Der preisgekrönte Regisseur Wim Wenders hat neben dem Film eine zweite Leidenschaft: Das Fotografieren, und zwar konsequent analog, niemals digital. Das heißt aber nicht, dass Wenders, der im August 70 Jahre alt wird, Handy-Fotos als Teufelszeug ablehnt. "Jede Menge" Fotos mache er mit dem Smartphone, verrät er im Interview der Deutschen Presse-Agentur. "Aber das ist kein Fotografieren", betont er. Mit seinen Fotos will Wenders die Wirklichkeit zeigen, wenn auch aus einer subjektiven Perspektive. "Weil man im Kino so viel flunkert und fabuliert, möchte ich in der Fotografie nicht dazu verführt werden."
Wann haben Sie Ihre erste Kamera bekommen?
Mit sechs oder sieben. Es war eine ziemlich billige Plastikkamera, wo man oben rein guckt, wie bei einer Rolleiflex. Da war nichts automatisch dran, das musste man alles selbst einstellen. Aber ich kam mit dem Ding nie ganz klar, und meine Fotos waren immer schief. Ich war froh, dass ich später eine Kamera bekam, bei der man durch den Sucher gucken konnte. Später habe ich mir selbst eine Spiegelreflexkamera gekauft und hatte auch eine Dunkelkammer. Zum Abitur hat mein Vater mir seine Leica geschenkt.
Fotografieren Sie heute noch mit der Leica?
Die wurde mir leider geklaut.
Wären Sie gern Fotograf geworden?
Das war überhaupt nicht im Bereich des Möglichen. Fotografie war zwar in der Familie ganz selbstverständlich, aber das als Beruf anzusehen, das war zu der Zeit in Deutschland noch überhaupt nicht drin. Fotografie hatte mit Journalismus zu tun, einen anderen Begriff von Fotografie gab es nicht.
Fotografieren ist für Sie die zweite Hälfte Ihrer Arbeit, sagen Sie. Was ist daran so schön?
Dass ich dafür niemanden brauche. Beim Film braucht man viele Menschen. Einen Film zu machen, das ist eine echt soziale und höchst kommunikative Arbeit. Beim Fotografieren muss ich niemandem etwas erklären. Ich mache alles allein und nehme auch niemanden mit. Mein Equipment kann ich noch gut selbst schleppen, selbst die große Panoramakamera. Für die Art von Fotografie, die ich mache, bin ich darauf angewiesen, dass ich allein unterwegs bin und allein vor all diesen Orten stehe. Das ist eine Bedingung dafür, dass ich mich ganz auf Orte einlassen und mich darin verlieren kann. Und nur so kann ich rauszukriegen, was die uns über uns erzählen können.
Die Orte sind bei Ihnen meist menschenleer und einsam. Also sollen nur die Orte erzählen und nicht die Menschen?
Ich bin ja kein Landschaftsfotograf, ich fotografiere die Spuren unserer Zivilisation, außer dass ich darüber nicht Menschen berichten lasse, sondern Städte, Straßen, Häuser, Plätze. Kaum ist eine Person im Bild, gucken alle nur noch auf diese Person, und der Ort kommt nicht mehr zum Erzählen. Ich möchte halt, dass die Orte zur Sprache kommen. Deshalb sind die Bilder auch so groß. Dass man als Betrachter wirklich so davor stehen kann wie ich im Moment der Aufnahme.
Ihre Bilder ziehen den Betrachter förmlich in sich rein...
Ich habe nichts dagegen. (lacht) Es ist auch nicht gefährlich.
Machen Sie Reisen, auf den Sie nur fotografieren, ohne ans Filmen zu denken?
So ist es. Bei der Fotografie will ich keine Geschichte im Gepäck haben, die ich erzählen will. Das mache ich ja so bei der Arbeit an einem Film. Beim Fotografieren ist es genau umgekehrt. Da will ich eine Geschichte erzählt bekommen.
Ist der Grund, dass Sie konsequent analog fotografieren, dass Sie eine Wirklichkeit festhalten wollen, die es im Film oder im Zeitalter der digitalen Fotografie nicht mehr gibt?
Der Begriff der Wirklichkeit ist mir enorm wichtig in der Fotografie. Wenn Leute sich meine Bilder angucken, sollen sie sich darauf verlassen können, dass alles was sie sehen so ist, wie ich es gesehen habe. Weil man im Kino so viel flunkert und fabuliert, möchte ich in der Fotografie nicht dazu verführt werden.
Sie haben ein großes Misstrauen gegenüber der digitalen Fotografie, wo man mit dem Smartphone schnell fotografiert und schnell wieder löscht.
Ich mach das ja auch selbst, aber das ist nicht meine Fotografie.
Sie machen Fotos mit dem Handy?
Jede Menge. Aber das nenne ich nicht Fotografie.
Sondern?
Das ist eine Art von zeitgemäßer Kommunikation, aber das ist kein Fotografieren. Das ist wie Notizen machen. Fotografieren geht nur mit einer großen Ruhe. Und mit Zeit. Und mit Respekt vor einem Ort.
Finden Sie noch die Ruhe bei all dem, was Sie machen?
Fotografieren ist wirklich eine Auszeit. Es ist die einzige Auszeit, die ich mir leiste.
Wie oft schaffen Sie es, sich eine solche Auszeit zu gönnen?
Ich hoffe, es werden in diesem Jahr zwei. Manchmal kommt meine Frau mit. Aber sie geht dann tagsüber ihre eigenen fotografischen Wege. Sie interessiert sich für die Menschen und ich warte, bis sie aus dem Bild raus sind.
Sie sind befreundet mit dem Fotokünstler Andreas Gursky, der etwas ganz anderes macht als Sie. Er manipuliert seine Bilder am Computer. Schätzen Sie Gurskys Arbeit?
Ich finde seine Bilder großartig. Aber das ist für mich eher eine Art von zeitgenössischer Malerei. Die digitale Fotografie ist eine völlig heutige Kunst. Ich hänge an einem anderen Begriff von Fotografie...
Wenn Sie sich entscheiden müssten zwischen Film und Fotografie, wenn Sie nur eines davon machen dürften, was würden Sie wählen?
Dann würde ich Maler. Wenn ich das eine nicht mehr machen darf, will ich auch das andere nicht mehr machen.
ZUR PERSON: Für den in Düsseldorf geborenen Regisseur Wim Wenders läuft es dieses Jahr besonders gut. Das möchte der preisgekrönte Filmemacher aber nicht damit verbunden sehen, dass er am 14. August 70 Jahre alt wird. Wenders gehört zu den wichtigsten Vertretern des deutschen Kinos. Herausragende Arbeiten sind unter anderem "Der amerikanische Freund" (1977), "Paris, Texas" (1984), "Der Himmel über Berlin" (1987) und der 3D-Film "Pina" (2011). Drei Mal war Wenders für einen Oscar nominiert, zuletzt im Februar mit dem Dokumentarfilm "Das Salz der Erde". Im Februar bekam er bei der Berlinale den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk. Das New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) würdigte Wenders' filmisches Werk mit einer großen Retrospektive.
(Interview: dpa)