Zwei Jahre ist es nun her, dass Christian Boros seine Privatkollektion eröffnete und die Kunst jener Berliner Aufbruchzeit versammelte, für die die Auguststraße im Stadtteil Mitte einmal als Symbol stand. Wirkliche Entdeckungen lassen sich auf der einstigen Szenemeile heute nicht mehr machen: Fast alle interessanten Galerien sind abgewandert, Cafés und Geschäfte gekommen. Doch die Straße hat ihren Charme behalten, auch dank Neubauten wie Jörg Ebers’ preisgekröntem „Grünem Haus“.
Dass man den Charakter einer Gegend einfach ignorieren kann, beweist jetzt ein anderer Sammler: Thomas Olbricht ließ sich an der Augustraße ein neues Heim für seine Kunst errichten. Wer die Augen schließt und drei Mal „Wohn- und Businesszentrum“ sagt, sieht es schon ziemlich genau vor sich. Es besticht durch einen Mix aus Belanglosigkeit und Brutalität – was auf irgendeiner Brachfläche kein Problem wäre. Ins Scheunenviertel passt das Gebäude allerdings so gut wie ein Hummer-Geländewagen auf eine Oldtimershow.
Ein sechs Meter hoher Riegel aus dunklen Betonplatten verleiht dem Komplex den Charakter einer Trutzburg, darauf gesetzt wurden Apartments hinter einer mausgrauen Front aus Glas und wieder Beton. Die schiere Masse des 3300 Quadratmeter großen Klotzes (ein Drittel davon steht Schauen zur Verfügung) wirkt in dieser engen Straße erdrückend. Vielleicht hätte man es als böses Omen deuten sollen: Bei den Bauarbeiten wurde das Fundament der benachbarten Kunst-Werke so heftig in Mitleidenschaft gezogen, dass deren Säle vorübergehend gesperrt wurden und die Mitarbeiter aus ihren Büros ziehen mussten.
Von der Seite betrachtet, wird der Versuch der Architekten Düttmann + Kleymann klar, die im Umkreis typische Struktur aus Vorder-, Hinterhaus und Seitenflügel nachzuahmen. Von vorn begrüßen einen zwei massive Hydranten, die direkt neben dem Haupteingang aus der Mauer ragen. Darüber ein Banner mit dem Logo „me“ in jener roten Typografie, die den Verdacht, hier siedle sich die nächste H-&-M-Filiale an, fast zwingend erscheinen lässt.
Tatsächlich steht das Kürzel für „moving energies“, aber Olbricht räumt ein, er wolle damit durchaus etwas irritieren, man könne das „me“ auch als „ich“ übersetzen. Die Instanz, an der Thomas Olbricht sich in ästhetischen Fragen orientiert, heißt Thomas Olbricht. Das ist bei einem Privatsammler legitim, stutzig macht die Art, wie er mit diesem Selbstverständnis hausieren geht.
Seit Mitte der 80er-Jahre hat der Wella- Erbe querbeet durch die Kunstgeschichte alles gekauft, was ihm gefiel: fotorealistische Malerei von Franz Gertsch, expressionistische Grafik von Ernst Ludwig Kirchner, barocke Elfenbeinschnitzereien, Matthias Weischer – insgesamt mehr als 2000 Werke, die, wie er erklärt, die großen Lebensthemen behandelten. Liebe, Tod, Vergänglichkeit. Einen kleinen Teil davon zeigt er in der Gruppenschau, mit der er sein Objekt Ende April einweiht. Sie trägt den Titel „Passion Fruits“: Früchte der Leidenschaft also im Ausstellungsraum ME. Thomas Olbricht strebt Kunsthallenstatus an. Sechs Tage die Woche soll geöffnet sein, es gibt ein Café und einen Shop, die man durchqueren muss, ehe man zum Wesentlichen kommt, im Stockwerk darüber eine Lounge und dahinter eine vielversprechende Wunderkammer. Außerdem plant er, seinen Collectors Room künftig auch anderen Sammlern für Wechselausstellungen anzuvertrauen. Natürlich: Man darf ein Buch nicht nach seinem Cover und ein Haus nicht nach der Fassade beurteilen. Womöglich wird ja drinnen alles gut, und die Werke erblühen in großer Pracht. So viel jedoch kann man jetzt bereits sagen: Christian Boros hat einen Bunker in einen Kunsttempel verwandelt – Thomas Olbricht einen Kunsttempel bauen wollen, aber einen Bunker bekommen.