Wer viel verloren hat, holt das Letzte aus dem Schaum der Tage. Lockenwickler in allen Regenbogenfarben, derangierte Brillengestelle und ausgetretene Schuhe für jede Lebenslage, sortiert in Reih und Glied: Song Dong, Jahrgang 1966, sammelt alles, was vom Alltag seiner Familie übrig blieb, und fügt es zu der raumgreifenden Installation "Waste Not" zusammen. Das Verfallsdatum der Ansammlung ist nach dem Tod der Mutter des Künstlers 2009 eigentlich abgelaufen, denn sie war es, die seit den Tagen der "Kulturrevolution" ein inniges Verhältnis zu den Dingen entwickelt hatte. Mochten sie noch so überflüssig erscheinen, in der chronischen Mangelwirtschaft wusste man nie, ob der eine oder andere Blumentopf nicht doch noch zum Einsatz kommt.
In der Düsseldorfer Kunsthalle ist das Überlebenszeug um ein Holzhaus gruppiert. Eine an biografischen und kulturhistorischen Details reiche Arte povera, durch die der Geist der Verstorbenen spukt – hoffentlich zufrieden, schließlich war die großformatige Arbeit bereits in New York, London oder Sydney zu sehen. Jedes Mal kommen die noch lebenden Song Dongs zusammen und füllen ihren privaten Flohmarkt mit Kindheitserinnerungen auf. Mit dabei ist auch Ehefrau Yin Xiuzhen, selbst Künstlerin und bekannt für ihre Miniaturstädte im Koffer. In Peking lebt das Paar inmitten seiner Kunst, die schon mal zur Sitzgelegenheit umfunktioniert wird.
Nach dem Massaker auf dem Tian’anmen-Platz war Song Dong, der gerade sein Kunststudium abgeschlossen hatte, die Lust am Malen vergangen. Er wandte sich der von der Kommunistischen Partei weniger reglementierten Konzeptkunst zu. Installationen, Videos, Fotos und Performances waren von nun an sein Terrain. Mal legte er sich bei Minusgraden vor den Augen der Staatsmacht mit dem Gesicht zum Boden gewandt genau dorthin, wo 1989 die rebellierenden Studenten gestorben sind, bis durch seinen Atem eine dünne Eisschicht entstand. Mal stieg er in den tibetischen Lhasa-Fluss, einen altertümlichen Holzstempel mit dem Schriftzeichen für Wasser in der Hand. Doch das Wasser des Flusses, den die chinesische Regierung gern beherrschen möchte, ließ sich nicht abstempeln.
Oder er baut, wie jetzt in der entwaffnend intimen Düsseldorfer Retrospektive, ein Feld aus Granitwürfeln auf, in denen sich mit Wasser gefüllte Tintenfässer verbergen. Song Dongs Vater, der als Konterrevolutionär inhaftiert war, schrieb mit Wasser, um bei seinen Kalligrafieübungen Papier zu sparen. Die Besucher sind aufgerufen, ihre Gedanken dem ephemeren Wasserdampf anzuvertrauen. So entgeht man zwar nicht der Vergänglichkeit, aber der Zensur. Oder den mannshohen Polizeifiguren auf den Treppen, die allesamt Song Dongs Gesicht tragen, als Zeichen des inneren Gesetzeshüters. Schaut man in ihre Augen, sieht man den Künstler leise triumphieren. Mehr kann man von einer solch bescheidenen Ästhetik des Widerstands nicht erwarten.