal, wenn wir das Bild zeigen, tun wir das mit einer anderen Absicht. Einmal zum Beispiel wird es von Kunstfachleuten analysiert, die dem Fakt nicht ins Auge sehen können, dass da ein Mann eine Peitsche im Hintern stecken hat.
RB: Ein andermal wird erzählt, wie es zu der Aufnahme gekommen ist. Man hatte Mapplethorpe vorgeworfen, dass er seine Models ausgebeutet und drangsaliert habe. "Gut", sagte er, "dann stecke ich mir jetzt eine Peitsche hinten rein."
"Mapplethorpe. Look at the Pictures" wurde von World of Wonder produziert, der von Ihnen beiden 1991 gegründeten Firma, spezialisiert auf Filme über Genderfragen, Sex und erotische Subkulturen. "Inside Deep Throat" machte ja 2005 auf der Berlinale von sich reden. Ist es nicht heute so, dass wir – um Woody Allen zu paraphrasieren – alles über Sex wissen und kaum noch Fragen offen bleiben?
FB: Ich glaube nicht, dass Menschen heute über Sexualität offener reden. Aber es ist ein wichtiges Thema. Hollywood liebt Gewalt. Randy und mich interessiert Gewalt wenig. Sex dagegen ist der Motor der Zivilisation, ohne Sex gäbe es sie gar nicht.
Und was verkörpert Robert Mapplethorpe in diesem Motor, in dieser Zivilisationsmaschine?
FB: Er ist der Transmissionsriemen!