120 chinesische Künstler in neun Museen an Rhein und Ruhr. Gab es schon einmal einen großen Überblick über chinesische Kunst in Deutschland?
Walter Smerling: Eine museale Übersicht über zeitgenössische Kunst in China gab es in dieser Form noch nie.
Warum haben Sie so viele Künstler eingeladen? Das wirkt ein bisschen wie nach dem Rasenmäherprinzip. Gibt es überhaupt so viele wichtige Positionen in der chinesischen Gegenwartskunst?
Walter Smerling: Es geht darum, einen Einblick in die Szene und die verschiedenen Gattungen zu vermitteln. Wir haben neun Häuser und nicht nur eines. Das Publikum soll die Chance haben zu vergleichen. Wir zeigen die Bereiche Kalligraphie, Tusche, Malerei, Skulptur, Video, Sound-Art, Installation und Fotografie. Von jedem Künstler zeigen wir mehrere Werke und aus jedem Genre mehrere Positionen. Nur durch den Vergleich ist ein authentischer Einblick in die Szene möglich. Aber wir stellen keinen enzyklopädischen Anspruch.
Sind denn auch regierungskritische Künstler dabei?
Walter Smerling: Es ist eine Vielzahl von Künstlern dabei, die vor zehn oder 20 Jahren als Underground-Künstler bewertet wurden und die sich erst im Laufe der Zeit etabliert haben. Einige Künstlernamen, die am Projekt beteiligt sind, haben ein gewisses Nachfragen bei der Zollbehörde hervorgerufen.
Der chinesische Kurator ist Fan Di'an, Ex-Direktor des Nationalmuseums Peking, der jetzt die zentrale Akademie der Künste leitet. Ist er der Oberkontrolleur?
Walter Smerling: Nein. Das wäre ein völlig falscher Eindruck. Das kuratorische Team hat sich über die Positionen, die wir zeigen wollten, beraten und im Dialog mit den Direktoren der beteiligten Museen eine Künstlerliste verabschiedet. Wir sind mehrfach nach China gereist und haben eine Auswahl in den Ateliers getroffen. Fan Di’an ist als Präsident der Central Academy of Fine Arts in Peking ein wichtiger Berater für uns. Wir haben mit Fan Di'an über unsere Künstlerliste gesprochen. Da gab es Diskussionen, die nicht immer harmonisch verliefen. Wir waren nicht immer einer Meinung. Und dennoch war die Zusammenarbeit von großem gegenseitigem Respekt geprägt. Es ging uns immer um die Kunst.
Ließ die Zollbehörde denn alle durch?
Walter Smerling: Bemerkenswerterweise nach einiger Diskussion, ja.
Sie wurden bei der Auswahl also nicht zensiert?
Walter Smerling: Nein. Die Künstler verstehen sich auch nicht programmatisch als Regierungskritiker. In unserer Ausstellung sind eine Vielzahl von Künstlern vertreten, die von der offiziellen Seite wenig Anerkennung erfahren und zu deren Wirkungsanspruch ein hohes gesellschaftskritisches Potenzial gehört.
Ai Weiwei, der wohl bekannteste regimekritische chinesische Künstler, ist nicht dabei. Warum nicht?
Walter Smerling: Es gab viele Gespräche und Begegnungen mit Ai Weiwei. Wir haben ihn eingeladen an der Ausstellung teilzunehmen. Er hat sich aber anders entscheiden. Wir bedauern dies sehr, respektieren aber seine Entscheidung.
Werden Sie Positionen, die in China nicht genehm sind, in den Ausstellungen kenntlich machen?
Walter Smerling: Wir machen in erster Linie eine Kunstausstellung. Vorgaben von Politikern oder Funktionären sind für die kuratorische Arbeit nicht maßgeblich. Solche Vorgaben hat es aber auch nicht gegeben. Wir machen diese Ausstellung weder im Auftrag des chinesischen noch des deutschen Staates. Es geht uns um die Frage: Was passiert in China? Wie entwickelt sich die Kunstszene? Wir stellen eine zunehmende Entideologisierung in der Sprache und eine kontemplativere Haltung fest als das in den letzten Jahren der Fall war. Man hat eine nachdenkliche Haltung mit Blick auf die Umwelt, die Kluft zwischen Reich und Arm wird immer größer. Das reflektieren die Künstler auf verschiedenste Weisen. Das macht die Ausstellung an neun Orten deutlich. Die Künstler legen sich auch nicht mehr fest auf eine Gattung wie Malerei oder Skulptur. Sie entscheiden ad hoc, welches Medium sie nutzen, um das auszudrücken, was sie interessiert.
Wie frei oder nicht frei sind die Künstler in China?
Walter Smerling: Natürlich ist der Künstler in seinem Atelier frei, aber nur in seinem Atelier. Es gibt noch Situationen, in denen Kunstwerke aus Ausstellungen abgehängt werden. Leider. Aber es passiert heute seltener. Umso wichtiger ist der Dialog durch die bildende Kunst, wir glauben an den Dialog, denn dieser bedeutet Annäherung und damit Wandel.
ZUR PERSON: Walter Smerling (56) ist seit 1999 Direktor des Museums Küppersmühle in Duisburg. Seit 1986 ist der Kunstmanager geschäftsführender Vorstand der Stiftung für Kunst und Kultur e.V. in Bonn und übernahm dort 2006 den Vorstandsvorsitz. Der studierte BWLer und Kunsthistoriker mit Banklehre verfügt über großes Geschick, Kunst und Kapital zu verbinden und in Zeiten knapper kommunaler Kassen für seine Projekte private Sponsoren und Stifter zu finden.