Vielleicht ist Otobong Nkangas Arbeit die schönste: Wie eine Intarsie meterlang in die Wand eingelassen, wie ein geologischer Schnitt durch duftende, geheimnisvolle Erdschichten schlängelt sie sich als Band aus Kaffeebohnen, Gewürzen und Kakao durch den Ausstellungsraum. Die nigerianischstämmige Künstlerin nutzt die Rohstoffe als Metapher für die Globalisierung selbst. Der Rest ist Imagination. Oder hält sich das Auge nur
deshalb dankbar an Nkangas Werk fest, weil hier das Leid, das globale Wanderung heute oft bedeutet, versteckt ist unter einer schönen Oberfläche?
Die Ausstellung "Streamlines" in den Hamburger Deichtorhallen beschäftigt sich mit Ozeanen, Welthandel und Migration – das Thema der Stunde und doch kein einfaches Thema für die Kunst. Denn die Flüchtlinge, die sich zurzeit auf die gefährliche Reise über das Mittelmeer machen, brauchen Essen, wärmende Decken und Rettungswesten und keine Kunstprojekte, die aus dem Schicksal der Migranten Aufmerksamkeit generieren. Ist Kader Attias Installation "La Mer Morte", bei der er getragene Kleidung in verschiedenen Blautönen wie leere Hüllen auf dem Boden ausbreitet, sodass sie an ein Meer aus Leichen denken lässt, schon zu explizit? Es ist gut, dass er seinen Blick auch auf das lenkt, was vor der Reise kommt: Seine Fotoserie "Rochers Carrés" zeigt Menschen am Strand in Algier, die auf den brutal eckigen Betonblöcken der Wellenbrecher sitzen und von einem anderen Leben träumen.
Es ist eine bewährte Technik in der Kunst, das Schöne zu zeigen und das Schreckliche darunter nur anzudeuten. Ist sie vielleicht zu bewährt, zu abgenutzt? Der Chilene Alfredo Jaar ist Meister darin: Seine Projektion "One Million Points of Light" zeigt schlicht eine glitzernde Meeresoberfläche, doch die Million, so der Begleittext, bezieht sich auch auf all die Menschen, die als Sklaven über den Atlantischen Ozean verschleppt wurden.
Wer die schreckliche Tradition des Sklavenhandels bedenkt, die der Globalisierung als weltweites Geschäft ein denkbar blutiges Fundament gelegt hat, sieht das Meer nicht erst als ein Massengrab, seitdem Flüchtlingsschicksale auch in deutschen Medien prominent behandelt werden. Es ist Theo Eshetu zu verdanken, in seiner Installation "The Law of the Sea "das Nachdenken über das Meer wieder in assoziative und auch fiktive Welten zurückzukatapultieren – Fische, Weltkarten, buchstäblich alles in einer meditativen, technisch überbrillanten Bilderfolge. Man versteht nicht viel bei Eshetu. Und freut sich bald darüber.
Man kann diese Schau nicht festnageln, nicht auf ein einzelnes Thema und auch nicht auf eine Anklage, das ist das große Verdienst der in Dakar lebenden Kuratorin Koyo Kouoh. Ein weiterer Pluspunkt: Für einmal geht die Blickrichtung wirklich von der Hafenstadt Hamburg in alle Welt und zurück, ohne dass ein Standpunkt privilegiert wird. In originell gestalteten Bilderhöhlen zeigt Ulrike Ottinger in "Diamant Dance" Material aus ihren Dokumentarfilmen, in denen sie mit viel Ruhe das Leben in Istanbul, der Mongolei oder Mexiko einfängt: Wie essen, trinken, reisen, beten die Menschen? Je einfacher die Frage, so scheint es, desto reicher und komplexer die Antworten. Auch die in Berlin arbeitende Marokkanerin Bouchra Khalili nimmt sich Zeit, wenn sie einen philippinischen Seemann erzählen lässt, was es eigentlich bedeutet, wenn man sein Leben auf einem Schiff verbringt: wie man sich die Liebe und die Sehnsucht nach der Heimat aus dem Herzen reißen muss, um zu überleben. Das ist noch keine Flucht, das ist ein Job. Und doch ergreifend.
Das Meer, es zieht am Menschen, es verschluckt ihn und verwandelt alles in Treibgut. Das Bild dafür schafft Peter Buggenhout mit einer riesigen schwarzen, verstaubten Trümmerskulptur, die vage an ein Schiffswrack erinnert. "The Blind Leading the Blind" heißt sie. Auch dies eine gute Metapher für die stürmische Gegenwart der Weltmeere