Wie man hört, interessieren sich Fotografen weder für Instagram noch für Handyfotografie. Der Filmemacher Wim Wenders nennt es nicht einmal Fotografie, was er in Mengen an Bildern mit seinem Smartphone produziert. Und Juergen Teller hat zwar inzwischen die "shitty Digitalästhetik" ausprobiert, stört sich aber daran, dass von Allen ständig "jeder Scheiß" fotografiert wird. Was bleibt da noch für Fotografen zu tun?
Wie schädlich und schlimm all das tatsächlich ist, was den ganzen Tag über Instagram geteilt wird, wollte uns ein kürzlich in der Welt erschienener Artikel erzählen. Instagram sei die "kaputteste App der Welt", denn – Drama – sie mache uns durch den ständig abrufbaren Blick in fremde Leben "süchtig nach einer Lightversion des Stalkings". Wer allerdings nur fremde Betten, Dackelaugen und Milchschaum zu sehen bekommt, ist dafür selbst verantwortlich. Auf Instagram kann sich der Nutzer nämlich wie Pippi Langstrumpf seine kleine Welt machen, wie sie ihm gefällt. Der Kunstkritiker Jerry Saltz beispielsweise planscht in einem großen Bilderbad auf der Suche nach unbekannter Kunst, Foodie-Fetischisten und Haustierfreunde blockt er einfach weg. Und für den Kurator Hans-Ulrich Obrist ist die App ein dauersendender Informationskanal über die Kunstwelt, den er zwanzig Mal in der Stunde checkt.
Nach richtigen Fotografen muss man ebenfalls nicht lange suchen, auch wenn der gemeine Instagram-Skeptiker Gegenteiliges meint. (Als richtige Fotografen bezeichne ich diejenigen, die in der Vergangenheit nicht allein durch das Betreiben einer Facebook-Seite mit dem Claim "Fotograf" und 20.000 bis 50.000 Followern, die sie von Instagram als vorgeschlagener Nutzer geschenkt bekommen haben, auffällig geworden sind.)
Stephen Shore, einer der Mitbegründer der New Color Photography in Amerika, ist seit gut einem Jahr auf Instagram aktiv. Zu den Zahlen: In 50 Wochen hat er 305 Fotos gepostet, Follower hat er knapp 40.000. Mit 14 Jahren hat er Edward Steichen, den damaligen director of photography im Museum of Modern Art in New York angerufen und ihn gefragt, ob er sich nicht einmal seine Bilder ansehen wolle. Da Steichen noch einen Termin frei hatte, hat er sich die Bilder des Jungen angesehen und ihm drei abgekauft. Wenige Jahre später begegnete er Andy Warhol bei einem Filmfestival in New York und war von da an ein Teil der Factory.
Im März 1972 machte er sich von New York aus auf zu einem Road Trip quer durch Amerika über Texas nach New Mexico. Unterwegs fotografierte er jede seiner Mahlzeiten, jedes Bett, in dem er schlief, jede Toilette, die er benutzte, und jede Person, die er traf. Es entstand ein visuelles Tagebuch, das mit dem Fokus auf der Umgebung und Alltäglichem nichts mehr gemein hatte mit dem entscheidenden Augenblick, um dem es noch Henri-Cartier Bresson mit der Fotografie gegangen war. Als die farbigen Schnappschüsse im Kleinformat mit Tesa an die Wand geklebt noch im selben Jahr in New York unter dem Titel "American Surfaces" ausgestellt wurden, stießen sie beim Publikum nicht unbedingt auf Begeisterung. Farbe in der Fotografie galt damals noch als "vulgär" (Walker Evans). Die amerikanischen Straßenfotografen William Eggleston, Joel Meyerowitz und Joel Sternfeld waren gerade dabei das zu ändern.
