Überall schreibt und spricht man inzwischen über Social Photography und deren Hauptverbreitungskanal Instagram. In den Medien ist ein Beitrag über Instagram ein Garant für hohe Leserzahlen wie eine beliebige Liste auf "Buzzfeed". Und sei es einfach nur Instakram, wie ihn das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" online sammelt: Hier die zehn besten Selfies der Königin der Selbstporträts Kim Kardashian, da zehn Fotos und Videos von Justin Bieber der Sportskanone beim Wellenreiten und Segwayfahren und dort eine Sammlung von Promi-Selfies. Schenkelklopfer garantiert.
Derweil hat mit der Tate in London das erste Museum begonnen, für Kunst auf Instagram Raum zu schaffen. In der Serie The Art of Instagram erzählen Maler, Fotografen und Instagrammer wie sie das soziale Fotonetzwerk in ihre künstlerische Arbeit einbeziehen. Der Londoner Grafiker Tom Skipp beispielsweise führt über Instagram öffentlich einen inneren Monolog.
Publikationsprojekte schießen aktuell wie noch vor einiger Zeit Bubble Tea Läden aus dem Boden. Und stellen bisweilen ihren Betrieb genau so schnell wieder ein. "fltr.photography reimagined" war der Titel eines zwischen Dezember 2013 und Oktober 2014 wöchentlich erscheinenden App-Magazins, das für 34 Cent pro Ausgabe in der App gelesen werden konnte. Man wollte die besten Handyfotos zeigen, die besten neuen Fotoapps vorstellen und praktische Tipps von Experten an die Hand geben. Doch das Magazin konnte sich nicht tragen. Nach 44 Ausgaben war Schluss und die App wurde aus dem iTunes-Store genommen.
In den letzten Jahren sind zahlreiche Websites online gegangen, die ein ähnliches Themenspektrum wie "fltr" haben, nur stellen sie ihre Inhalte kostenlos zur Verfügung. Die Seite "mobilephotography.de" publizierte jüngst eine dreiteilige Serie, die der Frage nachging, was Smartphone-Fotografie überhaupt ist, beschäftigt sich aber ansonsten meist mit dem Leben der Instagram-Community und berichtet über gemeinsame Fotowalks und Instameets.
Einen ähnlichen Ansatz hat das international aufgestellte "Ludique Magazine", von dem online bereits 16 Ausgaben erschienen sind. Die aktuelle London Issue stellt in Interviews einige Mitglieder der Londoner Community vor, wie die Amerikanerin Dolly Brown. Als @londonlivingdoll führt sie durch Ausstellungen, Galerien und Kunstmessen und zeigt, dass Social Photography auch Inhalte vermitteln kann, wenn man im Kommentarbereich unter den Fotos nicht nur in Hashtagkaskaden zu seinen Followern spricht. Denn sie nutzt ihren Account wie einen Blog, wenn sie im Anschluss an einen Ausstellungsbesuch eine Kurzkritik verfasst.
Dass Hashtags so sexy sind wie toter Fisch, haut seinen Lesern das dieser Tage zum ersten Mal erscheinende unabhängige Kunstmagazin für mobile Fotografie "The Smart View" um die Ohren. Den Titel ziert ein Foto der Berliner Grafikerin Julia V. Szafarczyk von vier zu einem Hashtag drapierten toten Fischen. Hashtags stinken, will man wohl kommunizieren. Das Smarteste am Heft ist der smarte Titel, denn das kleine Wörtchen smart auseinandergenommen kann in diesem Fall entweder als Abkürzung für Social Media Art gelesen werden. Oder es weist in der Kombination mit View darauf hin, dass alle Fotos im Heft mit einem Smartphone gemacht wurden.
Hashtags braucht es dann aber doch, wenn man sich in den sozialen Medien zurechtfinden will und Beiträger eben dort für ein im Entstehen begriffenes Magazin sucht. Mit diesem Widerspruch muss man offenbar leben. Der erste Call for Photographs für das Heft wurde vergangenes Jahr via tumblr verbreitet. Inzwischen setzt man auf das Hashtag #thesmartview, um Beiträge für das Heft, einen Blog und den Instagram-Kanal zu generieren. Wie einen Trichter müsse man sich den Auswahlprozess vorstellen, erklärt die Gründerin des Magazins Rosa Roth aus Hamburg im Gespräch. Zuerst wird Instagram bespielt, dann der Blog und die Crème de la Crème findet einen Platz im Heft.
