Maurizio Cattelan erklärt, was in der Krise wirklich zählt – und wehrt sich gegen seinen Ruf als Provokateur
Herr Cattelan, hat die Krise Ihren Blick, Ihre Arbeitsweise beeinflusst?
Alles hat sich verändert. Haben Sie schon mal überlegt, warum während eines Krieges keine Kunstwerke produziert werden? Krieg ist eine gewaltige Maschine. Nach 9/11 gab es keine Sicherheit mehr. Man musste sich umorientieren, ohne zu wissen, welche Rolle man künftig spielen würde. Jeder versucht, sich irgendwo festzuhalten. Plötzlich begreift man, in welcher Panik die Menschen 1929 waren.
So dramatisch schätzen Sie die Lage ein?
Ja, aber dies ist auch ein guter Moment, um sich über das eine oder andere klar zu werden, die Wahrnehmung von Kunst zum Beispiel. Das Preisniveau, der Glamour, die Exzesse – vorbei. Wir befanden uns an einem Punkt, an dem praktisch jeder reich werden konnte. Alles drehte sich ums Geld. Der Markt beschädigt den Künstler, weil die Leute ihn für einen Gott halten. Ein Irrweg. Ich habe gebetet, nicht im Auge des Sturms zu sein. Natürlich will man anerkannt werden. Solange es bestimmte Grenzen nicht überschreitet.
Aber Sie haben doch selbst mitgespielt. Manche Ihrer Werke, etwa „La Nona Ora“, der gefallene Papst, erzielten sehr hohe Preise.
Für den Exzess war ich nicht verantwortlich, und ich hatte auch nichts davon. Man versucht einfach, das Ganze möglichst unversehrt zu überstehen. Das heißt nicht, dass man unschuldig ist. Selbst wenn man den Krieg nicht angefangen hat, wird man gezwungen mitzumachen. Man wird passiver Zuschauer, das ist einfach so. 2002/03 fing es an, in die falsche Richtung zu gehen. Meine Hoffnung war immer, es hört bald auf.
Anders als Damien Hirst produzieren Sie nur sehr wenig. Wie kommt das?
Neues braucht seine Zeit, wenn man sich nicht wiederholen will. Ich glaube nicht, dass man immer nur gute Einfälle hat. Man muss entdecken, was wichtig ist.
Warum präsentieren Sie nicht gern in Galerien?
Meine letzte Galerienschau war 2001. Sie haben eine andere Agenda. Manchmal hast du ein passendes Projekt. Ein Raum kann mich anregen, auf einen guten Gedanken bringen. Mit Glück auch auf einen zweiten. Ab da wird es schwierig. Heute würde ich eher wieder eine Galerie gründen, als noch einmal in einer auszustellen.
Warum haben Sie die Wrong Gallery geschlossen, die Sie 2002 mit den Kuratoren Ali Subotnick und Massimiliano Gioni eröffnet hatten?
Sie sollte ein Statement sein: Man kann auch ohne viel Geld etwas sagen. Ideen sind unser wertvollster Besitz. Als das Haus, in dem Wrong untergebracht war, verkauft wurde, zogen wir für drei Jahre in die Tate Modern. Die Berlin-Biennale 2006, die wir kuratier-
„Der Markt beschädigt den Künstler, weil die Leute ihn für einen Gott halten. Ein Irrweg. Ich habe gebetet, nicht im Auge des Sturms zu sein. Natürlich will man anerkannt werden. Aber nur, solange das Ganze bestimmte Grenzen nicht überschreitet“
ten, stellte dann eine Art Optimierung der Galerie dar. Unser Ausgangsmotiv erwies sich als zutreffend. Man fängt kein Projekt mit Verfallsdatum an, sondern macht so lange, bis es sich ausgelaufen hat. Wenn sich die Dinge wiederholen, muss man einfach aufhören und sich Neuem zuwenden.
Und das kann eine neue Galerie leisten? J
a, eine ganz andere würde ich gern aufbauen. Hier in New York, wo ich lebe, gehe ich oft durch die Lower East Side. Chelsea steckt in einer Identitätskrise. Namhafte Galerien sind zum Teil leere Fassaden. Die Gegend versucht, mit einem unausgegorenen Konzept seine führende Rolle zurückzugewinnen. Aufgrund der Wirtschaftslage endet hier, was vorher schon verblasst war. Chelsea wird renoviert. Es muss nicht nur aufwachen, sondern seine Position völlig neu überdenken. Es ist teuer dort. Die Lower East Side kostet so gut wie nichts, und man kann wunderbar experimentieren. Innovationen sieht man dort, wo Risiken möglich sind, und nicht, wo man auf Nummer sicher geht.
Sie haben mit Ihren Händlern einiges angestellt. Emmanuel Perrotin musste sich als Kaninchen verkleiden, und Massimo De Carlo pinnten Sie mit Klebeband an die Wand. Sollte das eine Demütigung sein?
Nein. Bei Emmanuel wollte ich herausfi nden, wie ernst es ihm war. Will er mit mir zusammenarbeiten? Okay. Und wie sehr würde er sich darauf einlassen? Bei Massimo gab es einen Moment, in dem er beweisen wollte, dass wir einander etwas bedeuteten. Eine wichtige Phase in unserer Beziehung. Er musste mir etwas geben, damit wir eine höhere Ebene erreichen konnten. Denn Kunst zu verkaufen ist leicht.
Man bezeichnet Sie als provokativ. Zu Recht?
Je mehr ich mich weiterentwickle, desto deutlicher erkenne ich, dass mein Werk nichts davon besitzt, wirklich. Manche meiner Arbeiten könnte ich ewig betrachten, nach 15 Jahren faszinieren sie mich noch immer. Wenn sie provokativ wären, würde man den Inhalt übersehen. Provokation ist gut, wenn du ein ernsthaftes Anliegen hast. Ich mag Werke, die dich verrückt machen und dir keine Lösung anbieten.