Die Schnappschuss-Ästhetik der frühen 70er-Jahre ist für Stephen Shore die Verbindung zu Instagram, wie er mir bei einem Telefonat zwischen New York und Hamburg erzählt. Für die Serie "Mick-o-Matics" fotografierte er mit einer Plastikkamera mit einem Mickey-Mouse-Kopf, die Linse befand sich in der Nase, die Filme entwickelte Kodak in einem Labor. Damals habe er sein Interesse für die Unmittelbarkeit des Mediums entdeckt. "Mich interessierte eine Art von Fotografie, die vergleichbar ist mit visuellen Notizen. Ich wollte etwas festhalten können, ohne gleich ein komplexes Foto machen zu müssen. Ein Teil von mir interessiert sich für diese visuellen Notizen. Und ich glaube, das gilt für viele Menschen."
In den 70ern brachte Polaroid die SX-70 auf den Markt, mit der man kleine quadratische Fotos machen konnte. "Die Leute benutzten die Kamera damals ähnlich verspielt, wie sie heute Instagram nutzen. Ich mag diese Verspieltheit. Und ich mag das öffentliche Gespräch der Community." Er folge nicht vielen Leuten. Die Zahl halte er bewusst klein, damit er sich täglich alles ansehen könne. Seiner Familie folge er und Freunden, die meisten posten nicht viel und Instagram habe für sie nichts mit Kunst zu tun, sagt er.
Er habe aber auch schon Leute auf Instagram entdeckt, persönlich kennengelernt und neue Freundschaften geschlossen. Deshalb fasziniere ihn die App. Er finde immer wieder neue Leute, die interessante Fotos posten oder einfach nur ein Profil kuratieren, wie etwa Jennifer Higgie von der "Frieze", die Biografien von mal mehr mal weniger bekannten Künstlerinnen teilt.
Anfangs noch dachte Shore, es ginge bei Instagram lediglich um die Filter. Seinen Account habe er erst eingerichtet, als sich dieser Verdacht als falsch erwies. Er selbst verwendet keine Filter und keine Apps zur Bildbearbeitung, er fotografiert ausschließlich mit dem iPhone und postet die Fotos zeitnah. "Die Filter sind nur eine Spielerei. Die meisten Leute lassen das sehr schnell wieder. Ein Filter macht noch kein gutes Foto, das macht die Wahrnehmung dahinter." Die Fotos, die er auf Instagram postet, sind Teil seines Werkes. Das ist schon etwas anderes, sagt er. Aber diese Arbeiten entstehen speziell für das Medium, er hält sich strikt an das quadratische Format. "Ich habe akzeptiert, wie Instagram funktioniert und mit diesen Bedingungen arbeite ich. Seit den 'Mick-o-Matics' 1971 habe ich keine quadratischen Fotos mehr gemacht. Das Quadrat ist Teil der Herausforderung für mich. Außerdem sehen Quadrate auf Instagram besser aus als Hoch- oder Querformate."
Instagram habe für ihn aber auch viel mit Spaß zu tun. Es geht ihm nicht so sehr um ästhetische Fragen. "Wie jeder andere fotografiere ich meine Haustiere. Ich probiere aber auch Verschiedenes aus. Manchmal poste ich Serien, das mache ich dann über einen Zeitraum von drei bis vier Tagen." Er fotografiert Blumen, Gestrüpp, Granit, Wasser und Bäume, er richtet seinen Blick nüchtern auf den Boden, er sieht sich die Struktur von Holz und Stein an wie ein Albert Renger-Patzsch in den 20er-Jahren. Da ruft es sich in der Kommentarfunktion nicht so schnell: "Das ist schön." Einige seine Follower sind irritiert von seinen Arbeiten auf Instagram und lassen sich zu hitzigen Diskussionen hinreißen, in die er prinzipiell nicht eingreift. Aber er liest mit. Da muss er sich schon mal anhören, dass er sich nicht genug anstrengen würde. "Ja, da gebe ich dem Kommentator recht. Manchmal strenge ich mich nicht genug an. Bei vielen Fotos auf Instagram geht es mir nicht darum, ein so komplexes Foto wie mit einer Großbildkamera wie damals für meine Serie 'Uncommon Places' zu machen." Und deshalb fotografiert er auch einfach mal Käse auf seiner Fensterbank, der ihm ins Auge sticht, während er mit seiner Frau das Abendbrot zubereitet.