Es läuft nicht immer so wie bei Vincent van Gogh. Zu Lebzeiten war der berühmte Wegbereiter der Moderne zwar bereits gut vernetzt und verkaufte das ein oder andere Bild. Doch erst nach seinem Tod im Jahr 1890 wurde der niederländische Maler richtig berühmt, und das ist der klugen Nachlasspflege durch seine Schwägerin Johanna zu verdanken.
800 Gemälde und 1300 Zeichnungen hatte van Gogh hinterlassen. Einige Werke verkaufte Johanna van Gogh, Witwe und Mutter eines Kleinkindes, um ihre Existenz zu sichern. Dann gab sie den Briefwechsel ihres Schwagers heraus und arbeitete mit wenigen Kunsthändlern zusammen. Die Strategie ging auf. Vincent van Gogh wurde weltberühmt.
Heute gibt es Heerscharen von Künstlern. Allein in Deutschland lassen sich 10.000 professionelle bildende Künstler vom Bundesverband BBK vertreten. Sie alle produzieren Kunst, oft bis ins hohe Alter. Doch was passiert mit den Tausenden Nachlässen nach ihrem Tod? Diese Frage treibt Erben, Museen und die Künstler selbst um. Allein in den vergangenen Monaten wurden bundesweit mindestens sechs Symposien zur Frage des Managements von Künstlernachlässen veranstaltet - von Berlin im Osten bis demnächst nach Goch am Niederrhein.
Museen seien nicht die "automatische Aufnahmestation" für Nachlässe, sagt Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie, die pro Jahr 12 bis 30 Nachlass-Anfragen bekommt. "Ein Museum kann und soll nicht immer alles aufheben", sagt er bei einem vom Auktionshaus Van Ham organisierten und ausgerichteten Symposium in Köln und macht damit klar: Die Museen platzen aus allen Nähten. Depots kosten Geld, die fachgerechte Lagerung von Kunst auch.
Köhler fordert zwar auch Hilfe von Ländern und Kommunen zur Sicherung der stetig steigenden Zahl von Künstlernachlässen. Aber er ist auch Realist. Denn es geht ja auch nicht immer nur um Kunst. Das Land Berlin lädt dort seit Jahren sämtliche Wettbewerbsentwürfe Berliner Architekturbüros ab, die nur auf hintere Plätze kamen.
"Wir haben letztlich das ungebaute Berlin", sagt Köhler. Und das ist auch der Grund, warum er vorsichtig für eine "bewahrende Zerstörung" bestimmter Nachlässe plädiert. Im Klartext soll das heißen: Dokumentieren, digitalisieren, vernichten.
Manchmal kommt es allerdings auch vor, dass ein Künstler erst Jahre oder Jahrzehnte nach seinem Tod berühmt wird. Das muss ein Museum bedenken, bevor es möglicherweise einen Nachlass ablehnt. Die Berlinische Galerie jedenfalls ist heute glücklich, dass sie 1980 die Fotos des jüdischen Society-Fotografen Erich Salomon bekam, der in Auschwitz ermordet worden war. Vor Jahren hatte die Fotos noch niemand beachtet, heute sind Salomons Aufnahmen etwa von Marlene Dietrich berühmt.
Oder der einst unbeachteten Nachlass der Dada-Künstlerin Hannah Höch (1889-1978). "Das ist ein Fundus, aus dem wir bis heute schöpfen", sagt Köhler. Allein das zerfledderte Adressbuch Höchs aus den 20er Jahren sei "ein Roman".
Sowohl Museen als auch Juristen und Kreative appellieren an die Künstler, früh genug ihr Werk selbst zu sichten, um die spätere Nachlasspflege zu erleichtern. Inzwischen bieten auch Auktionshäuser Hilfe bei Lagerung und Vermarktung von Nachlässen an.
Nach Ansicht des Vorsitzenden des Deutschen Künstlerbundes, Frank Michael Zeidler, sollten Künstler bereits zu Lebzeiten "sortieren" und sich auch von Arbeiten trennen. Damit meint er: aussortieren.
Zeidler, 63, weiß, wovon er redet. Er hortet 2500 Arbeiten in seinem 200-Quadratmeter-Atelier in Potsdam. "Viele haben noch romantische Vorstellungen von einem Nachlass", sagt Zeidler. Für den Künstler sei es schließlich sein Lebenswerk. Es sei aber "schlicht eine Unverschämtheit", Erben einen unsortierten Nachlass aufzubürden.
Schon an der Akademie sollten Studenten deshalb heute lernen, wie man professionell mit Nachlässen umgehe, sagt Zeidler. Künstler müssten zu Lebzeiten mit Museen, Archivaren, Händlern über das emotional schwierige Thema reden und Strategien entwickeln. Zeidler hat damit schon angefangen. Die eine oder andere Arbeit ist bereits vernichtet.