Herr Partenheimer, Sie sind nach Tunesien, Lampedusa und Sizilien gereist, um dort Porträts von Flüchtlingen zu machen. Was für Menschen sind Ihnen begegnet?
Die Begegnungen waren sehr unterschiedlich. Viele Flüchtlinge sind traumatisiert und haben Schreckliches erlebt, sie kommen aus dem Sudan, Gambia, Nigeria, Eritrea, aber auch junge Männer aus Bangladesch und Pakistan sind mir begegnet. Mir war wichtig, sie nicht in überfüllten Flüchtlingslagern oder Notunterkünften zu fotografieren, sondern sie als individuelle Personen zu zeigen.
Wie offen waren die Porträtierten Ihnen gegenüber?
Es war oft nicht einfach, besonders bei den Flüchtlingen in Italien, die schon öfters mit der Presse Kontakt hatten. Ich habe versucht, mit den Menschen Zeit zu verbringen, mit ihnen zu sprechen und dann, falls sie einverstanden waren, sie zu fotografieren Aber generell war ich sehr überrascht, wie freundlich und offen mir die meisten begegnet sind.
Ihre Fotografien zeigen nur Männer. Sind Sie ausschließlich auf Männer gestoßen?
Bis jetzt bin ich nur auf Männer gestoßen. Soweit ich weiß, sind circa 70 Prozent der Flüchtlinge männlich. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass die Flucht sehr beschwerlich und gefährlich ist. Männern werden somit oft die besseren Chancen auf Erfolg eingeräumt.
Die Fotoserie heißt „Dreams of Europe“? Welchen Traum von Europa haben die Flüchtlinge?
Die meisten Flüchtlinge erhoffen sich natürlich ein besseres und sichereres Leben, aber haben oft eine sehr naive Vorstellung von den Bedingungen in Europa - den meisten ist nicht wirklich bewusst, was sie erwartet und dass es extrem schwer sein wird, Asyl zu erhalten oder einen Job zu finden.
Was für ein Leben führen dann diejenigen, die es nach Europa geschafft haben?
Sie warten monatelang auf den Entscheid ihres Asylantrags. Das Problem ist, dass Flüchtlinge während ihres Asylverfahrens in Italien nicht in den Flüchtlingslagern bleiben dürfen. Sie werden ohne Papiere, ohne Bleibe und ohne Job regelrecht vor die Tür gesetzt. Da sie keine Rechte haben, sind sie natürlich extrem leicht auszubeuten und landen oft auf der Straße oder arbeiten unter unmenschlichen Bedingungen auf den riesigen Obst- und Gemüseplantagen in Sizilien, Kalabrien und Apulien. Und weil sie sich von dem Verdienst keine Wohnung leisten können, leben sie in Slums nahe den Plantagen. Viele versuchen dann illegal weiter nach Deutschland, Frankreich, England oder in andere europäische Länder zu reisen.
Möchten die meisten in dem neuen Land bleiben oder hoffen sie, irgendwann wieder in ihre Heimat zurückzukehren?
Ich denke, die meisten nehmen diese lange und gefährliche Flucht auf sich, um sich eine neue Existenz aufzubauen, um in Frieden zu leben und Geld nach Hause zu senden. Solange sich die Situation in ihren Herkunftsländern nicht verbessert, gibt es für sie keinen wirklichen Grund zurückzukehren.
Wie begegnen die Europäer den Flüchtlingen?
Momentan arbeitet Europa mit den Mitteln der Abschottung und Abschreckung. Ich persönlich finde es extrem beschämend, wie Europa mit den Flüchtlingen und der Einwanderungspolitik umgeht: Die Länder in Europa geben Millionen für ihre Abschottungspolitik aus, um die Ängste der Flüchtlinge zu schüren. Gleichzeitig verstärkt man so auch die Ängste und Vorurteile der Bevölkerung. Wir sollten uns mehr Sorgen um die rechtsradikalen und rassistischen Tendenzen in Europa machen, als darum, dass uns notleidende Einwanderer unseres Wohlstandes berauben könnten.
Was sollte die Politik Ihrer Meinung nach anders tun?
Langfristig kann das Flüchtlingsproblem nur in den Herkunftsländern nachhaltig gelöst werden. Dennoch brauchen wir eine humane Einwanderungspolitik in Europa, welche die Flüchtlinge als Menschen betrachtet und nicht nur als Kostenfaktor und Belastung. Es kann nicht sein, dass wir Menschen aufgrund ihrer Herkunft und unserer Politik dazu zwingen, illegale und extrem gefährliche Wege zu gehen, um nach Europa zu gelangen.
Die Menschen sollten also schon vor ihrer Flucht die Möglichkeit haben, Asyl zu beantragen?
Ja, oder Visa für eine legale Einreise in die EU erhalten. So könnten sich viele eine lebensgefährliche und kostspielige Flucht sparen, und auch den Schleppern und Schleusern nimmt man damit ein Teil ihres Marktes. Ganz Europa muss mehr Verantwortung übernehmen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Stattdessen werden die Gesetze verschärft und die Zäune verstärkt, um die Flüchtlinge und die Bevölkerung noch mehr abzuschrecken. Dieses Verhalten ist menschenfeindlich, empathielos und sehr egoistisch.
Auf einem Bild sind vier Männer, von denen drei mehrmals probiert haben, das Mittelmeer zu überqueren. Versuchen viele, öfters zu fliehen?
In Tunesien habe ich einige Flüchtlinge getroffen, die schon mehrmals versucht haben das Mittelmeer zu überqueren. Oft schaffen es die Boote nicht in internationales Gewässer, sie sinken schon vorher oder werden nach Tunesien abgetrieben, wo sie von Fischern oder von der Küstenwache gerettet werden. Viele trauen sich nicht nach Hause zurück, da es für sie eine Schande ist, ohne Erfolg und ohne Geld zurückzukommen.
Die Flüchtlinge müssen viel Geld für ihre Flucht zahlen. Wie können sie das aufbringen?
Viele Familien sammeln das Geld für die Flucht in der Verwandtschaft oder verkaufen ihr Land oder Haus und wählen dann eine Person für die Flucht aus. Andere flüchten fast ohne Geld und arbeiten dann in Libyen, bis sie für die Überfahrt bezahlen können.
Sie verkaufen ihre Bilder für den Preis, den die Flüchtlinge den Schmugglern zahlen mussten.
Ja, der konzeptuell-politische Ansatz der Fotografien reflektiert diese unterschiedlichen Preise. Die Größe und der Preis des Bildes werden somit nicht von mir bestimmt, sondern repräsentieren die Ausbeutung des jeweiligen Menschen. Die Porträtbilder der Flüchtlinge werden nur in einer Auflage von 1 (plus 1 AP) erscheinen. Der Erlös des Porträts soll an den Flüchtling zurückgehen. Falls dies nicht möglich ist, werde ich das Geld einer Hilfsorganisation spenden. Die Erlöse aus den Verkäufen der anderen Motive werde ich für die Weiterführung des Projektes benutzen.
Stehen Sie also noch mit den Flüchtlingen in Kontakt?
Ich versuche, mit den Flüchtlingen in Kontakt zu bleiben. Ob mir dies auf lange Sicht gelingt, wird sich zeigen. Oft gibt es nur eine Telefonnummer, manchmal aber auch einen Email- oder ein Facebook-Kontakt.
Haben Sie vor, nochmal zurück zu reisen?
Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Ich plane weitere Reisen nach Marokko, Italien, Griechenland, Frankreich. Und falls es irgendwie möglich ist auch nach Syrien und Libyen.