Eine Wohnung in einem Berliner Hochhaus, ein leerer Kühlschrank, Kunst oder Chaos zwischen Lichterketten, Tarotkarten und alten Fotos. Für Ordnung ist es hier zu spät, nicht aber für einen Neuanfang. Nikita Neufeld (Inga Busch) lebt im Film "Art Girls" das Leben vieler Künstlerinnen: ambitioniert, aber (zumindest finanziell) erfolglos, gefangen zwischen dem Versuch, an ihren Idealen festzuhalten, und der Notwendigkeit, die Stromrechnung zu bezahlen.
Und dann: fliegende Frösche, futuristische Messgeräte, zwei verrückte Wissenschaftler. Die Brüder Peter und Laurenz Maturana (beide von Peter Lohmeyer gespielt) arbeiten für einen Biotechkonzern an der Freischaltung blockierter Körperzellen, die, so ihre Theorie, ohne die Blockaden zu viel mehr in der Lage wären – zum Beispiel dazu, Frösche fliegen zu lassen. Das erfolglose Experiment endet in einem Selbstversuch Peters, der fortan im Rollstuhl sitzt. Das jedoch führt die Brüder zu einer wichtigen Entdeckung: Die Kunst, in der die Welt flexibler ist als in der Realität, hat eine positive Wirkung auf die blockierten Zellen.
Kunst, die wirkt – das wird zum Schrecken aller Beteiligten Wirklichkeit: Da scheint auf einmal die Sonne blau, als Nikita sie auf einer ihrer Tarotkarten anmalt, die Lichter der Stadt blinken im Rhythmus ihrer Installation und King Kong klettert auf den Fernsehturm. Die Kunst erzeugt Echos in der realen Welt und die Geschichte endet in der Katastrophe – fast.
Ein bisschen denkt man bei King Kong, der den Fernsehturm verbiegt wie eine dicke Hummel eine zarte Blume, an Karlheinz Stockhausen und seine Ansicht, die Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center seien das größte Kunstwerk aller Zeiten. Robert Bramkamp, Regisseur von "Art Girls", meint dazu: "Es gibt einen Zusammenhang von Kunst und dem Omnipotenzgefühl und den Freiheitsgraden, die in ihr stecken, die, wenn man sie so groß projiziert, immer auch eine katastrophische Dimension haben." Wichtig sei aber, dass es hier noch eine andere Ansicht gebe.
Der Satz fällt auch irgendwann in "Art Girls": Diese Katastrophe ist anders. Und deshalb explodiert der Fernsehturm auch nicht, sondern wird wachsweich, landet fast sanft wenige Zentimeter vor dem Aufschlag über einem märchenhaften Brunnen. Es geht um Verschiebungen und darum, so Bramkamp, "dass man aus diesem Katastrophismus herauskommt und das Ganze verändert. Der Bezug zu Stockhausen ist auf jeden Fall da, aber wir haben versucht, diese Mischung aus dem Künstlerischen einer Katastrophe, dem Katastrophengeilen und der Art, wie wir im Katastrophismus inzwischen gefangen sind, anders zu codieren." Die Katastrophe endet also in der Erlösung durch künstlerische Kräfte, die fortan herrschen – fast wie bei Jonathan Meeses Parole von der "Diktatur der Kunst".
"Art Girls" handelt aber nicht nur von Kunstwirkung und Katastrophen, sondern auch von der Kunstwelt, die der Film satirisch überspitzt. Wenn sich die Baustelle vor einer Galerie als Installation entpuppt, wird doch schon sehr mit dem Klischee zeitgenössischer Kunst gespielt, völlig entgrenzt und abgedreht zu sein. Der Film verzichtet aber auf die typische Darstellung in Film und Fernsehen von Künstlern als total verrückte, auf sich selbst bezogene Wesen.
Für die Hauptdarstellerin Inga Busch, die schon mehrfach Künstlerinnen gespielt hat, liegt der Unterschied bei "Art Girls" vor allem darin, dass hier wirklich Kunst vorkommt: die der Künstlerin Susanne Weirich, die auch für die künstlerische Beratung des Films zuständig ist. "Die Kunst, die man sieht, ist echt", sagt Inga Busch. "Ich glaube das macht sehr viel aus, dass es nicht nur ein zusammengeschnipselter Videokram ist, der dann als Kunst deklariert wird. Und ich habe auch schon mehrere Arbeiten mit Susanne Weirich gemacht. In ‚Art Girls‘ gibt es eine Szene, da begegne ich mir selbst in einer Videoinstallation, in der ich 2004 eine Videospielfigur gespielt habe. Ich betrete also diese Installation, in der ich selbst vorkomme. Es ist nicht nur so ein komisches Klischee, das gezeigt wird. Deshalb hat der Film auch eine Chance, selbst Kunst zu werden."
Die künstlerischen Mittel des Films unterstützen dabei sein Spiel zwischen Narration und Fiktion, muten aber mitunter ästhetisch etwas seltsam an, ein bisschen wie aus einem futuristischen Kinderbuch entnommen. Man hätte die Seifenblasen, in denen immer wieder die Köpfe der Erzähler zu sehen sind, auch weglassen können. Aber vielleicht ist es ja genau das, worum es in dem Film geht: tun, was möglich ist.
Bei all den verschiedenen Ebenen und Lesarten dieses äußerst komplexen und symbolisch aufgeladenen Films gibt es nur eine Konstante: das Schwanken zwischen Dystopie und Utopie. Welches dieser beiden Modelle jetzt auf eine von der Kunst regierte Wirklichkeit zutrifft, bleibt vielleicht der Ansicht des Zuschauers überlassen. Sicher ist jedenfalls nichts und am Ende herrschen wieder die Kunst oder das Chaos, auch im eigenen Kopf und man fragt sich, wer denn hier jetzt Ordnung macht oder ob man besser gleich neu anfangen soll.