In München trifft er einen oft schon im zweiten Stock: Der Blick auf das Alpenpanorama, für den andere Menschen Weltreisen begehen und der unmittelbar einen Stich Fernweh auslöst. Böse Zungen sagen, die Münchner lieben ihre Stadt sowieso nur, weil es so einfach ist, sie in Richtung Berge zu verlassen. Naheliegend, dass dort immer wieder die Sehnsucht nach der Natur in Ausstellungen resultiert. Zum Beispiel in "Alpen unter Druck" im alpinen Museum 2014, die sich dokumentarisch mit der Zerstörung durch Tourismus auseinandersetzte.
Bis zum 23. April erkundet die ERES-Stiftung die Sehnsuchtslandschaft Alpen, so wie sie das 2006 unter dem Titel "Gletscherdämmerung" schon einmal tat. Dabei geht sie ihrer Aufgabe nach, den Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst zu fördern. Schwierig genug und unter anderen halfen in Projekten zum Anthropozän, zu den Megametropolen und dem Chaos bisher Künstler wie Roman Signer, Wolfgang Tillmans oder Mark Lombardi. In den Ausstellungsräumen in der Römerstraße in Schwabing finden neben Künstlergesprächen Vorträge von Wissenschaftlern statt. Das lädt die Werke anders auf, man sieht sie Erkenntnissen lauschend immer neu: Besonders die großen, nichtmehr-gegenständlichen aber noch-nicht ganz abstrakten Malereien von Hansjörg Dobliar.
In der Ausstellung zieht sich die Information in einen kleinen Durchgangsraum zurück und überlässt die anderen sieben den künstlerischen Positionen, die eigen miteinander kommunizieren. Die farbigen Schneekanonenmalereien von Philipp Messner erregten im Vorfeld einiges Aufsehen auf der Südwiese der alten Pinakothek. Geradezu diabolisch genau legte das mitsponsernde Kulturreferat die Aktion auf die einzig kalten Tage dieses Winters. Die Leuchtkästen mit Fotografien der Aktion in Südtirol von Walter Niedermayr verstärken die Künstlichkeit des farbigen Schnees nur noch und korrespondieren mit den menschenleeren Polaroids, die Hansjörg Dobliar in der Eventwelt der Skigebiete Klosters-Madrisa aufgenommen hat. Vielleicht wäre das eine Lösung, farbiger Kunstschnee auf allen Pisten der Welt, so dass die Ausflügler zumindest nicht noch in der Illusion gehalten würden, sie befänden sich in einer veralteten, romantischen Vorstellung von Natur.
Walter Niedermayrs hochverdiente, atemraubende, großformatigen Fotografien der Narben, die der Tourismus hinterlässt, die er wiederholt ablichtet, ergänzt er hier um ein kleine Videoarbeit, die Mountainbiker auf der Skipiste zeigt: Eine sinnlose Herde rutschender Spaßsucher. Auch Hansjörg Dobliar ist mit einer kleinen Videoarbeit vertreten: "snowblind". Jeder denke was er will, wenn ein Skilift doppelt gespiegelt, in Negativumkehrung auffährt. Das wirkt wie ein medizinisches Diagnoseverfahren im Kontext des Sehnsuchtsbild der Berge, das spielerisch aus allen Arbeiten spricht. Letzte Stufe der Verarbeitung sind dabei die drei großen Malereien Dobliars aus der Reihe "Sonic Mountain".
Das ist erfreulich undogmatisch und so wird die Kritik sublim der Wissenschaft überlassen, die in einem ersten Vortrag des Glaziologen Prof. Dr. Wilfried Haeberli über den Rückzug der Gletscherzungen zu Wort kommt. Der Vortrag verläuft vorwiegend heiter, trotz der schlechten Nachrichten: Zur Rettung der Gletscher ist es schon zu spät, jetzt gilt es die Folgen anzugehen. Schwallwellen durch Felsstürze in die neu entstehenden Bergseen, die bis zum Rhein zu spüren sind. Auftauender Permafrost, der die Substanz der Gipfel gefährdet. Tourismus, Energie, Politik und Landschaftsschutz müssen sich gemeinsam den entstehenden, grauen Geröllhaldenschluchten widmen, durchzogen von abertausenden neuen Bergseen. Da wird der Dialog schwierig. Vielleicht kann die ERES-Stiftung helfen.