In der ersten Ausgabe 001, die Hoffnung macht, das noch mindestens 100 weitere folgen werden, finden sich vier – so viele Fische ergeben auch ein Hashtag – Instagram Selections, wie die Bildauswahl genannt wird. Den Auftakt macht der freie Fotograf John Bozinov aus Neuseeland klassisch mit quadratischen Landschaftsaufnahmen. Weite, Leere, Einsamkeit, Symmetrie, alles irgendwie schön, alles irgendwie ansprechend. Seine Bilder entsprechen der Ästhetik, die mittlerweile in Anlehnung an die Bildsprache des amerikanischen Kinfolk Magazins auf Instagram zum Klischee geworden ist.
Der Frankfurter Designer Rüdiger von Selzam erinnert mit seinem harten Blitz und der Sujetwahl – Hand mit Zigarette vor Wand, oldschoolige Schuhe und Hose an Mensch auf Perserteppich und Blumenkübel an Laternenpfahl auf Straße – an die Ästhetik von Juergen Teller. Jeder der gefeatureten Fotografen darf sich und seine Arbeiten in einem kurzen Text selbst vorstellen. Alle freuen sich darüber, dass man sein Smartphone immer dabei und griffbereit hat, und Fotos sofort bearbeitet und von allen mit der Welt geteilt werden können. "Everyone gets the chance to speak (or shoot)", sagt beispielsweise Rüdiger von Selzam.
Diese Allgemeinplätze werden ergänzt durch kurze theoretische Abhandlungen, etwa über die Selfie-Kultur, und fotografischen Arbeiten, die das Smartphone selbst in den Mittelpunkt rücken. Denn das Thema der ersten Ausgabe ist Reflections on mobile Photography. Das sei kurz erwähnt: Da sich das Heft an eine internationale Leserschaft wendet, schreibt man Englisch.
Mikko Villi hat eine Doktorarbeit über die Kommunikation via Smartphone Kameras geschrieben und fasst in seinem zweiseitigen Text den status quo seiner Forschung zusammen. In seiner Arbeit geht er davon aus, dass Kamera und Telefon in der Kommunikation bisher unterschiedlich Verwendung fanden. Während die Kamera für das Einfangen der Zeit zuständig ist, überbrückt das Telefon in der Kommunikation Distanz. Da Smartphones Telefon und Kamera zugleich sind, verändert sich die Funktion der Fotografie. Sie wird in der täglichen Kommunikation eingesetzt – besonders beliebt in sozialen Netzwerken. Er plädiert denn auch dafür, dass die Selfie-Kultur nicht im fotografischen Kontext untersucht, sondern vielmehr mit Blick auf die Kommunikation über Social Media Kanäle und Instant Messaging Services wie WhatsApp betrachtet werden sollte. Der Kommunikationswissenschaftler hat gesprochen. Was wohl der Kunstwissenschaftler dazu sagt?
Der australische Künstler Jackson Lawlor Eaton spielt derweil in seiner fotografischen Arbeit mit der Selfie-Kultur. Sein Körper wird in der Serie Melfies 2 zu einer surrealistischen Collage aus zahlreichen Selfies, die er über die Google Bildersuche zusammengesammelt und in eigenen Mirror-Selfies kombiniert hat. Auch die Hamburger Fotografiestudentin Pauline von Katte spielt in ihrer Serie (Dis)Play, allerdings mit dem – wie der Name schon sagt – Display des Smartphones. Aus den Spuren, die beim Wischen bei der Bedienung des Handys entstehen, werden in ihrer Arbeit abstrakte Flächen, die an den Duktus des Pinsels erinnern.
Vier Mal im Jahr soll das Heft künftig erscheinen, so stellt sich Rosa Roth die Zukunft von The Smart View vor. Die erste Ausgabe wurde über ein Crowdfunding finanziert, die zweite sollen die Verkäufe tragen. Wer schreibt, der bleibt, heißt es. Ob die Zukunft der Handyfotografie im gedruckten Magazin liegt und einen ähnlichen Hype erlebt wie digital produzierte Musik, die auf Vinyl gepresst wird, bleibt abzuwarten.