"Now’s The Time" ruft es im Loop durch einen Raum der Show, ein Fetzen aus jener berühmten Rede, die Martin Luther King 1963 hielt; in einem anderen Raum sind Klänge aus Charlie Parkers gleichnamigen Song leise zu hören. Politik und Popkultur aus afro-amerikanischer Perspektive sind basale Quellen, aus denen sich Basquiats Kunst speist. Doch natürlich ist das interpretatorische Korsett mit der Aufschrift "Emanzipation" viel zu eng für einen Künstler, der in wenigen Jahren Schaffens gut 1000 Gemälde und mehr als 2000 Zeichnungen schuf. Sein Wildern in den visuellen Materialquellen seiner Zeit ist legendär: Cartoons, Kinderzeichnungen, Piktogramme, Werbung und Pop-Art, Zeitungen und Magazine, aber auch historische Wörterbücher und Lexika, Höhlenmalerei und bedruckte Geldscheine, Musik und Kunstgeschichte hat er gesamplet und collagiert – quasi ein ganzes Internet habe er sich da erfunden, so der Schluss der Ausstellungsmacher.
Dieter Burchart hat die große Schau zunächst für die Art Gallery of Ontario zusammengestellt. In Bilbao ist sie nun Teil eines beachtlichen Coups, ist sie doch gleichzeitig zu sehen mit der Retrospektive von Jeff Koons. Die wohl wichtigsten Positionen der zweiten Generation Pop im direkten Vergleich: In der einen Ringecke der genialische Neo-Expressionist mit den entsprechenden berserkerischen Zuschreibungen. Ihm gegenüber (in der konkreten baskischen Museumsarchitektur allerdings darunter, jedoch raumgreifender) der omnipotente Priapismus-Pop des Businessmanns Koons. Der, der konservative Kunst-Kenner immer wieder mit dem Prinzip Art-Manufaktur irritiert. Wer gewinnt?
Basquiat punktet zumindest gut: Als Straßenkämpfer etwa - mit den Graffiti-nahen Arbeiten, die ihm Anfang der 80er sehr schnell Popularität verschafften. Zu sehen ist zum Beispiel ein auf 1980-83 datiertes Piece "Untiteld – Symphonie No.1", das gemeinsam mit Keith Haring entstand. "Roality, heroism and the streets" hatte Basquiat 1983 in einem Interview einmal als seine großen künstlerischen Interessen genannt. Dass „die Straße“ dabei eine Raumsituation zwischen konkreter Graffiti-Malerei Downtown und eher virtuellen, sozialen, historischen und ästhetischen Verortungen im (Kunst)Diskurs meint, dürfte nach der weltweiten Machtergreifung von HipHop klar sein.
Helden und Könige sind allgegenwärtig in den Bildern. Sie tragen Kronen – auch Dornenkronen, sie jubilieren mit erhobenen Armen (etwa in "The Ring" von 1981 mit einem archaischen Speer im Boxring) oder triumphieren in Pose, gerne mit Heiligenschein. Gleichzeitig sind deren Köper oftmals fragmentiert, Gesichter maskiert, das Subjekt verschwindet. Das afro-amerikanische Subjekt, könnte man präzisieren. Basquiat hat es erlebt. Konkret vielleicht in jenem Moment, als es ihm im Designer-Anzug, die Taschen voller Dollar-Scheinen, nicht möglich war, in New York ein Taxi anzuhalten.
Da war er bereits ein Star. Ein Thronfolger Andy Warhols. Mit diesem verband ihn auch eine künstlerische Kollaboration, der im Guggenheim ein ganzer Raum gewidmet ist. Der Kurator wird nicht müde, diese als eine „physische Auseinandersetzung“ der Künstler zu interpretieren. Doch den zu sehenden Werken will es nicht recht gelingen, den Beigeschmack eines strategischen Masterplans abzuschütteln, der dem alternden Warhol und dem jungen Shootingstar synergetischen Mehrwert versprochen haben dürfte. Das vernichtende Urteil der damaligen Kritik, das diese Zusammenarbeit beendete, dürfte aber zu relativieren sein, lässt sich in den Bildern doch eine narrative Spur entdecken, die auf eine gewisse dialogische Dynamik verweist.
Basquiats Aktualität? Die strukturelle Gewalt gegen Afro-Amerikaner ist in den letzten Monaten verstärkt in den Fokus der Medien gekommen. Den Tod eines Freundes durch Polizeigewalt verarbeitete er 1983 in "The Death of Michael Stewart" im Bewusstsein, er, Basquiat, hätte genauso das Opfer sein können. Zu sehen ist eine schwarze, schmale Heiligen-Silhouette zwischen Knüppel schwingenden Marionetten-Polizisten mit Reißzähnen. So viel zur Tagespolitik, die sich in den drei Jahrzehnten seit Basquiats Tod nicht geändert hat.